Nr. 17

Die Gleichheit

Wehrvorlage. Das Verhalten der Fortschrittler zum Kolo­nialetat hat noch unterstrichen, daß der Liberalismus mit vollen Segeln in das uferlose Meer des Imperialismus steuert. Die Waldstein und Kompanie haben sich mit den Arendt, Erzberger und Konsorten als parlamentarische Klopffechter des handelnden und gründenden Großkapitals in den Kolonien zusammengefunden. Ihre rückläufige Ent­wicklung halten sie nicht einmal des Versuchs einer sachlichen Rechtfertigung wert. Zur Tagesordnung des kapitalistischen  Geschäftes gehen sie mit der albernen Hoffnung über, die Sozialdemokratie werde in naher Zukunft, so verlumpt und berlottert wie sie, den grundsätzlichen Kampf gegen den Ka­pitalismus einstellen.

Wie aber steht es mit dem Linksmarsch des Liberalismus auf dem Gebiet, das er als das ureigenste Feld für die Be­tätigung demokratischer Grundsäge anzusprechen liebt: auf dem Gebiet der verfassungsmäßigen Rechte der Volksver­tretung? Hier wollte der tatendurstige Geselle wie ein Löwe gegen die blauschwarze Reaktion ankämpfen. So haben wir wenigstens vom Liberalismus selbst gehört. Betrachten wir kurz die Mäler seines Kampfes.

Die Rolle der Nationalliberalen bei der Wahl des Reichs­tagspräsidiums ist in frischer Erinnerung, ebenso das lächer­liche Nachspiel des grotesken Zwischenspiels. Die Volks­parteiler mußten in der Sache steifnackig bleiben: der Anüppel lag beim Hunde. Allein gegen das Gramm Würde und Selbständigkeit, das sie bewiesen hatten, warfen sie bald darauf ganze Pfunde schwächlichen Zusammenknickens im Kampfe um die Stellung und das Recht des Parlamentes in die andere Wagschale. Wilhelm II.   hatte höchst ungnädig dem Hofgang der beiden provisorischen bürgerlichen Mit­glieder des Reichstagspräsidiums abgewinkt, weil es dem Liberalismus nicht gelungen war, den sozialdemokratischen Bären am Nasenring höfischer Etikette vor den Thron zu führen. Die aufrechten Liberalen dankten für den aller höchsten Fußtritt, indem sich ihr endgültiges Präsidium

vom Sozialdemokraten gereinigt- in tiefster Ehrfurcht vor der entrunzelten Stirn des Raisers neigte. Der Libera­lismus ergriff ferner begierig die Gelegenheit, seinen Byzan­tinismus vor dem italienischen König zu erweisen, in dessen Namen in Tripolis   Frauen, Kinder und Greise hinge­schlachtet werden. Der Regierungsvertreter Delbrück   schnauzte die Reichsboten an, er könne für ihre Mitglieder nicht ein ordnungsmäßiges Recht zur Kritik an der Tätigkeit des Ressorts eines Bundesstaats anerkennen. Der fortschritt­liche Reichstagspräsident, der die Rechte des Parlamentes wahrnehmen soll, stotterte dienstbeflissen, seine Stellung decke sich vollkommen mit den Äußerungen des Herrn Staats­fefretärs". Seine Partei rief ihn dafür nicht zur Ordnung. Der nationalliberale Jund verwahrte sich gegen die über­triebenen Forderungen der Sozialdemokratie", daß dem Reichstag   die Entscheidung über Krieg und Frieden zu­stehen solle, und daß der Reichskanzler abdanken müsse, wenn seine Politik sich nicht in übereinstimmung mit der des Par­Iamentes befinde.

Ist jedoch nicht die Ausgestaltung des Interpellations­rechtes eine erste feste Willensäußerung des Liberalismus zur parlamentarischen Macht? Ach, die große" Reform ist bei Lichte betrachtet eine recht harmlose Verbesserung der Geschäftsordnung des Reichstags, in deren Fassung und Praris das Parlament jederzeit unbestritten souverän ge­wesen ist. Der neue Liberalismus hat außerdem nicht ein­mal in der Jammerecke der Opposition den Mut gefunden, für den Reichstag   das Recht festzulegen, im Anschluß an Interpellationen die Handlungen der Regierung zu billigen oder zu mißbilligen. Er darf bescheiden und zartfühlend nur äußern, ob er ihnen zustimmt oder nicht zustimmt. Eine andere Bindung des Reichstagsrechts nach dem eventuell die Verhandlungen über Interpellationen auf einen be­stimmten Sizungstag in der Woche beschränkt werden kön­nen ist in der Kommission von dem Volksparteiler Payer

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in Bundesbrüderschaft mit dem Zentrümler Gröber und dem Konservativen Kreth gegen die Sozialdemokratie durch gedrückt worden. Alles in allem haben die Liberalen  - ihr linker Flügel mit inbegriffen- weit weniger mit der Sozialdemokratie gemeinschaftlich gegen die Schwarzblauen für ein wirksames Interpellationsrecht gekämpft, als viel­mehr mit Zentrümlern und Konservativen die geheischten Reformen verhunzt. Sie sind mitschuldig daran, daß die er­wähnte parlamentarische Befugnis kein Speer ist, der das selbstherrliche Regiment verwunden kann, sondern nur ein geknicktes Grashälmlein, das den Gegner etwas unter der Nase von Gottes Gnaden fizelt.

Wer übrigens troz alledem noch an einen möglichen ern­Sten Kampf des Liberalismus für die politische Demokratie glaubt, der schaue dahin, wo die entscheidenden Schlachten geschlagen werden: nach Preußen. Wie die Partei Basser­manns und Fuhrmanns die Forderung des demokratischen Wahlrechts durch Pluralstimmen für den Besitz und andere neue Geldsacksprivilegien verschandeln will, ist bekannt. Die Fortschrittler ließen aber kürzlich im Dreiklassenhaus durch ihren Wortführer Gyßling erklären, daß sie wohl an der Forderung des Reichstagswahlrechts für Preußen festhielten, sich jedoch nicht darauf versteifen würden". Diese Helden sind also von vornherein entschlossen, nicht kämpfen zu wollen um nicht siegen zu müssen. Und als Unterpfand ihres Ab marsches nach rechts haben sie der Regierung der Moabiteret den Geheimfonds von 300 000 mt. bewilligt, aus dem die Lockspizel und andere Nichtgentlemen des Kapitalistenstaats bezahlt werden, die die Wahlrechtskämpfe und Streikende niederknütteln helfen. Offenbar um darzutun, daß keine Mainlinie mehr den Verfall der Demokratie im Norden und Süden scheidet. Bekanntlich stimmte die Spielart des Links­liberalismus im elsaß  - lothringischen Parlament diensteifrig für den Gnadenfonds" des Kaisers, gegen dessen glatte Be­willigung sich zunächst sogar die Zentrümler auflehnten.

Der prophezeite neue Liberalismus ist der alte Liberalis. mus geblieben, ja er ist zum noch älteren Liberalismus ge­worden. Das ist der natürliche Lauf der Dinge, denen die Liberalen als bürgerliche Partei unterworfen sind. Wir dürfen ihre Taten nicht messen an ihren Worten noch an den Träumen einzelner in ihren und unseren eigenen Reihen. Wir müssen sie nüchtern begreifen aus der Entwicklung der kapitalistischen   Ordnung, deren politische Schutztruppen sie find. Je weniger die proletarischen Massen für ihren Vor­marsch von dem Liberalismus erwarten, je bewußter sie nur auf ihre eigene Macht vertrauen, um so wirksamer werden sie diese für ihre Forderungen einsehen.

Spezialisierte Agitation unter den Frauen.

II.

So notwendig wie die besondere Agitation unter den Landarbeiterinnen und unter jenen Frauen und Mädchen Ast, die unter dem geistigen Einfluß des Zentrums stehen, so notwendig ist sie unter den Lehrerinnen und Handlungs­gehilfinnen sowie unter noch anderen Gruppen weiblicher Berufstätiger. Unsere Agitation muß an die wirtschaftlichen und öffentlich- rechtlichen Verhältnisse dieser Frauen an­knüpfen; sie hat darzutun, wie in der Gegenwart die für sie notwendigen Reformforderungen am nachdrücklichsten und ehrlichsten von der Sozialdemokratie vertreten werden; wie also diese am meisten bestrebt ist, die sozialen Schranken hin­wegzuräumen, die der Entfaltung und Betätigung der weib­lichen Kräfte entgegenstehen. Gleichzeitig muß natürlich nachgewiesen werden, wie sehr speziell auch diese Frauen­gruppen an der Verwirklichung des Sozialismus interessiert sind. Daraus ergibt sich alsdann die Notwendigkeit des Ein­tritts in die Partei und der Mitarbeit für dieselbe. Einige Beispiele mögen das Gesagte beleuchten: Die Lehrerinnen, die den verschiedensten sozialen Schichten entstammen,