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Die Gleichheit
Arbeiterinnen; die Arbeiterzahl sinkt aber in den übrigen Betrieben auf 150, 110, 85, 50 und noch darunter. Die Gesamtzahl der in der Gmünder Edelmetallindustrie beschäf tigten Proletarier beträgt rund 2300. Etwa 800 davon also ein Drittel sind Arbeiterinnen. Dazu kommen noch gegen 700 Lehrlinge beider Geschlechter, die Zahl der weiblichen Lehrlinge reicht nahe an 200 heran. Fabriziert werden alle möglichen Lurus- und Gebrauchsgegenstände, Tafelaufsäge im Werte von vielen tausend Mark und einfache Messerschalen, Broschen, Ohrringe, Anhänger, Armbänder, Schlipsnadeln, Manschettenknöpfe, optische Goldwaren usw. Die Frauen haben dabei vorzugsweise das Polieren, Emaillieren, Retteneinhängen und Berlöten und Durchstoßen an Durchbruchpressen zu verrichten. Seltener werden sie auch bei einfachen Artikeln zu Goldschmiede. arbeiten verwendet.
Die Organisation der Gmünder Arbeiterschaft leidet schwer unter den Quertreibereien der„ Christen". Zurzeit gehören von den Tausenden nur etwa 800 männliche und 100 weibliche Arbeiter dem Deutschen Metallarbeiterverband an. Der christliche" Verband soll gegen 250 Mitglieder zählen. Dem energischen Wirken des Deutschen Metallarbeiterverberbandes haben es die Gmünder Gold- und Silberarbeiter zu danken, daß die früher geradezu trostlosen Lohn- und Arbeitsverhältnisse etwas verbessert worden sind. Die neunstündige Arbeitszeit ist ihnen vertraglich gesichert. Der Durchschnittslohn der Frauen beträgt pro Stunde 23 bis 24 Pfennig, doch kommen auch noch Stundenlöhne von 12 Pfennig vor. In vereinzelten Fällen bringen es die geschicktesten Arbeiterinen wohl gelegentlich auf einen Verdienst von 30 Pfennig für die Stunde.
Die Arbeit in der Edelmetallindustrie ist dem weiblichen Organismus wenig zuträglich. Das Sißen und noch mehr das Schaffen an den Poliermaschinen begünstigt allerlei Leiden der Unterleibsorgane. Wo an den Poliermaschinen Staubabsaugevorrichtungen fehlen, haben die Arbeiterinnen außerdem unter der starken Entwicklung des gefährlichen Metallstaubs sehr zu leiden. Die zum Vergolden, Versilbern und Drydieren verwendeten Säuren entwickeln äzende Dämpfe, die die Gesundheit schwer angreifen. Früher waren in den Arbeitsräumen in der Regel noch Glüh- und Schmelzöfen aufgestellt, die mit ihren Gasen die Luft verpesteten. Darin hat die Gewerbeinspektion Wandel geschafft. Nur in Ausnahmefällen wird noch ein Glühofen im Arbeitsraum geduldet.
Auch bei der Verarbeitung unedler Metalle und Metalllegierungen hat sich das Kapital viele Arbeiterinnen tributpflichtig gemacht. Die Berufszählung von 1907 ermittelte in Württemberg 7303 Personen, die in dieser Industrie tätig waren, darunter 1254 Frauen. Die galvanoplastische Industrie für Herstellung reinnidel- und nickelplattierter Waren, von Tafelgeräten und Kunstgewerbegegenständen usw. ist in erster Linie durch die Württember gische Metallwarenfabrik Geislingen mit ihrer Filiale in Göppingen vertreten. Das Riesenunternehmen beschäftigt rund 5000 Arbeiter und Angestellte. Ein streng pariarchalisches" Verwaltungssystem erschwert die Organisierung der Arbeiter und Arbeiterinnen ganz erheblich. Durch„ Wohlfahrtseinrichtungen" der verschiedensten Art sucht die Verwaltung die Arbeiterschaft über ihre nichts weniger als befriedigenden Lohn- und Arbeitsbedingungen hinwegzutäuschen. In der Blechemballagefabri. tation, im Maschinen- und Apparatebau: überall wird die Frau in steigender Zahl ausgebeutet.
Kein Ort und kein Berufszweig, wo die Arbeits- und Lohnverhältnisse der Arbeiterinnen der Metallindustrie - die der Herstellung von Maschinen usw. inbegriffen- nicht sehr verbesserungsbedürftig, vielfach geradezu trostlos wären. Die Organisation beginnt kaum, die Lohnsklavinnen dieses bedeutsamen Industriegebiets zu erfassen. Wie schwer es unter diesen Umständen hält, genaueren Einblick in die Lage der Arbeiterinnen zu bekommen, dafür liefert diese
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Antwort eines hervorragenden Gewerkschafters auf die Bitte um Material darüber einen schlagenden Beweis:„ über die Frauenarbeit in der Metallindustrie orientieren am besten die Jahresberichte der württembergi. schen Gewerbeinspektion. Allerdings nur über Umfang und Art der Beschäftigung. über die Lohnverhält. nisse, dieses wichtigste Kapitel, liegt unseres Wissens kein Material vor, das auf Genauigkeit Anspruch er. heben könnte." Nach dem verdienstvollen Buche Nehers, das wir bereits früher wiederholt zitiert haben, befanden sich auch Arbeiterinnen in Flaschnereien unter den 200 Frauen und Mädchen, die 1910 der Ortskrankenkasse in Stuttgart beitraten und von denen nicht weniger als 45 Prozent einen Wochenverdienst von 9 Mt. und darunter hatten und nur 9,5 Prozent wöchentlich mehr als 12 Mr. verdienten. Allerdings gibt es in Stuttgart einen Betrieb der Elektrizitätsindustrie, wo der Taglohn der Arbeiterinnen sich auf 3,50 Mk. stellt. Allein die Zahl der dort beschäftigten Frauen und Mädchen ist klein, und ihr Verdienst kann nicht als typisch für die Verhältnisse gelten.
Für den durch Zahlen belegten Entwicklungsgang der Metallindustrie in Württemberg ist die rasch steigende Verwendung weiblicher Arbeitskräfte charakteristisch. Er läßt es zu einer außerordentlich wichtigen Frage für die gewerk. schaftlich und politisch organisierte Arbeiterschaft werden, daß auch die Arbeiterinnen der Metallindustrie von der aufklärenden Agitation gepackt und mit ihren Brüdern zum Kampfe zusammengeschlossen werden. Eine große und dringende Arbeit gilt es da tatkräftig und systematisch in Angriff zu nehmen.
m.
Die Verwendung und damit auch zugleich die Ausbeutung der kindlichen Arbeitskraft ist eine der bezeichnendsten Er scheinungen der kapitalistischen Ordnung. Wohl gab es auch Kinderarbeit in vorkapitalistischer Zeit, aber ihrem Umfang und ihrer Schwere waren durch die damalige Produktionsweise und die damit zusammenhängenden Verhältnisse enge Grenzen gezogen. Das änderte sich mit dem Auftreten der kapitalistischen Gütererzeugung. Maschinen, verbesserte Arbeitsverfahren, die weitgetriebene Arbeitsteilung ermöglichten die ausgedehnte Verwendung kindlicher Arbeitskraft. Der unersättliche Profithunger der Kapitalistenklasse sorgte für die barbarische, gewissenlose Ausnutzung dieser Möglichkeit. An der Schwelle der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer vielgepriesenen Kultur und Humanität steht geschichtlich einwandsfrei nachgewiesen eine Hinopferung zahlloser Tausende proletarischer Kleinen. Und auch späterhin hat der Rapitalismus mit der kindlichen Arbeitskraft einen verbrecherischen Raubbau getrieben, der an den Wahnwiz des Mannes erinnert, der das faum in die Halme geschossene Brotgetreide abmäht. Ja, diesem Raubbau ist heute noch nicht einmal vollständig gesteuert, wo der Singsang von dem Jahrhundert des Kindes in allen Tonarten erflingt.
Ließe das Proletariat den Kapitalismus schrankenlos walten, sich selbst überlassen, das heißt den wilden Profitinstinkten der herrschenden Klassen, so würde er durch seine Verwüstung und Verschwendung der kindlichen Arbeitskraft den Bestand der ganzen Gesellschaft in Frage stellen. Das Erwachen des Proletariats zum Klassenbewußtsein hat jedoch der Ausbeutungswut des Kapitalismus Schranken gesetzt. Die Arbeiterklasse hat es als eine ihrer heiligsten Pflichten erkannt, dem kommenden Geschlecht ein möglichst großes Maß förperlicher und geistiger Gesundheit zu sichern und so aus ihm wehrhafte Streiter für den Klassenkampf heranzubilden. Aus dieser Erkenntnis heraus tritt sie der Kinderausbeutung entgegen, sucht sie der bürgerlichen Gesellschaft immer bessere Geseze zum Schuße der proletarischen Jugend zu entreißen und wacht darüber, daß die bestehenden bescheidenen Anfänge solchen Schutzes respektiert werden.