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Die Gleichheit

wahlrecht. Ein baldigst dem Reichstag zu unterbreitender Gesetz­entwurf der Regierung soll darüber bestimmen, daß den Frauen unter den gleichen Bedingungen das attive und passive Wahlrecht gewährt wird wie den Männern". Der andere sozialdemokratische Antrag will die Volksvertretung in den Bundesstaaten und in Elsaß- Lothringen auf demokratische Grundlage stellen. Nach ihm soll Artikel III der Verfassung des Deutschen Reichs folgenden Zusaß erhalten:" In jedem Bundesstaat muß eine auf Grund des allgemeinen, gleichen, direkten und ge­heimen Wahlrechts gewählte Vertretung bestehen. Das Recht zu wählen und gewählt zu werden haben alle über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts in dem Bundesstaat, in dem sie ihren Wohnsiz haben. Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem Landesgesetz und zur Feststellung des Staatshaushaltsetats erforderlich." Wenn diese beiden Anträge zur Verhandlung kommen, so wird sich zeigen, ob all die Liberalen frauenrechtlerisch pfeifen, die im Wahlkampf frauenrechtlerisch den Mund gespitzt haben. Wer das glaubt, zahlt einen Taler.

Die englische Arbeiterpartei für das allgemeine Frauen­wahlrecht. Dem zwölften Parteitag der englischen Arbeiterpartei, der Ende Januar in Birmingham getagt hat, lag ein Antrag vor, welcher besagte, daß keine Wahlrechtserweiterung annehmbar sei, die nicht auch der Gesamtheit des weiblichen Geschlechts das Wahlrecht gebe. Dieser Antrag tehrte sich gegen die angekündigte Regierungs­bill zu einer Wahlrechtsreform, die das politische Recht der Männer eriveitern soll, ohne daß sie den Frauen ihre Gleichberechtigung zu erkannt. Gegen eine solche unvollständige Demokratisierung wenden sich bekanntlich die Suffragettes. Der reaktionären Unterströmung in ihren Reihen entsprechend allerdings nicht in der richtigen Weise, indem sie das allgemeine Frauenwahlrecht fordern. Nein, diese sonder­baren Heiligen der Frauensacje bringen es fertig, in einem Atem ein altes Unrecht zu brandmarken und ein neues zu begehren und zu preisen. Sie verlangen bekanntlich das Frauenwahlrecht schlecht­hin" und wollen sich mit der reaktionären Spottgeburt des be= schränkten Damenwahlrechts der sogenannten Versöhnungsbill" be­gnügen. Leider haben verschiedene Führer der Arbeiterpartei" wieder­holt der Einführung eines Geldsackswahlrechts für die Frauen zit­gestimmt und damit die Beschlüsse ihrer eigenen Partei miẞachtet, die sich wieder und wieder für das Wahlrecht aller Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts ausgesprochen hatte. Aus diesen Irrungen und Wirrungen sollte der oben angeführte Antrag führen. Er soll die Mitglieder der Arbeiterpartei" binden, um der Ein­führung des allgemeinen Frauenwahlrechts ihre Zustimmung zu geben, aber auch umgekehrt jede Bill zurückzuweisen, die nicht diese Reform bringt, mag sie eine noch so wichtige Erweiterung des Rechtes der Männer bringen. Diese lettere Bedeutung mit ihren Konsequenzen veranlaßte die Vertreter der organisierten Bergarbeiter, sich gegen den Antrag zu fehren. Sie erklärten, daß sie für die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts seien, aber an der Verwirklichung der Forderung nicht die Demokratisierung der Rechte der Männer scheitern lassen wollten. So zu handeln sei im Hinblick auf das Frauenrecht selbst unklug, denn dieses gewinne mit dem erweiterten Recht der Männer mehr zuverlässige Verteidiger. Die Mehrheit der Delegierten war jedoch der Meinung, die Arbeiterpartei" könne durch eine unbeugsame Haltung im Sinne des Antrags einen starken Druck im Parlament ausüben und dadurch das allgemeine Wahl­recht für beide Geschlechter erobern helfen. Der Antrag wurde mit 919000 gegen 686 000 Stimmen angenommen, deren Gros die Berg­arbeiter stellten. Dem Beschluß gemäß vertreten die Mitglieder der Arbeiterpartei bei Demonstrationen für das Frauenwahlrecht den Grundsatz allen Frauen eine Stimme oder keiner". Damit hat hoffentlich alles Liebäugeln mit dem beschränkten Damenwahl­recht ein Ende.

Das Franenwahlrecht zu dem Bundesparlament der Ber­einigten Staaten hat Genosse Vittor Berger, der einzige sozia­listische Abgeordnete dieser gesetzgebenden Körperschaft, in einer be= sonderen Vorlage gefordert. Ein Zusatz zu der Verfassung der linion soll danach festlegen, daß feiner Person auf Grund des Geschlechts das Wahlrecht versagt werden darf. Die Vorlage wird durch eine Massenpetition unterſtügt, zu der die Sozialistische Partei die Unterschriften sammelt. Diese ist auch in den Vereinigten Staaten von allen politischen Parteien die einzige, die geschlossen und energisch für das Frauenwahlrecht eintritt.

Die Frau in öffentlichen Alemtern. Frauen als Staatsbeamte in Norwegen . Wir haben bereits früher von dem Gesezentwurf berichtet, der den Frauen das Recht zuerkennen wollte, unter den gleichen Bedingungen wie die Männer

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Staatsämter zu befleiden, ausgenommen Ministerposten, geistliche, diplomatische, militärische und tonfulare Stellungen. Der Odelsthing hat im Januar dieſent Gesezentwurf zugestimmt.

Eine befoldete Wohnungsinspektorin ist im Oktober legten Jahres für die Anitshauptmannschaft Auerbach in Sachsen ernannt worden. Die neue Beamtin war früher von den Unternehmern der Dresdener Zigarrenindustrie als Kontrolleurin für die Heim arbeit angestellt. In dieser ihrer Haupttätigkeit hat sie gewiß reiche Gelegenheit gehabt, das Wohnungselend fennen zu lernen.

Frauenbewegung.

Die Art der Zentrumsagitation unter den Frauen konnte man in Recklinghausen gut studieren. Während des Wahlkampfes hat dort im Januar die Partei für Wahrheit, Freiheit und Recht" die erste Frauenversammlung abgehalten. Das nämliche Zentruni, das bis vor kurzen Jahren Mordio schrie und alle Eide schwor, daß die Frau ihre Interessen auf das Haus und den Kochtopf be schränken müsse! Die Zeiten ändern sich. Die Furcht vor der Auf­flärung, welche die Sozialdemokratie unter die Proletarierinnen trägt, läßt die flerifale Schutztruppe der Zoll- und Steuerwucherer und Scharfmacher nun selbst tun, was sie den Roten " als Schänd­lichkeit angerechnet hat. Die Recklinghauser Frauenversammlung wurde von Herrn Professor Wildermann geleitet. Frau Miebach­Düsseldorf war Referentin. Die Dame gab einen überblick über die Entwicklung der Frauenarbeit, natürlich ohne dabei der kapi. talistischen Ausbeutung an den Karren zu fahren und von Hunger löhnen zu reden. Bei der Erörterung der Berufe, zu denen die bürgerlichen Frauen drängen, befürwortete sie namentlich die ärzt liche Tätigkeit und behauptete, daß katholische Ärztinnen ganz be sonders gewissenhaft sein würden. Die Begründung dafür blieb Frau Miebach schuldig. Politische Schulung der Frauen will sie im Interesse des Mannes und der Kinder gelten lassen. Zur Frage des Frauenwahlrechtes stellte sie sich abwartend: wenn es komme, so würden die Katholikinnen es zu nutzen wissen". Sie hielt sich damit im großen ganzen an das Programm der klerikalen Frauen­organisation in Düsseldorf , deren sie auch rühmend gedachte. Die Rednerin ließ übrigens feinen Zweifel darüber, daß die Erfolge der sozialdemokratischen Frauenbewegung die Katholikinnen zur Nacheiferung zwinge. Ein großer Teil des Vortrags bestand aus den kindlichen Mätzchen und den albernen, zusammengelogenen Geschichten, mit denen das Zentrum seine Schäflein vor der ††† Co­zialdemokratie gruselig zu machen sucht. Unsere Zeit und der Raum der Gleichheit" sind uns zu wertvoll, um all den niederträchtigen Tratsch wiederzugeben, der sich dreist mit den Produkten des Reichs­verbandes messen kann. Nur so viel, daß die Sozialdemokraten in Barcelona nicht nur ein Kloster mit vierzehn Schwestern verbrannt haben sollen, sondern hintendrein noch in einem besonderen Auto­dafé die mit Petroleum begossenen Leichen der frommen Frauen. Die deutsche Sozialdemokratie aber hat 45000 Franken nach Barce­Iona geschickt. Gemißhandelte Geistliche, ausgeraubte Klöster, auf­gespießte Kinder, alle möglichen Schrecknisse in Rußland , Spanien , Portugal und Frankreich ließ der Redekinematograph der Frau Miebach vor den entsegten Zuhörerinnen als Werke der Sozial demokratie vorübergleiten. Katholische Frauen, helft die Sozial­demokraten aus dem Felde schlagen, ehe es in Deutschland zu solchen Greueln kommt, das war die Schlußpointe. Die Versammlung war von gegen 160 Frauen besucht, unter denen es kaum Proletarie­rinnen gab. Diskussion fand nicht statt. Professor Wildermann forderte nach dem Vortrag die Zuhörerinnen auf, für das Zentrum und auch für die Sozialdemokratie zu beten, vielleicht würden sich die anwesenden Genossinnen" befehren. Genossin Endmann war während der Versammlung Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit, die sie dem lebhaften Tun einer Frau Deming zu verdanken hatte, ihres Zeichens Gemüschändlerin. Sieket, jeẞt lacht se!"" Jetzt schriewet se!" Mit solchen Ausrufen lenkte die Brave die Blicke der Damen auf die Genossin. Den Höhepunkt erreichte das dieser ge­widmete Interesse, als auf der Rednertribüne das Wort Ge­nossinnen" fiel. Hier sizet se!" schmetterte Frau Deming triumphie­rend heraus, und aller Augen flogen der leibhaftigen Sozialdemo fratin zu. Nach Schluß der Versammlung wurden einige Genossinnen bis auf den Marktplatz von einer ganzen Prozession Zentrums damen begleitet, die sich die bequemte Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, so nahe Verwandte des Gottseibeiuns zu begaffen. So geschehen im Jahre des Heils 1912, zu dem Zivecke, die katho­lischen Frauen politisch zu schulen. Heilige Einfalt!

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a. n.

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .