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Die Gleichheit
und läßt einen fleinen Stamm Elitearbeiterinnen heranbilden, deren Leistungen als Muster die Heimarbeiterinnen außerhalb des Betriebs und zumal auf dem Lande anspornen und vorwärtspeitschen müssen. Die Heimarbeiterinnen ihrer seits werden aber gegen die Betriebsarbeiterschaft ausgespielt, um die Löhne zu senken. So erhält der Unternehmer gute und bessere Arbeit zu niedrigster Bezahlung. Es ist daher kein Wunder, daß die württembergische Konfektion sich rasch einen Markt außerhalb des Schwabenländles erobert hat. Ihre Erzeugnisse gehen nach Sachsen - die Bausiz inbegriffen, nach Berlin und Schleswig . Holstein, sie sind in den lezten Jahren in Rhein land- Westfalen und der Schweiz borgedrungen. Der Aufschwung scheint bestechend, verliert aber seinen Glanz, wenn man bedenkt, daß eine der stärksten Wurzeln der Blüte das Heimarbeiterinnenelend ist.
Einen eigenartigen Zweig der Bekleidungsindustrie in Württemberg bildet die Korsett fabrikation. Früher herrschte die Fabrikation gewebter Korsette vor. Auf den Fildern bei Stuttgart und auf der Alb waren viele tausend Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen mit dieser Webarbeit beschäftigt. Mitte der sechziger Jahre betrug ihre Zahl über 6000. Die Firma Ottenheimer in Stutt. gart führte 1871 noch 1 127 000 gewebte Korsette nach dem Ausland aus. 1881 waren es nur 277 000; 1891 123 000; 1906: 4800. Auf die Ursachen des Rückganges dieser Hausindustrie hier näher einzugehen, fehlt der Raum. An die Stelle des gewebten Korsetts ist das aus einzelnen Stoffteilen zusammengefeßte genähte Rorsett getreten. Die Hauptorte der heutigen württembergischen Korsettindustrie sind Stuttgart , Cannstatt, Göppingen , Heu bach und Mögglingen , lettere beiden Orte im Ober amt Gmünd . Für die Korsettfabrikation spielt die Heimarbeit eine entscheidende Rolle. In der Fabrik erfolgt das Zuschneiden der Stoffteile, die von der Heimarbeiterin zusammengenäht werden. Das halbfertige Storsett geht an die Fabrik zurück, wo es fontrolliert wird; auch die Ränder werden hier verpuzt. Das Stäbeeinschieben und Sticken ist wiederum Sache der Heimarbeiterin. Das Einfassen, Deilletieren, Appretieren und Bügeln geschieht dagegen wieder in der Fabrik; das Garnieren wird schließlich von der Heimarbeiterin besorgt. Die Gleichheit" hat in früheren Jahren schon ausführlich über die Lage der Korsettnäherinnen in Heubach und Umgegend berichtet.
über die Frauenarbeit im Schuhmachergewerbe, das mit zur Bekleidungsindustrie zählt, haben wir in einem vorhergehenden Artikel bereits Angaben gemacht. In den Wäschereien und Blättereien werden Männer nur in verschwindender Zahl beschäftigt. Der Kleinbetrieb ist hier noch die Regel, Ansätze zur Bildung von Großbetrieben find aber unverkennbar vorhanden. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Arbeitszeit in den kleinen Wäschereien und Blättereien eine ungeregelte und meist eine sehr ausgedehnte ist, die zumal gegen das Ende der Woche kaum Grenzen zu fennen scheint. Etwas besser liegen die Dinge in dieser Hinficht für die großen Betriebe, wo die Arbeitszeit durch das Gesetz beschränkt ist und auch bessere sanitäre Zustände herrschen. In Stuttgart dürfte sich wohl in dieser Gruppe der Verdienst der Arbeiterinnen im allgemeinen mit dem der Arbeiterinnen in Schuhfabriken, Wirkereien usw. decken, von denen nach den Feststellungen der Orts. frankenkasse 1910 noch nicht ganz die Hälfte über 9 f. in der Woche verdienen und faum 10 Prozent 12 Mr. und dar. über. In der Puzmacherei entfallen die meisten erwerbstätigen Frauen mit 541 auf Stuttgart . Was die Arbeitsbedingungen anbelangt, so erscheinen hier manche der schlimmen Züge der Bekleidungsindustrie überhaupt auf die Spitze getrieben, namentlich aber die Unregelmäßigkeit der Arbeitszeit und des Berdienstes. Die Buzzmacherei ist Saisonarbeit. Die stille Zeit dauert monatelang, die meisten Modistinnen" verdienen dann in ihrem
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Beruf nicht das Salz zum Brot und sind auf allerlei Nebenerwerb angewiesen, wenn sie nicht von der Familie über Wasser gehalten werden können. Dann folgt eine kurze Periode wahnsinniger Arbeitshat, in der die Arbeiterinnen ihre Kräfte bis zur Erschöpfung, bis zum Busammenbruch anspannen müssen. Und der Verdienst? In seinem wertvollen Buche„ Die geheime und öffentliche ProBuche ,, Die stitution in Stuttgart , Karlsruhe und München ", Paderborn 1912, Verlag F. Schöningh, führt Dr. Neher folgendes darüber an. Von 16 Modistinnen im Alter von 18 bis 21 Jahren verdienten 1: 24 Mt. monatlich; 1: 30 M.; 2: 36 MF.; 5: 50 Mt.; 3: 52,50 Mf.; 3: 60 M.; 1: 70,50 Mt. Drei ältere Modiftinnen von 23, 34, 40 Jahren gaben ein Gehalt von 50, 57 und 65 Mt. im Monat an. Eine der Befragten erklärte, daß sie von ihren 50 Mt. Ver dienst 41 Mk. für Kost und Logis allein verausgaben müßte. Dr. Neher zieht das Fazit dieser Zahlen für die Modistinnen sehr richtig mit den Worten:„ Sie darben." und ebenso zutreffend betont er, daß sie mit ihren Hungerlöhnen das Los der meisten Arbeiterinnen des Beklei dungsgewerbes teilen.
Sichere Angaben über die Höhe oder richtiger Niedrigkeit des Verdienstes, den diese haben, sind schwer zu erlangen, dafür sorgt die Isoliertheit der Heimarbeiterinnen, zumal derjenigen auf dem Lande. Bon Unternehmerseite wird der Lohn gewöhnlich auf 2 bis 2,50 Mt. pro Tag angegeben. Gewerkschaftsleiter versichern, daß er nicht selten bis auf 90 Pf. finft. Und daß wir diese Versicherungen nicht als ,, übertreibungen hezender Agitatoren" beiseite schieben dürfen, dafür finden wir in dem genannten Werke folgende Tatsachen. In den Werkstätten der Stuttgarter Konfektion erscheinen die Löhne im Durchschnitt über ihrer Höhe, weil der bessere Verdienst der Direttricen und ersten Arbeiterinnen mit eingerechnet wird. Dieser dürfte selten unter 70 Mt. monatlich betragen, steigt aber in manchen Fällen für Direktricen bis 300 Mt. und darüber. Das Gros der Werkstattarbeiterinnen wird mit einem Lohne von 30 bis 50 Mr. im Monat abgespeist, in den ersten Monaten nach der„ Lehre" erhalten recht viele Näherinnen nicht mehr als 60 bis 70 f. täglich.
Nicht höher stellt sich die Entlohnung in den großen Fabriken der Konfektionsindustrie. Die Stuttgarter Ortsfrankenkasse weist aus, daß 1908 von 467 Näherinnen von Massen- und Qualitätswaren ungefähr die Hälfte einen unzulänglichen Lohn hatten. 60 von ihnen( 13 Prozent) hatten einen Tagesverdienst von unter 1,20 m.; 169( 36 Prozent) von 1,20 bis 1,79 Mr. Als Durchschnittseinkommen dieser zwei Gruppen Arbeiterinnen für den Monat berechnete die Ortskrankenkasse 30 beziv. 48 Mr. Als Heimarbeiterinnen waren zwei Drittel der Frauen und Mädchen tätig, die unter 36 Mt. im Monat erwarben, ein Fünftel Heimarbeiterinnen befanden sich unter denen mit einem monatlichen Durchschnittsverdienst von 48 Mr. Einen Tagesverdienst von 1,80 bis 2,39 Mt. erzielten nur 107 von den 467 Stuttgarter Näherinnen( 22,7 Prozent); unter ihnen waren 18 Heimarbeiterinnen, also noch nicht ein Zwanzigstel. Nur 53 der Näherinnen( 11,4 Prozent) erschanzten sich tägliche Verdienste von 2,40 bis 2,99 Mk., darunter 5 Heimarbeiterinnen. In den drei höchsten Lohnklassen finden wir zujammen 78 Arbeiterinnen. 41 von ihnen, darunter 4 Heimarbeiterinnen, brachten es auf 3 bis 3,59 Mt. täglich, 15 auf 3,60 bis 4,19 Mr. und 22 auf 4,20 Mk. und darüber, eine einzige dieser Glücklichen war Heimarbeiterin. Diese Zahlen dürften wohl als typisch gelten. Sie lassen helles Streiflicht darauf fallen, daß im allgemeinen Heimarbeit schlecht entlohnte Arbeit ist. Je niedriger der Lohn einer Gruppe der Näherinnen, um so mehr Heimarbeiterinnen finden wir unter ihnen.
Das Elend der weitaus meisten Konfektionsarbeiterinnen wird auch bestätigt, wenn wir noch andere Ziffern heranziehen. Die Stuttgarter Ortsfrankenkasse ver