268
Die Gleichheit
troffen werden, soll über sie eine besondere Liste geführt werden, die den Bezirksverbänden vierteljährlich, jedenfalls aber immer vor einer Aussperrung zugesandt werden muß. Der Verband hat fich große Exekutivgewalt zuerkannt, um seinen Beschlüssen Nachbrud zu verleihen. Über seine unbotmäßigen Mitglieder kann er Verweis, Geldstrafen und schließlich den Ausschluß verhängen. Die Unternehmer flügeln immer neue und wirksamere Kampfmittel gegen die Gewerkschaften aus. Mit der Aussperrung nach Altersklassen war es nichts, die nach dem Abc versagte ebenfalls, jetzt soll die Aussperrung in Verbindung mit dem Zwangsarbeitsnachweis herhalten, und die gelben Vereine werden als Hilfs. truppen gegen die klassenbewußten Arbeiter aufgeboten. Wie lange noch glauben die Scharfmacher ihr Spiel treiben zu können? Auch die letzten Unternehmer in der Eisenindustrie und im Bergbau werden schließlich zu der Einsicht gezwungen werden, daß der Arbeiter kein Sklave ist, der sich demütig ihren Geboten unterwirft, sondern daß er als wichtigstes Glied im Arbeitsprozeß bei der Festsetzung der Arbeitsbedingungen gehört werden muß. Auch das Kapital in der Schwerindustrie ist nicht unangreifbar für die Waffen der Arbeiterklasse.
Das Ruhrgebiet steht immer noch unter den Nachwirkungen des großen Kampfes. Die Grubenherren haben offenbar kein ge= nügendes Vertrauen zu ihrer christlichen Streitbrecherorganisation. Ihre Agenten find in allen Grenzgebieten tätig, um neue Arbeitskräfte anzuwerben. Auch die Feldarbeiterzentrale scheinen fie in ihren Dienst gestellt zu haben. In einem Amsterdamer Blatt war eine Anzeige zu lesen, in der Arbeiter für das Ruhr gebiet gesucht werden; sie sollen sich schriftlich an das Vermittlungsamt der Feldarbeiterzentrale wenden. So sorgen die Batrioten für den Schutz der nationalen Arbeit. Die verräterischen Führer der christlichen Organisation entgehen ihrer Büchtigung nicht. Das Gewerkschaftskartell in Dortmund- hörde gab in einer Versammlung für Arbeiter und Bürger Aufklärung über ben Streit. Die Versammlung endete mit Annahme einer Refolution, die bie Streitbrechergewertschaft verurteilt und die Arbeiter zum Austritt aus ihr auffordert. Besondere Freude be= reitet den christlichen Streifbrechern und der Unternehmerpresse der Ausfall der neuvollzogenen Sicherheitsmännerwahlen. Die Christlichen „ fiegten", der alte Bergarbeiterverband ward niedergerungen". Es fanden Erfahwahlen statt für die infolge des Streiks ihres Amtes enthobenen Sicherheitsmänner. Die Wahlbeteiligung war aber mehr als gering. Von etwa 360 000 im Ruhrgebiet beschäftigten Bergleuten übten nur 10 000 ihr Wahlrecht aus. Die Wahlbeteiligung war auf einzelnen Gruben so kläglich, daß die christlichen Vertreter mit 4, 5 und 6 Stimmen gewählt wurden. Die schwache Wahlbeteiligung ist darauf zurückzuführen, daß die Bergarbeiter der Einrichtung der Sicherheitsmänner durchaus kein Vertrauen entgegenbringen können. Die Einrichtung erweist sich in der Tat als die weiße Salbe" nach dem Herzen der Grubenherren. Dafür verfehlt sie aber auch ihre Wirkung als Beschwichtigungsmittel selbst auf das anspruchloseste Gemüt unter der Arbeiterschaft. Wie die Sicherheitsmänner ihr Amt ausüben können, dafür von vielen Beispielen nur eines. Ein Sicherheitsmann hatte in das Fahrbuch eingetragen: Jm Revier 8, Ort 3, Flög 8 standen Schlagwetter. In der Korbbremse( Ort 5) fehlte die Sicherheitsbarriere." Da nun die Eintragungen in die Fahrbücher von der Bergbehörde gelesen werden, so sehen es die Grubenbeamten als ihre Aufgabe an, diese Eintragungen abzuschwächen. So war denn auch hinter der angeführten Eintragung zu lesen:„ Schlagwetter sind durch Seßen einer Blende beseitigt. Der Bremsberg war zugenagelt. Außerdem war ein Arbeiter dabei, um die Barriere zu reparieren. Folglich war diese Eintragung Blödsinn." Obgleich also zugegeben werden mußte, daß alle aufgezählten übelstände tatsächlich vorhanden waren, wurde der Sicherheitsmann als blödsinnig hingestellt, der durch die Eintragung auf eine große Gefahr aufmerksam gemacht hatte. Daß die Bergbehörde gegen eine solche Art der Beschwerdeerledigung eingeschritten wäre, ist nicht bekannt geworden. Da ist es wohl erklärlich, daß die Bergleute den christlichen Söldlingen den Gebrauch der„ weißen Salbe" überlassen und ihnen neidlos ihre Siege" gönnen.
"
Im Hamburger Hafen ist die drohende Streitgefahr einstweilen beseitigt, und zwar dadurch, daß für die größte Gruppe der Hafenarbeiter, für die Schauerleute, ein Tarifvertrag zur Annahme gelangte. Hingegen ist in der Rheinschiffahrt ein Streit ausgebrochen. Das Schiffs- und Maschinenpersonal verlangt Lohnerhöhung und Gewährung von Sonntags- und Nachtruhe. Die Matrosen erhielten bisher 24 Mt. WochenJohn, sie verlangen 4 Mr. mehr; 2 bis 3 Mt. wurden ihnen schon
Nr. 17
zugelegt, sie sind aber damit nicht zufrieden. Die Heizer betommen jett 28 Mt. in der Woche, fie fordern 30 Mt. Überzeitarbeit wurde bis jetzt überhaupt nicht bezahlt. Dabei ist die Arbeitszeit gänzlich ungeregelt und überaus lang. Arbeitszeiten von 105 bis 110 Stunden in der Woche sind keine Seltenheiten, ebenso ununterbrochene Dienstzeiten von 60 bis 72 Stunden. Die Bewegung erstreckt sich hauptsächlich auf den Niederrhein , doch kommen auch einige Firmen auf dem Oberrhein mit in Betracht. Die Einstellung der Arbeit ist allgemein, da das Schiffspersonal au etwa 85 Prozent im Transportarbeiterverband und im Verband der Heizer und Maschinisten organisiert ist; etwa 4000 Mann Streifen.
In der Metallindustrie des Maingaues und im hannoverschen Bezirk wird ein Kampf um Verkürzung der Arbeitszeit geführt. Für den Maingau kam es in Frankfurt am Main zu Verhandlungen; diese scheiterten jedoch. Die Aussperrung wollten die Unternehmer am 4. Mai vornehmen. Die Arbeiter forderten statt der bisherigen 57stündigen Arbeitswoche die 54stündige. Die Unternehmer wollten die Arbeitszeit nur um eine Stunde, also auf 56 Stunden verkürzen. Die Arbeiter ließen sich schließlich dazu herbei, ihre Forderung auf 55 Stunden herabzusetzen. Auch das war aber den Herren noch zu unbescheiden". An der einen Stunde scheiterten die Verhandlungen. In Hannover wird ebenfalls eine Verkürzung der Arbeitszeit von 57 Stunden auf 54 Stunden in der Woche verlangt. Die Unternehmer lehnen eine allgemeine Festsetzung der Arbeitszeit ab, die Festsetzung soll den einzelnen Firmen überlassen bleiben. Bis jetzt haben die Arbeiter bei einigen Firmen die Arbeit niedergelegt. Der Unternehmerverband hat beschlossen, daß keine Firma unter 57 Stunden wöchentliche Arbeitszeit gewähren darf, nur eine Lohnzulage von 3/2 Prozent soll zugestanden werden. Wenn die Unternehmer ihre Bedingungen durch eine Aussperrung der Arbeiter durchseßen wollen, werden etwa 10 000 Metallarbeiter in den nächsten Tagen aufs Pflaster fliegen. Auf der Vulkanwerft in Hamburg legte die gesamte Belegschaft, 4500 Mann, die Arbeit nieder wegen Maßregelung eines Vertrauensmannes. Vom Verband der Schneider ist eine erfreuliche Zunahme der Zahl der weiblichen Mitglieder zu melden. Neben beinahe 38 000 männlichen Mitgliedern wurden 10 499 weibliche im Jahre 1911 gezählt. Für das große Heer der Arbeiterinnen, die in der Konfektion beschäftigt werden, ist das zwar immer noch eine geringe Bahl, doch beweist der erzielte Fortschritt, daß die Organifationsarbeit nicht bergeblich bleibt. Er muß die Genossinnen anspornen, überall den gewerkschaftlichen Zusammenschluß der Frauen und Mäschen im Schneidergewerbe energisch zu fördern.
In frecher Weise wird im Ruhrrevier das Gesetz gebrochen von der Polizei, die Schüzerin des Gesetzes sein soll. Vor einiger Zeit hielt sie Haussuchungen ab in den Geschäftsräumen der Arbeiterzeitungen in Essen und Duisburg und in den an diesen Drten befindlichen Ortsverwaltungen des Transportarbeiter. verbandes. Angeblich sollte der Drucker einer in Duisburg bertriebenen Boftfarte ermittelt werden, die das Bildnis des von einem Arbeitswilligen erschossenen Arbeiters enthält. Die Effener Polizei bemächtigte sich bei der Haussuchung sämtlicher Mitgliederlisten des Transportarbeiterverbandes, obschon diese doch nicht den geringsten Aufschluß über den Drucker der Postkarte geben können. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Beschlagnahme verlangen, daß die Listen mit dem übrigen Material unverzüglich dem Untersuchungsrichter überliefert werden müssen. Statt dessen nahm die Essener Polizei von ihnen genaue Abschriften. Doch verriet sie ihre ungefeßliche Handlung selbst. Denn bei der Rückgabe des beschlagnahmten Materials an den Transportarbeiterverband hatte sie das Bech, eine von ihr gefertigte Abschrift der Mitgliederlisten mit aus. zuhändigen. Ihr rechtswidriges Vorgehen frönte die Polizei aber dadurch, daß sie die abgeschriebenen Listen sogleich der Essener Eisenbahndirektion übermittelte. Die Eisenbahndirektion ihrerseits beging einen schweren Eingriff in das Koalitionsrecht der Arbeiter und maßregelte einen in der Mitgliederliste aufgeführten Eisenbahner. Allerdings gab man dem Gemaßregelten zu verstehen, er könne im Eisenbahndienst verbleiben, wenn er weitere Mitglieder bes Transportarbeiterverbandes im Eisenbahnbetrieb namhaft machen wolle. Diese Schurkerei lehnte der Gemaßregelte ab. Hat vielleicht bie Eisenbahndirektion für die Abschrift der Liste gezahlt, wie vor einiger Zeit der Zechenverband? Denn der geschilderte Fall ist ja nicht der erste von der Polizei begangene Rechtsbruch dieser Art. Vor furzem wurde bekannt, daß die Polizei gegen hohe Bezahlung die Mitgliederlisten des Steigerverbandes an den Bechenverband ausgeliefert hat. Die Polizei wird also einmal dafür bezahlt, bab sie das Gesetz schützt, und dann dafür, daß sie das Gesetz bricht.