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Die Gleichheit

Wohnungsverhältnisse, die gesellschaftliche Jfolierung und der Mangel geistiger Anregung und staatsbürgerlicher Betätigung, um das Leben der Landarbeiterinnen und Landarbeiter zur Hölle zu machen. Der Sozialismus ist deshalb für sie um so mehr das Evangelium der Erlösung. Unsere Pflicht ist es, ihnen dieses Evangelium zu bringen.

Die Agitation unter den Frauen in den Domänen des Zentrums bedarf gleichfalls einer sorgfältigen Vorbe­reitung. Die religiöse Jdeologie, von der die katholische Be­völkerung vom Kindes- bis zum Greifenalter umsponnen wird, ermöglicht es dem katholischen Klerus, einen ungeheuren Ge­wissenszwang auszuüben. Alles, was der politischen Auf­flärung der Massen dienen könnte, wird als Todsünde ge­braudmarkt, für welche die Strafe im Jenseits nicht ausbleiben werde. So war es dem Zentrum bisher möglich, trotz allem Verrat an der Arbeiterklasse die katholischen Proletarier um feine Fahnen zu sammeln. So konnte es weite Kreise katho­lischer Frauen in politischer Rückständigkeit erhalten, konnte künstlich ihren Geist in Brache legen. Den katholischen Frauen erging es wie Thygater, von der Multatuli uns erzählt, daß ihr Vater sie lehrte, Wissen, Begreifen und Begehren sei fündig für ein Mädchen, damit sie in Einfältigkeit verharre und weiter thres Vaters Kühe melke.

Jedoch die Klassengegensäge werden immer schärfer; im Westen geht die kapitalistische Entwicklung mit Riesenschritten vorwärts. Ungeheure Reichtümer häufen sich in den Händen der Besitzenden, immer trostlofer wird dagegen die Lage der Besiklofen. Zu der schamlosen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft fügt sich die immer unerträglicher werdende soziale Knechtung durch die großen Scharfmacher. Hinzu kommt der wachsende Zoll- und Steuerdruck, unter dem die Massen leiden. Alles das sind Erscheinungen, die auf die Dauer denn doch nicht ohne Einfluß auf die fanatisierten katholischen Arbeiter bleiben können, und zwar um so mehr, je unermüdlicher wir in un­serer Agitationsarbeit sind. Die inneren Zwiftigkeiten im Zen­trum, neuerdings das unverhüllte Paktieren mit den Agrariern und das Avancement zur Regierungspartei sind ebenfalls Um­stände, die alles in allem guten Erfolg unserer Agitation in den Kreisen des Zentrums versprechen. Soweit die katholischen Proletarierinnen in Betracht kommen, wird unsere Aufklärungs­arbeit dadurch erleichtert, daß infolge unseres erfolgreichen Ansturms das Zentrum sich dazu bequemen mußte, feinerseits die Frauen aus ihrer politischen Reserve herauszuholen und auf das politische Kampffeld zu führen. Zwar geschah das feineswegs, um sie politisch zu schulen, sondern um ihre poli­tische Rückständigkeit politisch aktiv zu machen und gegen die Sozialdemokratie auszuspielen. Jedoch wird es dem Zentrum gehen wie dem Goetheschen Zauberlehrling: die Geister, die es rief, es wird sie nicht mehr los. Vorausgesetzt- daß wir alles daransezen, diese Frauen mit unserer Agitation zu er fassen. Das muß versucht werden durch Wort und Schrift. Eine Broschüre, die sich speziell an die katholischen Frauen wendet, ist bereits in Vorbereitung.

Eine lebhafte mündliche Agitation muß die schriftliche er gänzen. Die Erkenntnis der geradezu fabelhaften kapitalistischen Entwicklung, die alle sozialen Gegenfäße auf die Spite treibt, muß den Frauen vermittelt, threm Bewußtsein eingehämmert werden. All den Beschuldigungen, die das Zentrum gegen uns erhebt, gilt es das energische und treue Eintreten der Sozialdemokratie für die Interessen der ausgebeuteten Massen gegenüberzustellen. So kehrt beispielsweise regelmäßig, gleich dem Mädchen aus der Fremde, die alberne Anklage wieder: die Sozialdemokratie wolle Ehe und Familie zerstören. Der beste Anlaß das, um nachzuweisen, wie durch ihr kraftvolles Eintreten für den Kinder, den Arbeiter- und Arbeiterinnen­schuh, wie durch ihren zähen Stampf gegen die volksans­wuchernde Zoll- und Steuerpolitik die Sozialdemokratie ihre Hand schirmend über das bißchen Familienleben des Prole­tariers legt, wie sie ihm dies Wenige aus den Klauen des Kapitalismus erobern muß. Wenn man uns beschuldigt, wir wollten den Arbeitern und Arbeiterinnen die Religion rauben,

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so haben wir den Beweis dafür zu erbringen, daß wir, durch unseren Kampf für eine hellere Gegenwart der Arbeiterklasse, so handeln, wie das Zentrum handeln müßte, sofern es im Sinne der christlichen Nächstenliebe sich betätigen wollte. Wir müssen durch überzeugende Tatsachen erhärten, daß jene die Religion herabwürdigen, die sie in das politische Schlachtengetümmel zerren. Dabei gilt es dann, wieder und wieder festzustellen, daß just die Sozialdemokratie sich gegen diesen Mißbrauch mit aller Schärfe wendet, daß sie die Religion als Privat­sache des einzelnen erklärt, als seine ureigenste persönliche Angelegenheit, als innerste Herzens- und überzeugungssache, in die weder eine politische Partei noch Staat und Gesell­schaft dreinzureden haben. Wir müssen nachweisen, daß solche äußere Einmischung nur zu dem Zwecke geschieht, die ar­beitenden Schichten zu entzweien und sie von einem wirk samen, gemeinsamen Kampfe zur Verteidigung ihrer Inter­essen abzuhalten.

Ganz besonders aber gilt es, die katholischen Frauen mit unserem herrlichen Zukunftsideal und unserer alles umspannen­den Weltanschauung bekannt zu machen. Nichts ist mehr ge­eignet, helle Begeisterung und den Willen zum tatkräftigen Handeln zu wecken, als eine lebendige Schilderung der Ent­wicklung, die zum Sozialismus drängt, als ein warmherziger Appell an die Zuhörerinnen, mitzuarbeiten an dem großen, erhabenen Wert der Menschheitsbefreiung, an dem herrlichen Bau der Zukunft, in dem es keine Unterdrückten und Aus­gebeuteten, keine Hungernden und Darbenden gibt, der nur Freie und Gleiche umschließt, die schaffend das Schöne genießen.

Die katholischen Frauen, die in ihrer politischen Rückständigkeit als Sturmkolonnen gegen uns mo­bilisiert werden sollen, müssen herübergeholt und als Klassenkämpferinnen gegen den Kapitalismus geführt werden. Das ist schwer, aber seit wann hätte uns eine Schwierigkeit, und sei sie noch so groß, abgehalten, etwas zu tun, was wir für nötig hielten? Nötig aber ist diese Ar­beit, denn um unsere historische Aufgabe erfüllen zu können, brauchen wir sie alle, alle, die den Kittel und die Jacke der Proletarier tragen. Und sie ist um so dringender, als in jüngster Zeit das Zentrum die katholischen Frauen organisiert und sie mit einem fanatischen Hasse gegen uns zu erfüllen bemüht ist.

Mit dem Gesagten haben wir die notwendige spezielle Agitation unter den beiden genannten Frauengruppen kurz umrissen. In einem späteren Artikel werden wir die not­wendige besondere Agitation unter den anderen von uns ge­nannten sozialen Frauenfchichten besprechen. Zur Unterstügung der mündlichen Agitation wird das Frauenbureau kurzge haltene Flugblätter und kleine einfache Broschüren abfassen, die sich auch an diese Frauenkreise wenden.

Die Teuerung.

Luise Zieh.

Für die Lese- und Diskussionsabende. Von Käte Duncker .

3. Die Organisation der Produzenten. ( Fortsegung von Abschnitt 3.)

Die Zahl der industriellen Kartelle in Deutsch­ land ist sehr groß. Eine 1905 vont Reichsamt des Junern vorgenommene Enquete stellte 385 Verbände fest, von denen die größten und wichtigsten auf das Gebiet der Kohlen- und Eisenindustrie entfallen. 1879 bestanden erst 14 Rartelle, 1910 schätzt man bereits 550 bis 600. In dem kurzen Zeit­raum von 30 Jahren haben sich also diese Vereinigungen aus den kleinsten Anfängen heraus zu Erscheinungen ent­wickelt, die dem Wirtschaftsleben ein völlig neues Gepräge geben. Auch internationale Kartelle bestehen bereits in großer Anzahl; nach Liefmann* waren es 1897 ungefähr 40, 1910 nahe an 100.

* Liefmann, Kartelle und Truf: 3 und die Weiterbildung der volks­wirtschaftlichen Organisation. Stuttgart 1910.( 2 Mr.)