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Die Gleichheit

häusliche Betätigung den Mädchen in den Wachstumsjahren viel zuträglicher als der Aufenthalt in Puß- und Schneiderstuben oder in Fabrifluft. Über den Lohn, den die gebildeten" Dienstmädchen erhalten sollen, schweigt des Sängers Höflichkeit. Dagegen hebt der reformeifrige Apotheker zu Grünberg zwei Vorteile hervor, wenn es gelinge, den Zutritt zu dem von ihm geschilderten häuslichen Paradies von einem Bildungsattest( Führungsbuch) und von einer zehnmartsteuer abhängig zu machen, die etwa in den Alters- und Invalidenfonds fließen könnte: erstens sporne die Aussicht auf einen solchen Beruf zu größerem Fleiße und Eifer in der Schule an; zweitens entstünde eine Trennung der Dienenden in Mädchen für Stadt- und Landhaus­haltung. Dem Lande würden dann die Mädchen eher zugeführt, die für die Stadt nicht geeignet und von den Herrschaften dort entlassen sind, die aber jetzt meist nicht mehr ins Dorf zurück­kehren wollen und oft nur die Zahl der in den Straßen der Groß­städte nachts Umherschleichenden vermehren. Für das bessere Per­sonal", das der Apotheker so den Städtern verschaffen will, möchte er aber eine Gefahr abwenden: es müßte verhütet werden, daß .je nach eigener Veranlagung und nach Charakter der Herrschaft das Mädchen entweder nichts leistet oder als Mädchen für alles mißbraucht wird".

In der Kommission des Reichstags ist diese Dose reform lerischer Quacksalbe beim großen Aufräumen mit den restlichen Ein­gängen nur einer furzen Probe unterzogen worden. Das Resultat war: Ungeeignet zur Erörterung im Plenum, da wir noch kein Reichsgesinderecht haben." Wäre Zeit gewesen, in die Behandlung der Sache einzutreten, so hätte man unter anderem auf die Tat­sache hinweisen müssen, daß troß der Ausstattung moderner Groß­stadtwohnungen mit Errungenschaften der Technik das weibliche Hauspersonal gesundheitlich sehr gefährdet sein kann. So steht zum Beispiel fest, daß die Bedienung der Zentralheizungen, das täglich zweimalige Reinigen und Füllen des Kessels durch weib­liche Dienstboten junge Mädchen in furzer Zeit gesundheitlich ruiniert. Daran würde auch das beste Führungsbuch mit der schönsten Lebensbeschreibung eines zarten Bürgertöchterchens nichts ändern. Auch die 10 Mark Standessteuer reizt wie beinahe jeder Satz der famosen Begründung zum heftigen Widerspruch gegen solche soziale Giftmischerei an.

Fürsorge für Mutter und Kind.

mg.

Traurige Ernährungszustände Münchener Schulkinder deckt in der Münchener Medizinischen Wochenschrift eine Untersuchung des Kinderarztes Dr. S. Oppenheimer auf. Die betreffende Unter­suchung wurde an zwei Schulen vorgenommen: an der Domschule, die von einer verhältnismäßig großen Anzahl von Kindern aus den besser situierten Kreisen besucht wird, und an der Guldeinschule, in die in der Hauptsache Proletarierkinder gehen. Es stellte sich heraus, daß an dieser Schule von den sechsjährigen Schüle rinnen zwei Drittel unterernährt waren. Noch schlimmer stand es mit der Ernährung bei den höheren Altersklassen: im zehnten Lebensjahr erreichten nur 16,4 Prozent aller Mädchen das Normalgewicht. Was den Brustumfang und die Körperlänge anlangt, wurde die Norm nur von einem ganz verschwindend kleinen Teil der Schülerinnen erreicht, die weit­aus größere Mehrzahl stand bedeutend dahinter zurück. Ganz ähn lich wie bei den Mädchen lagen die Verhältnisse bei den Knaben; dabei wurde noch die Norm möglichst niedrig angesetzt. Hätte man sie höher gewählt, so wären unter den sechsjährigen Schülern der Guldeinschule statt 14,3 Prozent gar nur 2,4 Prozent normal genährt gewesen. An der Domschule zeigten sich etwas günstigere Ergebnisse, wie nach der sozialen Zusammensetzung der Schüler zu erwarten stand. Die Guldeinschule ist der Typus einer Vorstadt schule, deren Zöglinge sich zumeist aus den Kindern der Arbeiter rekrutieren, und Dr. Oppenheimer glaubt nicht fehlzugehen, wenn er annimmt, daß in sämtlichen Münchener   Volksschulen die Kinder außerordentlich schlecht ernährt sind. Namentlich in der jetzigen Zeit mit ihren wucherisch hohen Lebensmittelpreisen hält er einen möglichst ausgedehnten Ausbau der unentgeltlichen Schul­speisung für dringend erforderlich, um die Kinder nicht ganz der chronischen Unterernährung auszuliefern, die die Entwicklung unserer Jugend dauernd schwer schädigt. Die festgestellten Tatsachen er­weisen klärlich die Unvernunft und Grausamkeit der heutigen Ge­sellschaftszustände, durch die Tausende proletarischer Kinder dem Hunger überantwortet werden. Sie predigen aber auch eindringlich die Pflicht der Mütter, mit aller Energie eine Gesellschaftsordnung zu bekämpfen, die die Kinder solch furchtbarem Lose überantwortet. Mögen die Proletarierinnen der Sünden des Kapitalismus und ihrer

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eigenen Pflicht in diesen Tagen eingedent sein, wo es gilt, die nächste Abrechnung mit den Verteidigern der tapitalistischen Ord. nung vorzubereiten.

Soziale Gesetzgebung.

c. b.

Verbot der Nachtarbeit der Frauen in Frankreich  . Der französische   Senat hat dem Gesetz zugestimmt, das die Berner Konvention über die Nachtarbeit der Frauen und Kinder in den o. p. gewerblichen Betrieben in Kraft setzt.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

I. K. Von der polnischen sozialdemokratischen Frauen. bewegung in Galizien   und Schlesien  . Noch vor Schluß des alten Jahres hat die zweite Konferenz der polnischen sozial­demokratischen Frauen in Galizien   und Schlesien   am 7. Dezember in Lemberg   getagt. Es nahmen 14 Delegierte und 30 Gäste an ihr teil. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand die Frage der Organisation. Genossin Kluszynska, die Redak­teurin der ,, Glos Kobiet"( Frauenstimme) hielt dazu einen ein­leitenden Vortrag, aus dem hervorging, daß die Organisation der sozialdemokratischen Frauen nun auch in Galizien   Wurzeln zu fassen beginnt. Das Zentralagitationskomitee der sozialdemokra tischen Frauen im österreichischen   Polen   hatte verschiedene An­träge vorgelegt, denen die Konferenz beitrat. Sie beschloß, daß die bestehenden Frauenorganisationen aufzulösen und daß die Genossinnen gemeinschaftlich mit den Genossen zu organisieren seien. Zwar steht noch der Paragraph des österreichischen Ver­einsgefeßes in Kraft, der den Frauen die Mitgliedschaft in polis tischen Vereinen verbietet. Allein da die Genossen meist in so­genannten freien Organisationen zusammengeschlossen sind, so steht dem Beitritt der Genossinnen dazu nichts im Wege. Allen Lokal-, Bezirks- und Landeskomitees sollen Genossinnen ange­hören, deren Aufgabe es sein wird, in erster Linie für die Agi­tation unter dem polnischen weiblichen Proletariat in Galizien  und Schlesien   tätig zu sein. Glos Kobiet" bleibt das Zentral­organ der polnischen Genossinnen in Österreich  .

Die Beschlüsse der Frauenkonferenz wurden beim Parteitag der Sozialdemokratischen Polnischen   Partei für Galizien   und Schlesien   eingebracht, dem die Tagung der Genossinnen voraus­gegangen war. Er beschloß nahezu einstimmig die gemeinsame Organisation, wie sie die Konferenz beantragt hatte, und wählte vier Frauen in die Parteileitung: die Genossinnen Kono­paco, Malinowska, Moraczewska und Klus. zynska. So ist nicht nur die Gleichberechtigung der Geschlechter voll gewahrt, sondern auch die praktische Möglichkeit gegeben wor den, die höchste Instanz der Partei jederzeit zur kraftvollen Ver­tretung der proletarischen Fraueninteressen anzuregen. Unsere polnische Frauenorganisation ist unseres Wissens innerhalb Oster­reichs die erste, welche die gemeinsame politische Organisation von Frauen und Männern in der Praxis durchführt.

Wir versprechen uns von der neuen Organisationsform die besten Erfolge. Der Agitation unter den Arbeiterinnen und Ar­beiterfrauen werden durch sie mehr Kräfte und Mittel nutzbar gemacht, und auch das Interesse der Genossen an dieser Agitation wird steigen, wenn die gemeinsame Organisation für sie verant wortlich ist und ihre Erfolge unmittelbar einheimst. Die För derung der Bestrebungen zur Aufklärung und Organisierung der werktätigen Frau des arbeitenden Volkes in Österreich  - Polen   tut um so mehr not, als der Hauptteil, Galizien  , industriell noch nicht weit entwickelt ist. Aus diesem Umstand erwachsen viele große Schwierigkeiten, die die gemeinschaftliche Organisation besser zu bewältigen vermag als das Häuflein tätiger Genos­sinnen. Daß dieses trotz dieser Schwierigkeiten die sozialdemo kratische Frauenbewegung in Fluß halten konnte, daß es wenn auch fleine, so doch sichere Fortschritte erzielt hat, verbürgt gute Dora Kluszynska, Oderberg  . Erfolge für die Zukunft.

Frauenstimmrecht.

Generalversammlung des preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht. Am 9. und 10. Dezember fand in Berlin   die Generalversammlung des preußischen Landes­vereins für Frauenstimmrecht statt. Die ihr beiwohnen­den 48 Delegierten waren mit 89 Stimmen ausgestattet. Diese Stimmenhäufung in Berlin  , wo der Verein 572 Mitglieder zählt, gibt zu denken, um so mehr, als die Generalversammlung an einem Sonntag tagte. Es schien, als ob man dadurch unliebsame