Nr. 20 Die Gleichheit 313 vorwärts, wie übercill, und reicher Ä�gcn erwartet un« in der Zukunft! M. Juchacz. Vrrichtiguug. Irrtümlicherweise haben wir in unserer letzten Nummer mitgeteilt, dah Frau Cauer beim sozialdemokratischen Frauentag in einer der Berliner Versammlungen das Wort er­griffen habe. Die betreffende Nachricht war unwidersprochen durch mehrere Parteiblätter gegangen, so daß wir annehmen mußten, sie stimme. In Wirklichkeit hat Frau Cauer wohl an einer unserer Demonstrationsversainmlungen in Berlin teilgenommen, jedoch sie hat nicht gesprochen, weil die vorgerückte Zeit eine Diskussion aus­schloß.__ Politische Rundschau. Zwei ausländische Staaten haben in diesen Wochen die Augen d«r deutschen Arbeiterklasse auf sich gelenkt: Ungarn und Belgien . In beiden kam es zu revolutionären Zuckungen, zu Straßenkämpfen d«S Proletariat» und blutigen Metzeleien der Soldateska, in beiden Ländern machten Teile der Arbeiterschaft den Versuch, den General­streik ins Werk zu setzen. Und in beiden Ländern sind die politischen Verhältnisse aus dem Gleichgewicht gebracht und ihre Neuordnung droht weitere heftige Erschütterungen zu bringen. In Ungarn haben die Blutopfer der Arbeiterschaft, die in der Stratzenschlacht des 23. Mai gebracht wurden, die herrschende Junkcr- sippe am parlamentarischen Staatsstreich nicht zu hindern vermocht. Unter ihrem Präsidenten, Grafen TiSza, einem entschlossenen Ge­waltmenschen, hat die Mehrheit des Abgeordnetenhauses die Geschäfts­ordnung des Hauses zerrissen, die Obstruktion der Minderheit zu Boden gerungen, die seit einem Jahr die Beratung der Wehrvor­lagen verhindert hatte. Im Handumdrehen ist jetzt die Heeresver- ftärkung bewilligt worden, die die Krone seit Jahren vergeblich for­derte. Die obstruierenden Abgeordneten, die lärmend gegen den Stechts- bruch protestierten, wurden sektionsweise durch Polizei aus dem Par­lament hinausbefördert. Starke» Militäraufgebot in den Straßen der Hauptstadt sicherte die Parlameirtsmehrheit bei ihrem Gewalt­stretch. Die Krone hat ihre Forderung endlich durchgesetzt, sie hat nicht umsonst mit dem allgemeinen gleichen Wahlrecht gedroht. Diese Drohung machte die ungarischen Junker mürbe, die einst trotzig auf d« Forderung standen: Keine Wehrreform ohne Schaffung einer ungarischen Arinee da» Heer ist in dem Doppelstaat Österreich- Ungarn eine gemeinsame Einrichtung und die Kommandosprache deutsch. Die Mehrheit gab die Opposition auf und bildete die.natio­nal« Arbeitspartei' unter TiSza, die nun die Obstruktion nieder­trampelte und der Krone die Militärvorlage zu Füßen legte. Die also.vernünftig' wurden, das sind die Vertreter der oberen Schicht der Junker. Sie haben das Monopol auf die OffizierSstcllen in den ungarischen Truppenteilen nicht so dringend nötig denn auf die Verdrängung der österreichischen Konkurrenten läuft die.natio­nal«' Forderung nach einer ungarischen Annee schließlich hinaus. Einmal haben sie, da sie an der nationalen Industrie und am Bank- !»«srn mit Kapitalien beteiligt sind, auch an der imperalistischen Po- littk auf dem Balkan Interesse, für die die größere Armee das Werk- t«ug abgeben soll. Dann aber haben sie eine Wahlreform viel mehr zu fürchten als die Konkurrenz der österreichischen Offiziere im Heere. Di« kleineren hungrigeren Junker dagegen legen naturgemäß mehr W«rt auf die Versorgung ihre» Nachwuchses und haben auch ein ««Wistes Interesse an der Beschränkung des Einflusses der größeren Grundbesitzer. Deshalb fordern sie die Wahlreform, wobei sich ihnen Teil« der Bourgeoisie und de» Kleinbürgertums anschlössen. Doch ist das neue Wahlsystem, da» die Opposition fordert, natürlich vom «letchen Wahlrecht noch so weit entfernt, daß man eS als eine Ver- höhmmg des Begriffs einer Wahlreforn, bezeichnen muß. Nicht nur, daß der größte Teil der Arbeiterklasse weiter wie bisher vom Wahl- «cht ausgeschlossen bliebe, e» werden auch Klauseln gefordert, um Vach Bedarf jedem Sozialdemokraten als einem Frevler am.Nario- valftoat' das Wahlrecht entziehen zu können. Aber selbst dieses Wahl­recht ist der Mehrheit noch zu weitgehend, sie will daS schändliche Zensuswahlsystem beibehalten. Dieses Wahlsystem mit öffentlicher Abstimmung, da» durch eine geradezu tolle Ungleichheit der Wahl­kreis« noch verschlimmert wird, hat die ärgste Korruption unter Wählern und Abgeordneten großgezogen, unter seiner Herrschast blüht der Stimmenkauf, der amtliche Wahlschwinde! und die Ver­gewaltigung oppositioneller Wähler durch Militär und Gendarmen. Einige möglichst unwesentliche Änderungen an diesem Wahlrecht, der«n Inhalt noch nicht feststeht, gibt die herrschende Mehrheit frech »l»«ine Wahlreform aus, Der Kampf im ungarischen Parlament ist also ein Streit zwi­schen zwei Gruppe» der herrschenden Klassen. Auch wenn die Opposition siegt, kommt für die Arbeiterschaft so gut wie nicht» heraus. Die Parteien, aus denen sie sich zusammensetzt, haben, als sie die Regierung führten, keine Miene gemacht, Ungarn wirk­lich zu demokratisieren, und haben an Arbeiterfeindlichkeit den TiSza, Lukacs und Konsorten nichts nachgegeben. Der Gegensatz zwischen ihnen und der zurzeit herrschenden Clique ist nicht so groß, wie man nach dem Lärm der parlamentarischen Schlachten, nach der Schändung des Parlaments durch polizeiliche Gewalt schließen könnte. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, daß die Opposition die Sache lange nicht so tragisch nimmt, als man nach ihrem leidenschaftlichen Gebaren annehmen sollte. DaS Attentat eines einzelnen, des Abgeordneten KovacS, auf den Präsidenten Tisza ändert daran nichts, es ist eine ganz iso­lierte Handlung; das Benehmen der übrigen ist mehr theatralisch als überzeugend. Und diese mehr oder minder korrupten Ver­treter der Opposition eignen sich auch sehr wenig zur Rolle der Volkstribuncn. Die Arbeiterklasse Ungarns hat in dieser Zeit der Verwirrung die Aufgabe, aus den Kämpfen der Herrschenden untereinander für ihre Sache den größtmöglichen Vorteil zu ziehen. Daß es ihr an Mut und Tatkraft nicht fehlt, hat sie in den blutigen Kämpfen de» 23. Mai zu Budapest bewiesen, und in diesen Tagen haben es die Arbeiter der Provinz gezeigt, die in verschiedenen Stadien den Generalstreik proklamierten und in heftigen Zu­sammenstößen mit Polizei und Militär ihren Mann standen. In­zwischen ist, nachdem das Oberhaus ebenfalls die Wehrvorlage angenommen hat, Ruhe eingetreten. Das Rumpfabgeordnetenhaus wurde schon vorher auf acht Tage vertagt. Es fragt sich nur, wie lange diese Ruhe anhalten wird. Die herrschende Klasse sitzt auf einem Pulverfaß. In dem mit Ungarn zwangsweise verbundenen Kroatien hat der Verfassungöbruch der ungarischen Gewalthaber die Ver­zweiflungstat geboren, die gewöhnlich der Gesetzlosigkeit von oben zu antworten Pflegt. Ein bosnischer Student namens JukicS schoß ans den königlichen Kommissar C u v a y, der als Werkzeug der Budapester Regierung die kroatische Verfassung zerstört, da» Parlament auseinandergejagt, die Presse unterdrückt und ge­knebelt und das Versammlungsrecht zerstört hat, um die Kroaten den ungarischen Forderungen willfährig zu machen. Der Kom- missar blieb unverletzt, dagegen wurde sein Begleiter schwer ver­wundet. An der Gewaltherrschaft ändert das Attentat nicht», sein ganzes Ergebnis ist eine Masscnvcrhaftung bosnischer Stu­denten die ungarische Regierung braucht eine Verschwörung. Die stürmischen Vorgänge in Belgien traten im Gefolge der Kammerwahlcn auf, die die klerikale Mehrheit nicht zertrüm­merten, sondern verstärkten. Die Liberalen und Sozialisten dachten diesmal sicher die klerikale Burg, die sie jahrzehntelang vergeblich berannt hatten, zu ersteigen, hatten doch seit 1902 die Wahlen regelmäßig eine Schwächung der Klerikalen, eine Ver- ringerung ihrer Mehrheit bewirkt. Und zudem hatte die klerikale Regierung durch ihre Schulgesetzvorlage eine allgemeine Empö­rung im Lande hervorgerufen. Die Vorlage sollte den unzuläng­lichen, von unzureichend ausgebildeten Zöglingen klerikaler Semi­nare und unwissenden Nonnen geleiteten Klosterschulen gewaltig« Staatssubventionen auf Kosten der Gemeindeschulcn sichern. Der Widerstand gegen die klerikale Schulgesetzgebung führte zum engen Bunde der Sozialisten mit den Liberalen, die in verschiedenen Wahlkreisen gemeinsame Kandidatenlisten aufstellten. Sogar die Altliberalen, die bis dahin da» schändliche Vierstimmenwahlrecht verteidigt hatten, erklärten sich jetzt für das gleiche Wahlrecht, für daS die Arbeiterschaft seit langem kämpfte. Allgemein wurde erwartet, daß die Klerikalen diesem Bündnis erliegen müßten. Aber das Gegenteil trat ein, die Mehrheit der Klerikalen stieg von 6 auf 16 Mandate. Von den beiden verbündeten Parteien machte nur die Sozialdemokratie einige Fortschritte, während der Liberalismus einen erheblichen Rückgang erlitt. Dem kleinen radikalen Flügel der belgischen Sozialisten, der vor dieser Bündnis­politik gewarnt hatte, ist durch die Tatsachen Recht gegeben worden. Die Liberalen haben viele Wähler verloren, die aus Angst vor den sozialen Gesetzen, die eine sozialdemokratisch-liberale Mehr­heit machen würde, für die Klerikalen stimmten; und die Werbc- kraft der Sozialisten auf die unaufgeklärten Arbeiter ließ nach, weil sie in ihnen infolge des Bündnisses mit den antiklerikalen Liberalen weniger die Vertreter sozialer Forderungen als die Feinde der Religion sahen. So kam das überraschende Wahl­ergebnis zustande. Die in ihren Erwartungen getäuschte Arbeiter­schaft geriet in große Erregung, die sich in Stratzendemonstrationcn und improvisierten Streiks Luft machte. Die siegestrunkeneu Klerikalen benutzten die Straßendemonstrationen zu blutiger Ge­walttat. In L ü t t i ch wurde in da» VoltshauS geschossen, und