Nr. 8

Die Gleichheit

Abstimmungen hätte vermeiden wollen, daß man den bekannteren Führerinnen bis zu je drei Stimmen gegeben hatte, mehr er­lauben die Statuten nicht. Die Offentlichkeit war zwar von der Tagung nicht ausgeschlossen, aber sie war ausgeblieben. Abgesehen von ganz wenigen Berliner   Stimmrechtsmitgliedern, langweilten sich nur einige pflichtgetreue Pressemenschen während der Ver­handlungen im Saale.

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Aus dem Geschäftsbericht ging hervor, daß jekt zwölf Pro­vinzialvereine mit 36 Ortsgruppen und zusammen 3359 Mit­gliedern dem preußischen Landesverein angehören. Die Mittel des Vereins sind sehr gering; im wesentlichen deckte er während der letzten Jahre die Kosten seiner Tätigkeit aus einem Fonds, der Frau Cauer zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt worden ist. Der erste Vortrag beschäftigte sich mit der Berichterstattung über die Hamburger   Tagung des Deutschen Ver­bandes für Frauenstimmrecht. Die Referentin, Fräu­lein v. Harbau, wendete sich in schärfster Weise gegen den früheren Verbandsvorstand sie selbst nannte ihren Vortrag feine sonntägliche Beschäftigung. Sie bedauerte die in Ham­ burg   beschlossene ünderung des§3 der Verbandsstatuten, der nun nur noch für die Frauen allein das allgemeine Stimmrecht verlangt, obgleich in Preußen auch die erdrückende Mehrzahl der Männer noch politisch rechtlos ist. In Zusammenhang mit der Berichterstattung standen die drei Anträge der Ortsgruppen Mar­ burg  , Magdeburg   und Breslau  . Die erstere wollte die Forderung des allgemeinen Wahlrechts ganz gestrichen haben, doch wurde ihr Antrag zurückgezogen. Die Magdeburger   Organisation fragte an: Was soll mit den Vereinen werden, die des unglück­feligen§ 3 wegen nicht dem Verband beitreten können oder wollen? Mit diesen Bebauernswerten" sind die gemäßigten Frauenrecht­lerinnen gemeint. Die Wiederherstellung des§ 8 in der alten Fassung, das heißt das Wahlrecht für beide Geschlechter, forderte der Breslauer Antrag. Der Vorstand trat diesen Anträgen mit der Feststellung entgegen, daß die Beschlüsse des Verbandes auch für den Landesverein bindende seien, und daß nur eine Generalver­sammlung der Gesamtorganisation sie aufheben könne. Er selbst bedauere die Änderung des§ 3. Wenn die Welt am Montag" auspofaunte, daß der Landesverein das allgemeine, gleiche, ge­heime und direkte Wahlrecht als das grundlegende Prinzip seiner Tätigkeit anerkenne, so unterschlägt sie, daß auch in dieser Organi­sation eine lebenskräftige Minorität besteht, die diese Ansicht nicht teilt, ja bekämpft. Sowohl im preußischen Landesverein wie in dem Verband für Frauenstimmrecht sind viele Gegner des allgemeinen Wahlrechts. Der Vortrag von Frau Tauer über Die Or­ganisation der

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Frauenstimmrechtsbewegung" gab die Auffassung einer guten bürgerlichen Demokratin wieder, er war daher nicht neutral" und im Verein für Frauenstimm­recht gar nicht am Plaze. Nur durch eine eigentümliche Kon­stellation, die durch die vorliegenden Anträge entstand, entging er schärfster Kritik. Die sogenannte Neutralität des Frauenstimm­rechtsvereins richtet in den Köpfen der bürgerlichen Damen ein unentwirrbares Durcheinander an. Das Frauenstimmrechts- Tohat­mabohu dürfte durch die neubegründete Deutsche Vereini gung für Frauenstimmrecht" nicht vermindert werden, der sich bereits der gemäßigte schlesische und der gemäßigte rheinisch westfälische Stimmrechtsverein angeschlossen haben und die über ganz Deutschland   ihre Nehe ausbreitet. Jm Gegenteil! Dieses bürgerliche Frauenstimmrechtswirrwarr hat für uns Sozialdemokraten vor allem die Bedeutung eines Shm­ptoms, das den Verfall der bürgerlichen Demokratie anzeigt. Es lohnt sich kaum, sich mit diesem bunten und verfilzten Knäuel aller möglichen und unmöglichen Ansichten auseinanderzuseßen. Aber sehr falsch wäre die Meinung, daß das Sammelsurium der ungezählten Grüppchen von Anhängerinnen des Frauenstimm rechts im großen ganzen der Sozialdemokratie und dem Rechte der proletarischen Frau besondere Sympathien entgegenbrächte. Wir finden da die konservativsten Jdeengänge, die antisemitischen ein­begriffen, und die törichtesten und uns feindlichsten Weltanschau­

ungen.

Ein Antrag des Landesvorstandes forderte die Ortsgruppen zu lebhaftestem Eintreten für das Gemeindewahlrecht der Frauen auf. Angenommen wurde folgende Resolution: " Die vierte Generalversammlung des preußischen Landesver­bandes für Frauenstimmrecht befürwortet das lebhafteste Eintreten für das Gemeindewahlrecht der Frauen. Zu diesem Zwecke emp fiehlt sie allen Provinzialverbänden, möglichst gleichzeitig Peti­tionen um das Gemeindewahlrecht der Frau an den preußischen Landtag zu richten. Ferner empfiehlt sie lebhafteste Beteiligung an den praktischen und sozialen Aufgaben der Stadt- und Land­

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gemeinden. Zur Ausführung empfiehlt die Generalversammlung die Bildung von kommunalpolitischen Kommissionen, in denen Männer und Frauen vertreten sind. Die Provinzialverbände und Ortsgruppen werden angeregt, darauf zu achten, daß die bestehen­den Gemeinderechte der Frauen ausgeübt werden."

Ein anderer Antrag wünschte unter Zugrundelegung eines Fragebogens eine Enquete bei den Abgeordneten des nächsten Reichstags, um zu erfahren, wie weit diese Herren für Frauenrechte eintreten werden. Über diese Fragebogen wurde nach einem langen Vortrag lang und breit diskutiert. Die einen betonten, daß Beihilfe nur solchen Kandidaten zu leisten sei, die entschieden für das Frauenstimmrecht eintreten; die anderen aber erklärten, fie feien schon mit dem Versprechen zufrieden, daß ein Barlamentarier für einen Teil der Frauenforderungen wirken wolle. Schließlich tam eine Resolution zustande, die besagt: Der preußische Landesverein erwartet von seinen Mitgliedern, daß sie keinen Reichstagsabgeordneten unterstüßen, der nicht un­zweideutig für die Frauenforderungen eintritt." Damit war der Kautschut fertig. Unzweideutig hat beispielsweise der Reichs­tagskandidat Mommsen in Berlin   erklärt, daß er nicht für das Frauenstimmrecht zu haben sei. Man sollte nun annehmen, daß die Frauen diesem trefflichen Vertreter ihrer Rechte gebührend ge= antwortet hätten. Ach nein! In einer Versammlung der liberalen Frauen wurde jauchzend verkündet: Herr Mommsen trete nur momentan noch nicht für das Frauenstimmrecht ein, weil er es noch für aussichtslos halte und nur das Mögliche in der Politik anstrebe." Das Mögliche nämlich, daß ihm die bürgerlichen Frauen tros dieser Hanswursterei große Wahlhilfe leisten. Mit Spec fängt man Mäuse! Frau Plot how, die Berichterstatterin des Berliner Tageblatts" über die Frauenbewegung, hat schon einen begeisterten Vortrag für Mommsens Kandidatur gehalten! Das nennt sich Frauenstimmrechtskämpferinnen! Daß Gott erbarm! Auf Antrag einer Handelsangestellten nahm die Tagung fol­gende Resolution an: Die Generalversammlung spricht ihr Be­dauern darüber aus, daß neuerdings die Gesetzgebung wiederum sowohl in der neuen Reichsversicherungsordnung als auch in der Brivatbeamtenversicherung bedenkliche Lücken für die Frauen be­sonders dadurch offen gelassen hat, daß die Frauen zu den be­treffenden Körperschaften nicht dasselbe Wahlrecht haben wie die Männer. Sie erblickt darin eine Herabsetzung der ideellen und materiellen Werte, die von den berufstätigen Frauen für den nationalen Arbeitsmarkt geliefert werden, gegenüber der Männer­arbeit. Sie erblickt aber vor allem eine schwere Schädigung der berufstätigen Frauen in dem dadurch geschaffenen Umstand, daß dieselben nicht in der Lage find, ihre Interessen bei den erwähnten Körperschaften in vollem Umfang selbst wahrnehmen zu können. Die Generalversammlung protestiert gegen diese nicht mehr den heutigen Verhältnissen entsprechende Stellungnahme der Regie­rung gegenüber den berufstätigen Frauen und fordert nachdrück­lichst gleiche Behandlung für beide Geschlechter bei den beruflichen Interessenvertretungen."

Die nämliche Delegierte brachte auch eine Resolution ein des Inhaltes: Dem deutschen   Verband möge mitgeteilt werden, daß die Generalversammlung des preußischen Landesvereins die in Hamburg   vorgenommene Änderung des§ 3 bedauere. Unter Protest der anders denkenden Minorität gab die Mehrheit und der neu= trale Borstand der Resolution die Zustimmung. Zum Schlusse hielt Frau Cauer eine Ansprache, in der sie sich dahin aussprach, daß die Brücke zwischen den bürgerlichen und den arbeitenden Frauen nicht abgebrochen werden dürfe.

Aus den Wahlen für die Leitung gingen dieselben Vorstands­mitglieder wieder hervor, bis auf eine Änderung aus Gesundheits­rücksichten. Die nächste Tagung findet in Dortmund   statt.

Die Generalversammlung schloß mit einer Paradevorstellung am Abend! Der ganze neugewählte Vorstand des deutschen   Ver­bandes für Frauenstimmrecht war in der überfüllten öffentlichen Versammlung, die sich mit den Forderungen der Frauen anden neuen Reichstag befaßte. Zuerst sprach Frau Jel= Iinet über die Geseze im allgemeinen, die den Frauen weniger gerecht werden als den Männern, auch über den neuen Strafgesez­entwurf. Dann folgte Fräulein Lischnewsta, die es sich natürlich nicht verkneifen konnte, den selig entschlafenen Reichstag zu preisen. Frau Breitscheidt  , die an dieser Stelle als Frauenstimmrechtlerin sprach, wozu bekanntlich ein feiner Takt gehört, den nicht jeder Mensch sein eigen nennt, servierte den Berlinern die Zuckerpillen: Frieden, reichlich Brot und Ausbau der Koalition. Alle Rednerinnen ernteten reichen Beifall, auch Fräulein Lischnewska, wenn auch deren Ausführungen nicht ganz unwidersprochen blieben. Delegierte der verschiedenen Landesver­