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Die Gleichheit
es stellte sich heraus, daß die Steuer schon in dieser Höhe einen Betrag von 20 bis 25 Prozent des Reingewinns ausmachte! Und da man die Umsatzsteuer in der Form nicht lediglich den Konfumvereinen abnehmen konnte, diese Absicht vielmehr nur durch die Art der Steuerregulative zu erreichen suchte und in den meisten Fällen auch erreichte, so konnte es immerhin vorkommen, daß in größeren Orten auch Privatgeschäfte davon betroffen wurden. Die gewünschte Lahmlegung oder gar Erdrosselung der Konsumvereine durch die Steuer trat aber nicht ein. Die Konsumbereine nahmen vielmehr einen energischen, rücksichtslosen und sielbewußten Kampf gegen diese ungerechte Besteuerung auf, der mit der Zeit zu nennenswerten örtlichen Erfolgen führte und auch auf die Behörden seinen Eindruck nicht verfehlte. Die soziale Wirkung der Umsatzsteuer im Sinne der Mittelständler war gleich Null. Im Gegenteil! Weite Kreise der Arbeiter, die bisher den Konsumvereinen gleichgültig gegenüberstanden, wurden jezt aufmerksam, nahmen sich der Sache der bedrängten Arbeitergenossenschaften an, und sie wurden auch- Mitglieder! Das Vorgehen der Mittelständler erzielte also genau das Gegenteil dessen, was diese bezweckt hatten, wenn auch eine große Anzahl von Konsumvereinen durch die Steuer in der unglaublichsten Weise geschröpft wurde. In den Gemeinderäten jedoch, in denen auch Arbeitervertreter immer mehr Mitbestimmungsrecht erlangten, wurde die Sympathie zu dieser Sondersteuer merklich kühler. Man konnte sich der Tatsache eines offenbaren Steuerunrechts gegen die Arbeiter doch nicht ganz verschließen. Hier und dort ermäßigte man die Steuer, in einzelnen Fällen schaffte man sie ganz ab oder erhob sie gar nicht erst. In einer Denkschrift der Regierung über die Umfazsteuer im Jahre 1900 wurde festgestellt, daß von 620 über 1000 Einwohner zählenden sächsischen Gemeinden in 80 Umsatzsteuern bestanden, von der fast nur Konfumvereine betroffen wurden. Das war den Mittelständlern zu wenig, und sie schrieben ihren Mißerfolg der Tatsache zu, daß die Umsatzsteuer nicht für das ganze Land obligatorisch sei. Infolgedessen verlangten sie dringend in jedem Landtag eine Landesumsaksteuer. Die Regierung hat das stets abgelehnt, weil sie die Autonomie der Gemeinden in diesem Falle nicht beseitigt wissen wollte.
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So ist der Kampf um die Umsatzsteuer nun bis auf den heutigen Tag gegangen. Die Mittelständler auf der einen, die Konsumbereine, Warenhäuser und sonstigen großen Geschäfte, namentlich bie Filialgeschäfte, auf der anderen Seite. In den öffentlichen Körperschaften Landtag und Gemeinderat- wurde der Kampf gegen die Umsatzsteuer wirkungsvoll von den sozialdemokratischen Vertretern, und fast nur von ihnen, geführt. Mochten die Gegner zehnmal daraus die Identität von Nonfumvereinen und Partei herleiten. Der Sache beider Organisationen hat das nichts ge= schadet, dem Kampfe aber eine Wucht gegeben, der die Gegner nicht standzuhalten vermochten. Im Landtag wurde die Stellung der Mittelständler immer ungünstiger, da die Konservativen aus der Mehrheit verdrängt sind, und auch einflußreiche wirtschaftliche Korporationen des Privatkapitals entschieden gegen die Umsaksteuer Front machten, die auch dieses zu beeinträchtigen drohte. So wandten sich die Handelskammern Sachsens, der Verband der Industriellen, Vereinigungen von Großkaufleuten und warenhäusern in Eingaben an den jeßigen Landtag entschieden gegen die Umsatzsteuer, die nach der Vorlage des Gemeindesteuergesetzes nach wie vor in der jezigen Form, das heißt fakultativ und bis 2 Prozent, aufrechterhalten bleiben sollte. In der Kommission wurde entgegen der Regierungsvorlage mit nur einer Stimme Mehrheit beschlossen, daß in Zukunft die Erhebung einer berartigen Umsahsteuer glattweg verboten ist. Im Plenum wurde diesem Beschluß mit großer Mehrheit zugestimmt. Mit der Regierung gingen nur die Konservativen und zwei Nationalliberale. Es ist zu wünschen, daß der Beschluß Gejebestraft erhält und damit allen Umsatzsteuerscherereien ein Ende bereitet wird. Hoffentlich folgen dann die anderen Bundesstaaten dem Beispiel Sachsens nach, wie sie ja auch seinerzeit die Umsatzsteuer von Sachsen übernommen haben.
über eine genossenschaftliche Schweinemästerei werden im dritten Heft des Landwirtschaftlichen Jahrbuchs für Bayern" interessante Angaben gemacht. Es handelt sich um eine Genossenschaft in Weißenhorn , die jetzt schon im eigenen Betrieb jährlich über 1000 Ferfel erzeugt und an die Landwirte der Umgebung absetzt. Sie wird ihren Betrieb so erweitern, daß sie von jezt ab jährlich steigend 1000, 2000 und 3000 Ferkel für den Bedarf der Städte Ulm und Neu- Ulm liefern fann; sie errichtet in der Nähe der genannten Städte auf einem von diesen unentgeltlich bereitgestellten Grundstüd eine Mastanstalt, in der die Schweine bis zum Gewicht von 110 Kilogramm gemästet werden.
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Die Kosten der Anlagen werden von der Genossenschaft getragen, aber von den Städten verzinst. Ebenso trägt die Genossenschaft die ganzen Kosten und das Risiko des Betriebs. Die Kosten für die Fütterung( Futtergerste, Fleisch- und Fischmehl) verpflichten sich die Städte durch Anweisung eines laufenden Kredits unberzinelich vorzuschießen. Die Dedung des Vorschusses erfolgt nach und nach durch Abnahme der Schweine zu dem vorausbestimmten Preise. Sicherheit wird den Städten durch Einräumung eines Pfandrechts an den Schweinen und an den Versicherungspolicen gegeben. Jedes in der Anstalt eingestellte Schwein wird zu durchschnittlich 60 Mt. versichert. Die fertiggemästeten Schweine werden von den Städten der Genossenschaft abgekauft, und zwar für die nächsten fünf Jahre zu dem Einheitspreis von 63 Mt. für den Zentner Schlachtgewicht oder 50 M. für den Bentner Lebendgewicht. Die Städte geben die Schweine zum Selbstkostenpreis an jene Megger ab, die sich verpflichten, das Fleisch zu dem von der Stadtverwaltung festgesetzten Preise im Laden zu verkaufen. Die Läden müssen durch eine Aufschrift mit der Preisangabe tenntlich gemacht sein. Der Preis wird wesentlich unter den in den letzten Jahren verlangten Durchschnittspreisen sein. Das Vorgehen der beiden Städte beruht auf dem Gedanken, daß es bei der heutigen Gestaltung der Lebensmittelversorgung unvorsichtig ist, sich bezüglich der Beschaffung der Lebensmittel für die Bevölkerung größerer Städte ausschließlich auf den Handel zu verlassen, daß es vielmehr Aufgabe der Kommunalverwaltungen ist oder werben muß, nicht den Handel auszuschalten und die Lebensmittelversorgung selbst zu übernehmen, aber in die Zufuhr und Preisbildung der Lebensmittel regelnd und ausgleichend einzugreifen. Wie das H. F. Experiment sich weiter gestaltet, bleibt abzuwarten.
Notizenteil. Dienstbotenfrage.
Die Wiener Dienstmädchenorganisation ,, Einigkeit" befiebt nun über ein Jahr, und hat Sonntag, den 28. April, die erste Generalversammlung abgehalten. Jede Versammlung der Dr. ganisation sieht fast wie ein Fest aus. Die Mädchen atmen auf, flix einige Stunden nicht nur frei zu sein, sondern sich im Kreise gleich. gesinnter Arbeitsschwestern zu befinden. Es wurden in dem Zeitraum eines Jahres fast 1000 Mitglieder in die Drganisation aufgenommen. Unter ihnen befinden sich hochintelligente Mädchen, die vortrefflic das Wort zu führen und sich gewandt auszudrüden verstehen. besteht eine Stellenbermittlung, bie von den Dienstgeberinnen mehr in Anspruch genommen wird als von den Mädchen. Rechtsschutz wurde einer großen Anzahl von Mitgliedern gewährt und zwar in den meisten Fällen mit Erfolg. Die fleine Bibliothek bes Vereins wurde viel in Anspruch genommen. Die Dienstmädchen. zeitung„ Einigkeit" erfreut sich großer Beliebtheit. Die ganze Agitation wird bisher von in Stellung befindlichen Dienstmädchen selbst betrieben. Vor größeren Versammlungen arbeiten fie bei Nacht mit Kleistertopf und Pinsel, um in der Nachbarschaft der Märkte die Einladungen zu den Versammlungen anzufleben. Und diese Arbeit geschieht auf die Gefahr hin, von einem Polizisten festgenommen zu werden. In den Städten Graz und Salzburg sollen demnächst Ortsgruppen gegründet werden. Die Tätigkeit der„ Einigkeit" läßt die Christlichsozialen nicht ruhen. Am 12. Mai, am Frauentag, wurde in die Volfshalle des Rathauses eine christliche Dienstmädchenversammlung einberufen. Außer bekannten Arbeiterführern" der Chrift lichsozialen ist schon der Herr Vizebürgermeister der Stadt Wien in höchst eigener Person bei den Dienstmädchen als Redner erschienen. Auch bei den Dienstmädchen stehen sich zwei Welten gegenüber. Die Mitglieder der Einigkeit" waren bom Frauentag hinweggeeilt, un der chriftlichen Versammlung beizuwohnen. Dort stand nun die feine, aber tapfere Gruppe der Klassenbewußten Dienstmädchen der großen nach Hunderten zählenden Scharun aufgeklärter, mißbrauchter Mäd chen gegenüber. Unter Führung von Nonnen waren die letteren in die Versammlung gekommen. Die Nonnen gaben nur der Vorsizen. den das Zeichen zum Klatschen und zum Pfuirufen, wenn von So zialdemokraten gesprochen wurde. Denn alle chriftlichen Redner schimpften über die„ Sozis". Das hielt eine Genossin der, Einigkeit" nicht ab, das Wort zu verlangen, um an den Herrn Vizebürgermeister einige Anfragen zu richten. Es gelang ihr, die im Banne der Kleritalen stehenden Mädchen zu Beifallsrufen hinzureißen. Da wurde ihr due Wort entzogen. Nun kam ein christlicher Arbeiterführer" zu Wort und stellte fest, daß die Vorrednerin eine Sozialdemokratin sei. Dieselben Mädchen, die soeben ihrer Arbeitsschwester Beifall gespendet hatten, riefen nun: Pfui". Das ist fleritale Erziehung. Unsere or
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