Nr. 17

Die Gleichheit

Solange die Scharfmacher noch eine so willige Helfershelferin haben, tönnten sie sich eigentlich ihr Geschrei nach Maßregeln ersparen, bie Soalitionsfreiheit zu erdrosseln. #

Die Aussperrung der Textilarbeiter in Neumünster  . Zu Be­ginn dieses Jahres reichten die Arbeiter der Firma Gebr. Hanssen. Brachenfeld einen Mindestlohntarif ein, der zugleich eine Lohn erhöhung vorsah. Bei der ersten Zusammenkunft mit dem Arbeiter­ausschuß bezeichneten die Unternehmer den Tarif als einen Wisch, der in den Papierforb gehöre". Später indessen gaben sie selbst au, daß ein Arbeiter in Neumünster   von einem Wochenlohn von 18 M. nicht leben tönne, und sie versprachen bestimmt, eine Lohnerhöhung zu gewähren und die Löhne durch Tarif regeln zu lassen. Zwet Tage darauf brachen die Herren ihr feierliches Versprechen. Nun­mehr legten gegen 250 Arbeiter und Arbeiterinnen dieser Firma die Arbeit nieder. Trotzdem verschiedene Fabrikanten die Notwendig teit einer Lohnerhöhung anerkannten, erklärte sich der Fabrikanten­verein der Textilindustrie in Neumünster   mit der wortbrüchigen Firma einig und unterstützte sie durch die Aussperrung von tausend Arbeitern, darunter 500 Frauen. Jetzt eilt auch noch der Arbeit. geberverband der deutschen   Textilindustrie zur Hilfe herbei und ge­währt dem Fabrikantenverein in Neumünster   seinen Schuß, weil es den Arbeitern nicht um eine Verbesserung der Löhne zu tun set, sondern um die Erzwingung grundsäßlicher Forderungen der Ge­werkschaft". Also wenn die Arbeiter auf der Einhaltung eines ge­gebenen Wortes bestehen, so nennt das der Arbeitgeberverband der deutschen Textilindustrie eine grundsätzliche Forderung der Gewerk schaft  ". Um die Ehrlichkeit der Unternehmer muß es schlimm be­stellt sein, wenn auch das noch die Gewerkschaften zu einer grund­sätzlichen Forderung erheben müßten. Daß es sich für die Arbeiter jezt nicht um die Erzwingung grundsätzlicher Forderungen handelt, sondern nur um die Milderung der härtesten Not, muß der Arbeit­geberverband wissen. Hat doch die Arbeiterschaft der Firma Gebr. Hanssen und dem Oberbürgermeister von Neumünster   offiziell mit­geteilt, sie sei bereit, die eingereichten Mindestlohntarife zurückzu­ziehen, wenn nur entsprechende Lohnerhöhung für die schlechtest ent lohnten Arbeiter gewährt würde. Doch die Firma wie der Fabri­fantenverein lehnten jede Einigungsverhandlung schroff ab. Freilich Zündstoff für eine grundsägliche Abrechnung mit den Ausbeutern ist in Neumünster   genügend angehäuft. Es sei nur hingewiesen auf die rohe Behandlung, auf die fortgesette Maßreglung der Stom missionsmitglieder und auf die gemeinen Beschimpfungen, die die Arbeiter seit Jahren erdulden müssen. Die Fabrikanten suchen jetzt Arbeitswillige aus Österreich   heranzuholen, namentlich Spinnereiarbeiterinnen wollen fie als Streitbrecherinnen ge­winnen. Es wird daher vor Zuzug von Textilarbeitern aller Art nach Neumünster   dringend gewarnt.

Aus der Holzindustrie. Die organisierten Holzarbeiter haben die letzten Wochen eifrig benutzt, um die Maiforderung des Acht stundentags ihrer Verwirklichung näher zu bringen. Zwar gibt es auch heute noch in der Holzindustrie vereinzelt Arbeitszeiten von über 10 Stunden täglich, es handelt sich aber dabei fast durchweg um weltentlegene Orte oder um Branchen, deren Arbeiterschaft der Organisation bisher noch schwer zugänglich war. Doch erzielt auch hier die Aufklärungsarbeit schrittweis Erfolge. Auf der anderen Seite hatten am Jahresschluß 1911 schon 29600 Arbeiter und Ar­beiterinnen in der Holzindustrie eine tägliche Arbeitszeit von 8 bis 8 Stunden und weitere 59400 eine solche von 8 bis 9 Stunden durch Tarif gesichert. Von 182025 zu dieser Zeit unter Tarifver trägen Arbeitenden hatten nur 9967 eine Arbeitszeit, die länger als täglich 9 Stunden währte. Dies Verhältnis hat sich jedoch in den vier verflossenen Monaten dieses Jahres bereits bedeutend günstiger für die Arbeiter gestaltet. Die große Tarifbewegung bes Frühjahrs brachte die Arbeitszeit in 5 Orten auf 56 beztv. 57, in je 4 Drten auf 54 und 52 und in 2 auf 58 Wochenstunden herab. Bor furzem ist nunmehr die rheinisch- westfälische Tarifgruppe auf friedlichem Wege erneuert worden, und auch dabei wurde eine bedeutsame Arbeitszeitverkürzung durchgesezt. Die Großstädte Bo­ chum  , Dortmund  , Essen   und Hagen- Haspe   erzielten für die neue Vertragsdauer eine Stunde Arbeitszeitverkürzung und kommen damit auf 53 Wochenstunden. Für Borbed, Gelsenkirchen   und Recklinghausen   wurde mit 2 Stunden Verkürzung nunmehr bie 54stündige Arbeitswoche festgelegt, für Glabbed die 55 stündige. In Bottrop  , Hamborn   und Wanne, die bisher 59 wöchent liche Arbeitsstunden hatten, ist die Arbeitswoche auf 56 Stunden herabgesetzt worden. Für Ahlen  , Bitmathe, Büdenscheid und Lütgendortmund gelang es, bie Arbeitszeit auf 57 Stunden wöchentlich zu senten. Zu der Arbeitszeitverkürzung tritt überall eine staffelweise Erhöhung der Stundenlöhne um 5 oder 6 f., wodurch der vertragliche Mindest- oder Durchschnittslohn auf 58 bis

269

63 f. für die Stunde steigt. Der höchste Satz von 68 Pf. wird in Bochum  , Dortmund   und Essen erreicht. Dieser Erfolg ist um so beachtenswerter, als gerade im rheinisch- westfälischen In­dustriegebiet allgemein noch recht lange Arbeitszeiten herrschen. Ferner ist dort in der Holzindustrie der Arbeitgeberbund für das Baugewerbe stark ausschlaggebend, und dieser betrachtet es be­tanntlich als ein besonders frevelhaftes Unterfangen, wenn die Proletarier eine Arbeitszeit von weniger als täglich 10 Stunden fordern. Erschwert werden zudem in diesem Gebiet alle Lohnkämpfe badurch, daß hier neben dem Deutschen   Holzarbeiterverband auch noch der Zentralverband christlicher Holzarbeiter und der Gewerk. verein der Holzarbeiter( H.-D.) Mitglieder haben. Allerdings haben auch die Arbeitgeber dort mit mehreren Drganisationen zu rechnen, mit dem Bauarbeitgeberbund und einem Bund der Tischlerinnungen. Von den Erfolgen dieser Gruppenbewegungen abgesehen, find in letzter Zeit auch in zahlreichen einzelnen Orten wesentliche Fort­schritte erzielt worden. So ſetzten bie Tischler in Torgau   drei Stunden Arbeitszeitverkürzung durch. Der gleiche Erfolg wurde in Weinheim   bei zwei großen Firmen errungen, außerdem Lohn­ausgleich und darüber hinaus 5 Pf. Aufschlag auf den Stunden­lohn. In Wilhelmshaven   wurde ohne Streit die Arbeitszeit von 54 auf 53 Wochenstunden herabgesetzt, die Löhne steigen um insgesamt 7 Bf. pro Stunde. Die Arbeitszeit wurde ebenfalls in Ahrensburg   bei Hamburg   und Varel   in Oldenburg   verkürzt, der Lohn stieg dort um 7 Pf., hier um 5 bezw. 6 Pf. In Mittweida  und Garmisch   wurden Bewegungen erfolgreich abgeschlossen.

Trotzdem stehen aber unablässig größere Scharen von Arbeitern im Lohnkampf. In Berlin   streifen gegenwärtig die Stellmacher in 11 Wagenfabriken, desgleichen in der Görliger Waggon­fabrit. Der Kampf um Durchführung der Schiedssprüche, die in der Frühjahrsbewegung gefällt wurden, dauert in Brieg   und Schönlante nun schon seit Februar an, doch sind gegenwärtig wieder Verhandlungen im Gange. Die Stodarbeiter stehen im Streit in Wald und mit über 400 Personen, darunter viele Ar­beiterinnen, auch in Kassel  - Bettenhausen  . Die Schiffbauer sind ausständig auf den Elbewerften in Schönebed und Um gegend. über 200 Holzarbeiter find an dem Kampfe der Metall­arbeiter in Frankfurt   a. M. beteiligt. Die Korbmacher ringen in größerer Bahl mit einer Kinderwagenfabrik in Rothen. burg   o. d. X. um eine Lohnerhöhung.

Nach den bisherigen Erfolgen der Kämpfe ist zu hoffen, daß im laufenden Jahre die Arbeiter der Holzindustrie einen noch größeren Schritt vorwärts kommen als 1911. fk,

Die Beendigung des Kampfes im Schneidergewerbe. Wie bereits in Nr. 14 der Gleichheit" mitgeteilt wurde, hat Herr Dr. Hiller, Gewerbegerichtsvorsitzender in Frankfurt  a. M., im Auftrag des Staatsministers Delbrück   die Vermitt lung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen im Schneidergewerbe übernommen. Die Verhandlungen begannen am 26. März in Frankfurt   a. M. und nahmen drei Tage in An­spruch. Das Verlangen der Arbeitervertreter, daß örtliche Ver handlungen freigegeben werden sollten, lehnten die Bertreter der Arbeitgeber strikte ab. Herr Dr. Hiller schlug darauf vor, daß ein Lohnzuschlag von mindestens 5 Prozent zu gewähren sei, sowie daß ein Kollegium von drei Unparteiischen über die Beseitigung bon Fehlern und Unebenheiten des letzten Angebots der Arbeit­geber( Ultimatum) entscheiden solle, und zwar nachdem es Ver­treter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer der einzelnen betei­ligten Orte gehört habe. Die Vertreter des Verbandes wie des Gewerkvereins der Schneider( Hirsch- Dunder) lehnten den Vor­schlag ab wie noch zwei weitere Vorschläge des Herrn Dr. Hiller. Der Arbeitgeberverband dagegen wie auch die Vertreter des Christlichen Berbandes stimmten schon dem ersten Vermittlungs vorschlag des Unparteiischen zu. Nach dem vierten und letzten Vorschlag Dr. Hillers follten die Vertreter der Arbeiter einem Kollegium von drei Unparteiischen ihre Wünsche vortragen, das bann unbekümmert um das bisherige Angebot der Arbeitgeber über die Höhe des Lohnzuschlags zu entscheiden hätte. Die Ver­handlungen sollten am 1. April in Jen a beginnen, am selben Lage seien Streit und Aussperrung aufzuheben. Die Vertreter der Arbeitnehmer verpflichteten sich, diesen legten Vorschlag den Streifenden zur Zustimmung zu empfehlen. Von den Ausstän­digen stimmten jedoch nur 551 dafür und 4284 dagegen, 22 hatten sich der Abstimmung enthalten.

Trobem trat das unparteiische Kollegium, bestehend aus den Herren Dr. Hiller Frankfurt a. M., Magistratsrat b. Schulz Berlin und Gerichtsdirektor Dr. Preuner­München am 2. April in Jena   zusammen. Nach längeren Beratungen wurden die brei Unparteiischen als Einigungskom­