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Die Gleichheit

mission anerkannt. Die Vertreter der Arbeiter aus den einzelnen Städten hatten nun vor der Kommission ihre Forderungen zu be­gründen, und die Arbeitgebervertreter mußten ihre Gegengründe geltend machen. Die anwesenden Vertreter der Zentralvorstände fonnten jederzeit zugunsten ihrer Mitglieder in die Debatte ein­greifen. Nachdem die Unparteiischen" sich auf diese Weise in formiert hatten, zogen sie sich zur Beschlußfassung zurück. Ihrer Entscheidung war in jedem einzelnen Falle eine Begründung bei­gefügt. Die durch ihren Schiedsspruch erzielten Prozente auf die Grundlöhne betragen für Berlin   8/2, Köln  , Trier   und Meiningen  5/2, Düsseldorf   und Halle 7/2, Hamburg   in Klasse Ia 7/2, Ib und IIa 7, IIb 11 und Klasse III 7, Liegniß für schwarze Sachen und Hosen 12, im übrigen 7/2, Lübeck   für Zivil- und Damen­schneiderei 7/2, für Uniform und Lieferung 5, Magdeburg 7, München   9, Quedlinburg   6, Solingen   5 Prozent. Auf Grund dieser prozentualen Zuschläge hatten die örtlichen Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Prozente auf die einzelnen Tarifpofitionen umzurechnen. Es war ihnen dabei der weiteste Spielraum insofern gelassen, als sie die Prozente auf die ein­zelnen Positionen verschieden verteilen konnten, vorausgesetzt daß im Durchschnitt der festgelegte Prozentsaß dabei herauskam. Ein Einspruchsrecht gegen die Beschlüsse der Unparteiischen stand weder den Arbeitgebern noch den Arbeitnehmern zu. Am Schlusse der Verhandlungen fand eine kurze Debatte über die Einführung eines Reichstarifvertrags statt. Vereinbart wurde, daß die Zen­tralvorstände der in Betracht kommenden Organisationen sich ver­pflichten, innerhalb der nächsten drei Monate unter dem Vorsitz der drei Unparteiischen zur Beratung der Frage zusammenzu­treten. Die Parteien wie die Unparteiischen können Anträge dazu einreichen. Im allgemeinen sind die Arbeiter mit dem Abschluß des Kampfes zufrieden, wie die Refolutionen bei der Berichter­stattung über die Jenaer   Verhandlungen bekunden.

Notizenteil.

Dienstbotenfrage.

H. Stühmer.

Dienstmädchen in Kurorten. In der Göppinger Freien Volks­zeitung" schreibt ein Dienstmädchen folgende Mahnung, die in weitesten Kreisen bekannt werden sollte: Es rückt wieder die Zeit heran, wo die reichen Leute sich in die Kurorte begeben, um sich dort von ihren Strapazen zu erholen. Auch manches Mädchen wird in die Kurorte gelockt und kehrt nach viel Mühsal enttäuscht zurück. Zur Warnung möge mein eigenes Erlebnis dienen. Ich war in einer Stellung als Zimmermädchen und hatte es soweit ganz ordent­lich, nur fehlte es mir an Freiheit, auch der Lohn ließ zu wünschen übrig. Als das Frühjahr kam, wollte ich meine Lage verbessern; den gleichen Wunsch hatte meine Freundin. Da wir von verschie denen Mädchen gehört hatten, daß man in einer Saisonstelle in sechs Monaten soviel verdienen würde, wie anderswo in einem Jahr, so entschlossen wir uns, in eine solche Stelle zu gehen. Wir schrieben nun an eine Stellenvermittlerin in Bad Nauheim  , die uns gleich mitteilte, daß sie zwei gute Stellen für uns als Zimmer­mädchen habe. Wir waren ganz glücklich und teilten ihr mit, daß wir kommen würden. Der 1. Mai kam, und wir fuhren zusammen mit anderen Mädchen nach Bad Nauheim  .

Wir waren unterwegs sehr vergnügt, bis sich ein Mann zu uns gesellte und uns fragte, wo wir hinreisten. Wir sagten es ihm, worauf er erwiderte, daß von da schon viele Mädchen unglücklich wieder zurückgekehrt seien. Wir sollten uns nur nicht überall hintun lassen. Endlich famen wir nach achtstündiger Fahrt in Bad Nauheim  an. Am Bahnhof erwartete uns der Stellenvermittler, der uns gleich recht grob empfing. Wir mußten durch viele Straßen gehen, bis wir an das Haus der Stellenvermittlerin kamen. Als wir nach unseren Plägen fragten, gab die Stellenvermittlerin uns zur Ant­wort: Ihr müßt eben warten, ich muß zuerst sehen, welche Frauen noch ein Mädchen brauchen.

So warteten wir bis abends 7 Uhr bei der Frau, ohne zu wissen, wohin. Endlich sagte sie uns, wir müßten bei ihr übernachten, sie könne jezt in kein Haus mehr gehen, es sei zu spät. Als wir fragten, was das übernachten koste, sagte sie ganz ruhig: 2 Mt. Auf dieses Angebot ging ich nicht ein, ebensowenig meine Freundin. Wir sagten der Frau, wir wollten lieber wieder nach Hause fahren, denn wir hatten schon genug, worauf sie uns zur Antwort gab, daß wir nicht gehen dürften, weil wir nach hier verdingt seien und hier bleiben müßten. Es gelang uns nach allerhand Schwierig­keiten und Ausgaben, eine Stelle zu bekommen, während die anderen Mädchen, die kein Geld mehr hatten, vollkommen der

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Willkür der Stellenvermittlerin ausgeliefert waren. Diese brachte sie schließlich in sehr schlechten Stellen unter, wo sie das Schlimmste zu erdulden hatten, weshalb sie auch Nauheim   nach kurzer Zeit wieder verließen. Ebenso erging es meiner Freundin, die nicht ge= nug zu essen bekam und deshalb auch bald krant nach Hause gehen mußte. Ich hatte in meiner Stelle eine Arbeitszeit von morgens 5 bis nachts 11 Uhr und mußte sehr streng arbeiten. Den Sonntag bekam ich nicht frei. Den erhofften guten Verdienst hätte ich nur erreichen können, wenn ich mich zu allerlei wüsten Zwecken hätte mißbrauchen lassen. So aber habe ich weniger verdient als in meiner anderen Stelle. Ich kehrte, als die Saison zu Ende war, enttäuscht und abgeschunden zurück."

Dieses Beispiel zeigt wieder, wie dringend erforderlich es iſt, daß auch die Dienstmädchen die Notwendigkeit begreifen lernen, fich zu organisieren. Denn nur eine starke Organisation fann Un erfahrene vor der gewissenlosen Ausbeutung schüßen, die überall auf sie lauert.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

I. K. Die vierte Jahresversammlung des Verbandes der sozialdemokratischen Frauenvereine Hollands   hat zu Ostern stattgefunden. 22 Frauenvereine waren vertreten. Die Vorsitzende, Genossin Wibaut, erinnerte in ihrem Bericht an die bedeutendsten Vorgänge im verflossenen Geschäftsjahr; an die Agitation, um der Massenpetition für das allgemeine Wahlrecht aller Großjährigen viel Unterschriften zu gewinnen; an die Verhandlungen des Parla ments über wichtige Fraueninteressen; an das bevorstehende Kranken­versicherungsgesetz, das wahrscheinlich keinen genügenden Mutter schaftsschutz bringen werde; an die Lehrerinnen und weiblichen Staatsbeamten, denen bei Verheiratung Entlassung droht usw. Ge­nossin Wibaut wies nach, daß die herrschende Bourgeoisie die tiefste Empörung der Frauen herausgefordert habe, und daß diese Em pörung ihren Höhepunkt in dem Kampf für das allgemeine Wahl­recht finden müsse. Sie forderte die Genossinnen auf, energisch da. für zu sorgen, daß der bevorstehende Frauentag zur Kundgebung des ernsten Willens werde, volle staatsbürgerliche Rechte für das weibliche Geschlecht zu erobern. Die Schriftführerin des Verbandes teilte mit, daß nach einem Beschluß des Vorstands der Frauentag am 12. Mai stattfinden werde, am gleichen Tage wie in Deutsch  land und Österreich  . Die sozialdemokratische Partei unterstützt die Genossinnen kräftig bei der Kundgebung. Die Schriftführerin machte noch weitere Angaben über die Vorbereitungen zum Frauentag. Die Gewerkschafts- und Parteiblätter veröffentlichen über das Frauen­wahlrecht und den Frauentag Artifel, die ihnen von dem Preß komitee des Verbandes zugesendet werden. Eine Broschüre über das allgemeine Frauenwahlrecht, von Genossin Wibaut verfaßt, soll Aufklärung über die Wichtigkeit unserer Forderung in weite Kreise tragen. Die Parteiorganisationen verbreiten ein Flugblatt zugunsten des allgemeinen Frauenwahlrechts, das der Parteivorstand herausgegeben hat. Die Genossinnen selbst betreiben eine kräftige Agitation. Sie tragen ein entsprechendes Flugblatt in die Woh­nungen und schließlich Handzettel, die zum Besuch der Versammi-. lungen am 12. Mai auffordern. Eine illustrierte Festnummer der Proletarischen Vrouw" wird am Frauentag in den Straßen zur Verbreitung gelangen. 20 Rednerinnen haben sich für die Kund­gebung gemeldet. Jn 20 Städten, wo Frauenklubs bestehen, wird eine öffentliche Versammlung stattfinden, bei der ein Genosse und eine Genossin die Forderung des Frauenwahlrechts begründen. So werden sich hoffentlich am 12. Mai mit den mächtigen Chören der deutschen   und österreichischen Genossinnen helle, freudige länge des Willens der Genossinnen aus Holland   mischen. Die Jahresberichte des Vorstands fanden Zustimmung. Die Abonnentenzahl der Prole­tarischen Vrouw" ist von 2200 auf 2700 gestiegen, die Auflage des Blattes beträgt 5000. Der Redaktion wurde Lob für ihre vor­treffliche Arbeit gespendet, ebenso dem Preßkomitee, das regelmäßig Gewerkschafts- und Parteiblätter mit Beiträgen für die besondere Frauenseite versorgt. Die Kinderbeilage wird gern gelesen.

Die Jahresversammlung hatte den Entwurf eines neuen Ver­bandsstatuts zu beraten. Als Zweck der Organisation wird darin bezeichnet: Die Propaganda für den Sozialismus unter den Frauen zu fördern, gemäß den Grundsägen der sozialdemokratischen Partei. Mittel zum Zweck sollen sein: Die Gründung von Frauenklubs, Agitationskommissionen oder Korrespondenzen, die Herausgabe eines sozialdemokratischen Frauenblattes; die Verbreitung von Flugblättern; die Mitarbeit zur Ausgestaltung der Frauenseite in Gewerkschafts­und Parteiblättern; die Beschaffung von Studien- und Agitations­material für die Frauenvereine; die Anregung zur Beteiligung der Frauen an den Parteiarbeiten usw. Das Statut bestimmt, daß die