266

Die Gleichheit

mittelt, die zur allgemeinen Zufriedenheit ihre große Aufgabe er­füllte. Es fanden nicht weniger als 21 Versammlungen statt, die durchschnittlich sehr gut und zwar vorwiegend von Frauen besucht waren. Die Agitation erstreckte sich auf folgende Orte: Stettin  , 3üllchow, Grabow  , Nemiz, Stolp  , Röslin, Neustettin  , Kolberg  , Gollnow  , Janid, Uder­münde, Licpgarten, Torgelow  , Antlam, 2assan, Wolgast  , Greifswald  , Garz   a. R., Stralsund   und Demmin  . In allen Versammlungen lautete das Thema: Was haben wir von dem neuen Reichstag zu erwarten?" Die Tages­ordnung war in der Annahme gewählt worden, daß sich die Wogen der Wahlbewegung noch nicht gelegt hatten, und daß die Freude über den Erfolg der Sozialdemokratie in dem heißen Kampfe noch die Gemüter in Spannung hält. Die Erfahrungen haben be­stätigt, wie richtig das war. Alerorten wurden die Ausführungen der Referentin mit großem Interesse verfolgt, und jede Versamm­lung brachte der Partei neue Mitglieder zusammen 150 Männer und Frauen, der Parteipresse Leser. Für Pommern   ist das ein schöner Erfolg, und es wird nun an den örtlichen Organisationen liegen, die neugewonnenen Mitstreiter dauernd zu erhalten und zu überzeugten Sozialdemokraten zu erziehen. Die Agitation war ein Vorspiel des großen Vorstoßes zur Aufrüttelung der Frauen und zur Eroberung ihrer Rechte als Staatsbürgerinnen, der am 12. Mai nicht nur in Deutschland  , sondern auch in anderen Län­dern erfolgt. Sie hat Tausende auf die große Bedeutung unseres Frauentags hingewiesen, hat flar gezeigt, daß die Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes sich aufraffen und immer lauter, dringender den Ruf nach ihrer vollen politischen Gleichberechti­gung erheben müssen. Der Frauentag wird bekräftigen, was schon der 1. Mai mit Donnerstimme über die Lande gerufen hat: Die Ausgebeuteten der ganzen Welt fennen keinen Nationalhaß, sie wissen, daß sie alle Brüder und Schwestern sind, die unter dem Joch des Kapitals seufzen. Sie reichen sich die Hände zum Ge­löbnis, vereint Ausbeutung und Knechtschaft zu bekämpfen. Weder Sprache noch Religion oder Rasse kann ihren Bruderbund scheiden. Der 12. Mai wird im Zeichen des Kampfes für Freiheit, Gleich­heit und Brüderlichkeit stehen und beweisen, daß nicht nur die Proletarier aller Länder", sondern auch die Proletarierinnen sich vereinigen. Berta Horn.

"

Nach langer Pause fand im Volkshaus zu Remscheid   wieder eine öffentliche Frauenversammlung statt. Genosse Wende­muth Solingen hielt einen gut durchdachten Vortrag, in dem er den Frauen vorzüglich darlegte, warum sie sich mit Politik be­faffen müssen. An reichen Tatsachen wies er nach, welche wich­tigen Dinge für die Frau als Arbeiterin, als Wirtschaftsverwal terin, als Mutter und Erzieherin bei der Politik auf dem Spiele stehen. Eine proletarische Frau, die nicht wie ihr Mann die fezialdemokratische Bewegung fördert, versündigt sich an sich selbst und der ganzen Familie. Die Aufforderung, das Gehörte zu beherzigen und sich immer mehr an der Arbeit der sozial­demokratischen Partei zu beteiligen, schloß den Vortrag. In der Diskussion sprachen Genosse Grüß und Genossin Katt winkel. Besonders eindringlich wurden die Genossinnen noch aufgefordert, tätig zu sein, damit unser Frauentag eine gewaltige Demonstration werde. Mit einem kurzen Schlußwort der Vor­sitzenden erreichte die Versammlung ihr Ende. Auf Ersuchen trug Genosse Weyers, ein guter Rezitator, in packender Weise noch einige Gedichte vor. Ihm wurde wie auch dem Referenten großer Beifall zuteil. Hoffentlich wird diese Versammlung Früchte tragen.

Frau G. Böttcher.

Von den Organisationen. Im Kreise Hagen  - Schwelm   marschiert die proletarische Frauenbewegung jetzt auch. Den Fortschritt ver­anschaulichen am besten Ziffern. Am 1. April 1909 gab es 406, am 1. April 1910 367, am 1. April 1911 470, am 1. April 1912 540 weibliche Mitglieder der Parteiorganisation. Dabei ist zu be= merken, daß noch am 1. Januar dieses Jahres die Zahl der or­ganisierten Genossinnen erst 457 betrug. Die nach dem Wahl­Tampf einsetzende rege Agitation hat den Gewinn ton 80 neuen Anhängerinnen gebracht. In allen Orten des Kreises sind Frauenversammlungen abgehalten worden, die im An­schluß an die aufrüttelnde Wahlzeit ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Die Genossinnen sind froh, daß die Zahl der weiblichen Parteimitglieder das erste halbe Tausend überschritten hat, sie setzen alle Kraft ein, um bald das ganze Tausend zu erreichen. Otto Müller  , Wirges+. Eine große Lücke ist in die Reihe der Genossen und Genossinnen des Westerwaldes gerissen worden. Unser treuer, aufopfernder Genosse Otto Müller   in Wirges  ist nicht mehr. Das bedeutet für die Arbeiterschaft des Bezirkes

Rosi Wolfſtein  .

Nr. 17

einen sehr schmerzlichen Verlust. Überall, wo es galt, die Inter essen der Ausgebeuteten zu vertreten, war Genosse Müller mit Rat und Tat zur Stelle. Weder Sturm noch Regen konnten ihn abhalten, als Agitator und Organisator die schwarzen Gegenden des Bezirkes zu durchwandern, dessen Reichstagskandidat er war. Nichts scheute er, um Licht in die Köpfe der Massen zu bringen. Wenn die Gegner tobten, so sette er erst recht seine ganze Kraft im Dienste der Sozialdemokratie ein. Sein unermüdliches Wir­ten brach vorzeitig seine Gesundheit, aber es blieb nicht unbe­lohnt. Genosse Müller erlebte noch die Genugtuung, daß sich die sozialdemokratische Stimmenzahl in seinem Wahlkreis verdrei­fachte. Die Aufklärung und Organisierung der proletarischen Frauen hat unserem Genossen sehr am Herzen gelegen. Er hat sie jederzeit mit Verständnis und Begeisterung gefördert. Jede Gelegenheit benußte er, um den Proletarierinnen zu zeigen, daß der Sozialismus ihr großer Befreier ist und daß sie deshalb mit der Sozialdemokratie zusammen kämpfen müssen. Nun hat der Tod seinem selbstlosen Streben ein vorzeitiges Ziel gesetzt. Die Liebe und Achtung, die der Genosse Müller genoß, kam bei seinem Begräbnis rührend zum Ausdruck. Aus vielen Orten des Wahl­kreises waren Genossen erschienen, um ihm das letzte Geleit zu geben. Aber auch die Ehrung der Gegner fehlte nicht: Gen­darmerie überwachte den Leichenzug und die Feier am Grabe. Alle roten Schleifen mußten von den Kränzen entfernt werden, ehe der Zug sich in Bewegung setzen durfte; eine vom Bezirks. vorstand gestiftete rote Schleife wurde sogar konfisziert. Schwarze

Gaffer ließen höhnische und rohe e Worte fallen. Go anerkannten unsere Gegner auf ihre Weise, was der Verstorbene den Prole­tariern der Gegend gewesen ist. Diese werden dem erprobten, zielbewußten Kampfgenossen ein bleibendes Andenken bewahren. Berta Swinnes.

Politische Rundschau.

Die Verhandlungen des Reichstags über die Wehrvorlagen waren wenig bemerkenswert. Kein heftiger Redekampf ent­spann sich. Da alle bürgerlichen Parteien einig waren in der Bewilligung der Rüstungsforderungen, so war kein Anlaß für die Herren, sich außergewöhnlich zu ereifern. Sie hätten gegen die sozialdemokratische Ablehnung der Vorlage wohl noch nicht einmal das gesagt, was sie vorgebracht haben, wenn sie nicht die Ge­legenheit hätten nußen wollen, ihren Patriotismus auf dem düsteren Hintergrund der roten Vaterlandslosigkeit" hell er­strahlen zu lassen. Ebensowenig hatten die Regierungsvertreter Grund, sich mit Reden abzumühen, hatten sie doch die Bewilli gung in der Tasche. Sie erfüllten lediglich eine Förmlichkeit, als sie ihre Sprüche hersagten. Mit dem Reichskanzler waren der Kriegsminister und die Staatssekretäre der Flotte und des Schatzes am Regierungstisch angetreten, aber Neues vermochte feiner der vier vorzubringen, und sie haben der aus zwei in­haltslosen Säßen bestehenden schriftlichen Begründung" der Vor­lage fein Sterbenswörtchen mehr hinzugefügt. Die Sozialdemo= tratie ließ durch drei Redner ihren grundsätzlichen Einspruch gegen den Militarismus erklären. Die Genossen Haase und Gradnauer behandelten ausführlich die Rüstungen und ihre unheilvollen Folgen, während Genosse Wurm die Deckungsvor­lage zerpflückte und aufzeigte, wie sie in Wahrheit eine Deckung vereitle. Hier war denn auch der Punkt, wo die bürgerliche Einig­keit in die Brüche ging. Die Liberalen scheuen die neuen An­leihen und Steuern, die später kommen müssen, wenn die vom Zentrum diftierten Deckungspläne des neuen Schatzsekretärs Kühn durchgeführt werden. Wie dann aber die politische Lage sein wird, das weiß man nicht, und deshalb möchten die Liberalen das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Unter dem frischen Eindrud der Wahlen, die die Feinde der Erbschaftssteuer so bös mitge nommen haben, wäre es jetzt wohl möglich, so glauben sie, die Erbschaftssteuer durchzubringen. Von einer Verschiebung hin­gegen der Entscheidung fürchten sie die Gefahr, daß unter einer anderen Zusammensetzung der Parteien im Reichstag   Steuern beschlossen werden, die einseitig Handel und Gewerbe belasten. Die Regierung aber will es mit Junkern und Zentrum nicht ver­derben, und sie sucht sich deshalb von der Erbschaftssteuer mit der Ausrede zu drücken, es sei keine Mehrheit dafür vorhanden. Denn die Sozialdemokratie würde für die Erbschaftssteuer nicht stim­men, da sie zur Deckung militärischer Ausgaben bestimmt sei. Diesen bequemen Vorwand hat indes die Sozialdemokratie dem Tangen Bethmann schnell aus der Hand gewunden. In der Kom­mission für die Dedungsvorlage hat Genosse Wurm im Namen der sozialdemokratischen Fraktion erklärt, daß sie, um schlechtere