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Die Gleichheit

beiter zu merken. Die Versammlung endete mit dem Rufe: Wir wählen Göhre!"

Interessant war es am Wahlabend im Wartesaal dritter Klasse auf dem Bahnhof in Flöha   i. S. Anscheinend befand sich dort das Wahlbureau der Nationalen. Als die ersten Resultate aus kleinen Dörfern mit 21 bis 42 Wahlberechtigten tamen: Stücklen 5, Pastor Richter 17 oder Stücklen 7, Roth 6, Pastor Richter 16, da brach ein großer Jubel los. Das kostet was, eine gute Zigarre aus meinem Sasten, hier, meine Herren!" Für die zweite ähnliche Nachricht wurde Bier spendiert. Kam ein Post- oder Bahnbeamter und brachte eine Depesche für das Wahlkomitee, so gab es ein kleines Glas Lager­bier. Wenn Stücklen fliegen würde! Es ist günstig, Pastor Richter hat sich prächtig geschlagen." Blöglich erklang der Ruf:" Strese manns Sieg ist sicher!" Großer Jubel: Na, das kostet was, Herr Direktor!" Wir mußten zu unserem Bedauern fort, der Zug nach Dresden   fuhr ein. Ob die Herren in Flöha   auch noch um 11 Uhr abends Bier und Zigarren gespendet haben? Marie Wackwitz  .

In den Orten Mörfelden  , Erzhausen   und Darmstadt des Wahlkreises Darmstadt   fanden im letzten Dezember und Anfang Januar öffentliche Frauenversammlungen statt, die die Partei­organisationen festigen sollten. Die Unterzeichnete sprach über das Thema: Die Stellung der Frauen zur Lebensmittelteuerung und die kommenden Reichstagswahlen". Sie unterzog die Tätigkeit des vergangenen Reichstags einer scharfen Kritit und zeigte den außer­ordentlich zahlreich erschienenen Proletarierinnen an der Hand von Beispielen, daß unter ihren Folgen die Frauen am meisten zu leiden haben. Diese hätten daher alle Ursache, so bewies sie weiter, bei den Reichstagswahlen die sozialdemokratischen Kandidaten zu unterstützen. Nach einer Schilderung des heute herrschenden Klassen­gegensatzes forderte sie die Frauen dazu auf, ihren Protest gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung am besten dadurch auszu drücken, daß sie der Sozialdemokratie beiträten und deren Tages­presse wie auch die Gleichheit" abonnierten. Lebhafter Beifall folgte dem Vortrag. Zwanzig weibliche und fünf männliche Partei mitglieder und Leser der Parteipresse wurden gewonnen. Der Aus­fall der Reichstagswahlen hat inzwischen gezeigt, daß der in den Versammlungen ausgestreute Samen auf guten Boden gefallen war. Am 14. Januar hielt der Fabritarbeiterverband in Münster  bei Dieburg   eine öffentliche Frauenversammlung ab, die von 280 bis 300 Personen besucht war. Genossin Eisinger sprach über die Frage: Warum sollen sich die Fabritarbeiterinnen organisieren?" Sie kritisierte die Mißstände in der Haarschneiderei und Pelzfabrit in Münster  , in welcher schlechte Arbeitsverhältnisse verbunden mit schlechter Behandlung herrschen und armseliger Lohn gezahlt wird. Weder Speise- und Ankleideräume noch Wasch- und Badegelegen­heit sind vorhanden. Die Referentin schilderte die Zustände, unter denen die Fabrifarbeiterinnen im allgemeinen leiden müssen, und die ihre Moral gefährden; sie fennzeichnete die Nichtachtung, mit der Werk- und Saalmeister, Betriebsleiter und sonstige kapita­listische Peitschenschwinger die Arbeiterinnen verlegen. Die bewegte Zeit der Reichstagswahlen machte es unmöglich, nur streng ge­werkschaftliche Ausführungen zu geben. Jubelnder Beifall erscholl, als die Referentin den Wert der gewerkschaftlichen Erziehung für die Arbeiterinnen klarlegte und auf den sozialdemokratischen Wahl­sieg zu sprechen kam, der zwei Tage zuvor, in der alten Bischofs­stadt Mainz   mit Hilfe der proletarischen Frauen errungen worden war. Der Vortrag schloß mit der Mahnung an die anwesenden Frauen und Mädchen, sich dem Fabritarbeiterverband anzuschließen, nur dann könnten sie wirkungsvoll für bessere Lohn- und Arbeits­bedingungen fämpfen. Sieben neue Mitglieder traten der Organisation Um eine Verkaufsstelle der Konsumgenossenschaft zu gründen, berief das Gewerkschaftskartell in Hahn eine Frauenversammlung mit dem Thema ein: Was bietet die Genossenschaft der Arbeiter­frau?" Die Unterzeichnete beantwortete diese Frage. Sie führte aus, daß die Bewegung der klassenbewußten Arbeiterschaft aus drei Zweigen besteht, aus der politischen, der gewerkschaftlichen und der genossenschaftlichen Bewegung. Um ganze Arbeit zu machen, müßten sich die Proletarierinnen allen drei Bewegungen anschließen. An das mit Beifall aufgenommene Referat schloß sich eine Diskussion, in der der Referentin lebhaft zugestimmt wurde. Die Versammlung war von Frauen und Männern gut besucht und brachte nicht nur der Genossenschaft Mitglieder, sondern auch der Partei und der sozialdemokratischen Presse führte sie Abonnenten zu.

bei.

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Apollonia Eifinger.

Jm Wahlkreis Meiningen  - Hildburghausen   sprach Genossin Röhl­Rigdorf im November und Dezember vorigen Jahres in zwanzig Versammlungen über Die Reichstagswahl und die Frauen". In fast allen Orten hatte bis dahin noch keine Frau in einer öffent­lichen Versammlung gesprochen, so daß von vornherein auf eine

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gute Beteiligung gerechnet werden konnte. Die Erwartung hat auch nicht getrogen. Die Versammlungen in Schwallungen  , Stein­bach, Wasungen  , Wereshausen, Meiningen  , Schweina  , Gungelstedt, Tunnelborn, Hildburghausen  , Bedheim   und Unterneubrunn waren sehr gut besucht, auch von Frauen. In Walldorf   war das geräumige Lokal überfüllt, und der Saal reichte fast nicht aus in Schwallungen  , einem Ort mit kleinbäuer­licher Bevölkerung, die aber ihren Nachwuchs in die Fabrik schicken muß, wenn sie existieren will. Unaufhörlicher Beifall bezeugte, daß Genossin Röhl allen aus der Seele gesprochen hatte. Die Frauen scharten sich nach dem Vortrag um die Referentin und beteuerten ihr, derartiges noch nie gehört zu haben; sie baten sie, wieder zu kommen. Die Versammlung brachte dem sozialdemokratischen Verein in Schwallungen   neue Mitglieder. Jn Steinbach wurde nach dem Schlusse der Veranstaltung ein Verein gegründet, dem 23 Mitglieder beitraten. Das gleiche geschah in Tunnelborn, wo die Partei jetzt 36 Mitglieder zählt. Besser besucht hätte die Versammlung in Leimbach sein können, doch wurden auch dort Mitglieder für die Sozialdemokratie geworben. Die weiteren Versammlungen fanden in Orten hoch oben auf dem Thüringer Walde statt, wo die Haus industrie vorherrscht. Die Referentin sammelte dort reiche Er fahrungen, die sie bei der nächsten Agitationstour verwerten kann. überall wurde der Wunsch laut, Genossin Röhl möchte recht bald wiederkommen. Der Erfolg wird nun nach der Vorarbeit nicht aus­bleiben. In den zwanzig Orten war die Beteiligung an Versamm­lungen noch nie so groß wie diesmal. Die Frauen, die sonst in teine politische Versammlung gegangen waren, hatten sich, wenn auch nicht in allen Orten, so doch in den meisten in erheblicher Zahl eingefunden. Diese günstige Situation muß für die Partei ausgenugt werden. Sind die Frauen erst einmal zu der Erkenntnis gelangt, daß politische Angelegenheiten auch sie angehen, so wird es nicht zu schwer fallen, sie der Organisation zuzuführen. Ch. L. Bericht über die Tätigkeit der Genossinnen des fünften sächsischen Wahlkreises im Vereinsjahr 1910/11. Die Genos­finnen hielten wie im Jahre zuvor in jedem Monat einen Dis tussionsabend ab; einmal im ersten Monat fand statt seiner ein Wanderabend statt. In den nächsten vier Diskussions­abenden wurden die folgenden Fragen erörtert: Wie fördern wir die Jugendorganisation?"" Berichterstattung vom Parteitag"," Unsere Gegenwartsforderungen"," Familienrecht". Dann folgte ein heiterer Unterhaltungsabend: Rezitationen, Musik und Gesang bereiteten den Frauen einige frohe Stunden. Später trat eine neue Gestaltung unserer Abende zur Schulung der Genossinnen ein. Während bis dahin bald eine Frage aus diesem, bald aus jenem Gebiet er­örtert worden war, legten die Genossinnen auf die Anregung der Genossin Gradnauer hin ihrer Bildungsarbeit ein bestimmtes Pro­gramm zugrunde. Sie ließen einen Vortragszyklus über folgende Themata halten: Die Stellung der Frauen von den Anfängen der Kultur bis zum Mittelalter", Die Frau im kapitalistischen   Zeit­alter", Die Konkurrenz der Geschlechter"," Reform der Hauswirt­schaft". Damit war der Zyklus noch nicht beendet, doch sind die übrigen Vorträge schon in das neue Vereinsjahr gefallen. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dieser systematischen Arbeit zur besseren theoretischen Durchbildung der Genossinnen gemacht und empfehlen sie den Genossinnen anderer Städte zur Nachahmung. Auch einige Agitationsversammlungen müssen wir verzeichnen. In einer öffentlichen Frauenversammlung sprach Genossin Hanna­Berlin über Berufsarbeit und Mutterschaft", in einer Volksber sammlung Genossin Zieß über Reichstagswahlen und Frauen­stimmrecht". Der Frauentag hatte einen außerordentlichen Erfolg und brachte uns neue Kämpferinnen. Der Beſuch aller Veranstal tungen war zufriedenstellend. Trotzdem müssen wir eine größere Beteiligung der Genossinnen an den Diskussionsabenden erstreben. Wir brauchen dringend immer mehr neue Kräfte zur Bewältigung der vielen Arbeit, die in der Dienstboten, der Kinderschutz­und der Jugendschußkommission ihrer Erfüllung harrt. Die Zahl der weiblichen Parteimitglieder betrug am Schlusse des Vereins jahrs 449, wir wünschen, daß sie bis zum nächsten Jahresschluß bedeutend gewachsen sein möge. An unserem guten Willen wird es nicht fehlen, unsere proletarische Frauenbewegung zu stärken und zu vertiefen. Martha Kretschmar.

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Agitationsliteratur. Die Kleine, von uns in letter Nummer der Gleichheit" angekündigte Broschüre mit dem Titel Bist du eine der Unsrigen?" ist inzwischen in der Buchhandlung Vorwärts in Berlin   erschienen. Auf besserem Papier gedruckt und kartoniert foftet sie 10 Bf. das Stüd. Bei größeren Bezügen und ohne Um­schlag wird sie für Pfennig das Stüd geliefert. Namentlich bei Hausagitationen, aber auch sonst, wird sie unseren Genossinnen die Werbung neuer Kampfesgenossinnen erleichtern.

L. Z.