Nr. 20

Die Gleichbeit

ganisierten Dienstmädchen ließen sich nicht einschüchtern, da man feiner von ihnen das Wort mehr gab, machten sie Zwischenrufe. Die Versammlung wurde so stürmisch, daß sie auseinander ging, ohne daß sie geschlossen worden war. Das Auftreten der flassenbewußten Dienstmädchen wird nicht ohne Nachwirkung auf die noch unaufge­Härten Schwestern geblieben sein. Diese werden so wohl behütet, daß sie selbst ihre paar Ausgangsstunden unter der Führung von Ronnen verbringen. Trotzdem wird manch eines der frommen Mäd­chen zum Nachdenken erweckt worden sein, als das Mitglied der Einigkeit" die Lage der Dienstmädchen erörterte und den Herrn Vizebürgermeister zur Rede stellte, warum seine allmächtige Partei nicht eine bessere Dienstbotenordnung geschaffen habe, da sie doch über die Majorität verfüge. Den Mädchen wurde zugemutet, täglich zwei Stunden für den eucharistischen Stongreß Blumen zu machen und Spizen zu häfeln. Aber nicht etwa bei Tage, in der Zeit, die die Dienstgeberin für sich beansprucht, nein bei Nacht soll diese christliche Arbeit ver­richtet werden. An die heilige Notburga " und an die heilige Bila" aber sollen sich die Mädchen wenden, wenn sie in irgend einer Not sind. Dann brauchen sie wahrscheinlich keinen Rechtsschutz. Die Vorsitzende betonte, daß in den 4 Jahren, in denen der christ­liche Verein besteht, noch nie ein Rechtsschutz notwendig geworden sei. Die protestantischen Dienstmädchen werden sich schließlich auch eine Heilige anschaffen müssen, vielleicht spüren sie dann nicht mehr, was sie heute schwer drückt.

a. p.

Streit der Dienstmädchen im Seebade Warnemünde . In Warnemünde waren die Dienstmädchen übereingekommen, für die Arbeitsüberbürdung während der Saison eine Zulage zu fordern, im Falle der Ablehnung aber die Arbeit einzustellen. Und sie haben ihren Beschluß in die Tat umgesetzt, und überall, wo ihre Forderung zurüdgewiesen wurde, verließen die Mädchen kurzerhand den Dienst ohne Kündigung. Nun gilt es den Zuzug von Streitbrecherinnen abzuhalten.

Fürsorge für Mutter und Kind.

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Religion, Patriotismus und Mutterschaftsversicherung in Italien . Am 5. April d. J. ist in Italien endlich das Gesez in Straft getreten, das den industriellen Arbeiterinnen die Anfänge einer bescheidenen Mutterschaftsfürsorge bringt. Die Gleichheit" hat seinerzeit ausführlich darüber berichtet, so daß wir jetzt nur das Wesentlichste in die Erinnerung zurückrufen. Nach dem italienischen Arbeiterinnenschutzgesetz darf in der Fabrifindustrie eine Wöchnerin die Arbeit erst vier Wochen im Ausnahmefall drei Wochen nach der Entbindung wieder aufnehmen. Die Not zwang sehr viele Arbeiterinnen, diese Schußbestimmung zu umgehen. Hier greift nun das Gesetz über die Mutterschaftsversicherung ergänzend ein. Es sichert jeder industriellen Arbeiterin- der verheirateten wie der lebigen im Falle der Niederkunft oder einer Fehlgeburt eine Unterstützung von 40 Lire= 32 Mart, die in zwei Staten aus­gezahlt wird, und zwar auch die erstere davon erst nach der Entbindung. Bei Abtreibungen fällt das Recht auf Unterstützung fort. Die Kosten der Reform werden durch die Versicherungsbeiträge und durch einen Staatszuschuß von 10 Lire pro Entbindung aufgebracht. Jede indu­strielle Arbeiterin im Alter von 15 bis 50 Jahren muß bei der Mutterschaftskaffe versichert sein. Der Versicherungsbeitrag stellt sich bor dem 20. Lebensjahre auf einen Lire jährlich, vom 20. bis 50. Jahre auf zwei Lire. Der Betrag wird zur Hälfte von der Arbeiterin, zur Hälfte vom Unternehmer bestritten, muß aber von diesem ent­richtet und der Arbeiterin in zwei Raten abgezogen werden. Die Stasse wird von einem neungliedrigen Komitee verwaltet, dem je drei Vertreter der Arbeiterinnen und der Unternehmer angehören. Auch Frauen dürfen Mitglieder dieses Verwaltungsrats sein.

Einige Hauptmängel des Gesetzes sind augenscheinlich. So nament­lich die Beschräntung auf die industriellen Arbeiterinnen, die Niedrig­feit der Unterstützung und der Umstand, daß auch die erste Nate erst nach der Niederkunft ausgezahlt wird. Immerhin ist ein Anfang zur gesellschaftlichen Fürsorge für die arbeitenden Mütter gemacht. Es hat eines langjährigen Ringens der Sozialdemokratie und der Gewerk­schaften bedurft, diese dürftige Mutterschaftsversicherung zu erkämpfent. Staum aber ist die Reform in Kraft getreten, so sind die Kleri­falen und die Grozindustriellen auch schon am Werte, den kapita­ listischen Profit vor den Rechten der proletarischen Mütter zu schüken. Daß dem so ist, und daß sich Kapital und Kirche ver­bünden, um die Arbeiterrechte zu schmälern, wird niemanden weiter befremden. Bemerkenswert ist es aber immerhin, wie man den Widerstand gegen die Mutterschaftsversicherung zu begründen und wie man dessen arbeiterfeindlichen Charakter zu verschleiern fucht, auch wie raffiniert die Rückständigkeit der Arbeiterinnen in Sicfem Kampfe ausgenügt wird. Die Klerikalen wenden sich un­

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mittelbar an die Arbeiterinnen und heßen sie mit moralischen" Schlagworten gegen das Gesetz auf. Es sei unmoralisch, meinen die heiligen Männer, schon mit jungen Mädchen von der Mutter­schaftsversicherung zu sprechen und sie zu dieser heranzuziehen. Würden die Pfaffen im Beichtstuhl mit jungen Mädchen von nichts Unmoralischerem" als der Mutterschaftsversicherung sprechen, so wäre es wohl um die sittliche Reinheit manches Mädchens besser bestellt! Noch unmoralischer aber sei es, geifern die frommen Verteidiger der Ausbeutung, die unehelichen Mütter durch diese Ver. sicherung zu schüßen. Damit züchte man nur die Prostitution! Die Vertreter der Seidenindustrie machten den proletarischen Müttern das Recht auf Unterstützung in einer Versammlung streitig, die sie bezeichnenderweise mit einer Aufforderung an die von ihnen ausgebeuteten Arbeiter und Arbeiterinnen eröffneten, sich an den Geldsammlungen für die Luftfriegsflotte zu beteiligen. Für diesen erhabenen 8wed zirkulieren in den Fa­brifen Sammellisten. Die Mittel zur Mutterschaftsversicherung müßten auch von den männlichen Arbeitern mit aufgebracht wer­den, so forderten die Seidenindustriellen, und sie verlangten, daß das Gesetz nicht eher in Kraft treten solle, bis es von Grund aus umgestaltet worden sei. Der allgemeine Verband der Großindu­striellen Italiens nahm eine Resolution in dem gleichen Sinne an. Zur selben Zeit wird in den Fabriken gegen das Gesetz gehebt, und Unterschriften werden gesammelt, um eine Volksabstimmung dar. über zu verlangen!

Ein großer Teil der unter das Gesez fallenden Arbeiterinnen gehört der Textilindustrie an. Bedenkt man, daß gerade die Textil­arbeiter 41,5 Prozent der katholisch organisierten Arbeiter Jtaliens stellen, und daß 22 397 Textilarbeiterinnen den katholischen Fach­bereinen angehören, so kann man nicht besorgt genug um das Schicksal der Mutterschaftsversicherung sein. Die Vertreter ber freien Textilarbeitergewerkschaften sind entschlossen, den Kampf gegen die reaktionären Angriffe auf die Mutterschaftsversicherung mit aller Kraft und mit allen Mitteln zu führen. Daß die sozia­listische Partei diesen Kampf innerhalb und außerhalb des Parla­ments aufnehmen wird, unterliegt keinem Zweifel. Möge bas dreiste Auftreten und das Zusammengehen von Klerikalismus und Chauvinismus, von Kirche und Großindustrie die Arbeiterinnen auf den Weg des Klaffenkampfes weisen! Möge die Art und Wetse, wie die allernotwendigsten und allerbescheidensten gesellschaftlichen Errungenschaften von Unternehmern und Geistlichen bekämpft werden, die proletarischen Frauen zum Kampfe fürs Wahlrecht anspornen! Haben sie erst die Waffe des Wahlrechts errungen, dann können sie auch mit den Arbeiterfreunden" jeder Farbe ab. rechnen und durch ein wuchtiges Eintreten für den Sozialismus die endgültige Abrechnung mit dem Kapitalismus und Klerifalls. mus beschleunigen. Angelika Balabanoff.

Familienrecht.

Die Steffung der unehelichen Kinder im nenen Schweizer Zivilgesetzbuch. Das neue Schweizer Zivilgesetzbuch, das am 1. Januar 1912 in Straft getreten ist, enthält Neuerungen, die im Vergleich zu dem deutschen Gesetzbuch fast alle als Fortschritte zu be­grüßen sind. Die früheren Bestimmungen, die jeweils nur für die ein­zelnen Santone galten, waren oft unglaublich einfichtslos und hart. So war zum Beispiel die Frist für eine Vaterschaftstlage in verschie denen Kantonen so furz bemessen, daß das Erheben einer solchen in den meisten Fällen unmöglich wurde. In andern Kantonen galten die Bestimmmmgen nur für besondere einzelne Fälle und konnten im allgemeinen gar nicht angewendet werden. Vor allem aber drohte allenthalben der aus dem Code Napoléon entnommene berüchtigte Soldatenparagraph: Die Nachforschung nach der Vaterschaft ist unter sagt." Er ist glüdlicherweise ganz abgeschafft worden. Man bĭteb aber nicht bei den üblichen Bestimmungen stehen, die auch das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch enthält. Das Schweizer Gesetz räumt dem Vormundschaftsrichter viel größere Rechte ein. Dieser fann den Vater des außerehelichen Kindes nicht nur zur Unterhaltspflicht anhalten, sondern ihn auch zur Anerkennung des Kindes mit Standesfolge" zwingen, falls er der Mutter die Ehe versprochen oder sich mit der Beiwohnung eines Verbrechens schuldig gemacht oder die ihm über sie zustehende Gewalt mißbraucht hat. Das heißt, der Vater muß in diesen Fällen das Kind legitimieren, worauf es seinen Namen erhält, und ihm, wie auch der väterlichen Verwandtschaft gegenüber in die Rechte eines ehelichen Kindes tritt. In den vorgesehenen Fällen kann auch der Mutter eine Geldsumme als Genugtuung gesprochen werden. Diese Bestimmungen erfahren allerdings eine Einschränkung, die eine schwere Uitgerechtigkeit gegen das außer eheliche Kind und seine Mutter bedeutet. Verheiratete Männer fönnen