Nr. 2

Die Gleichheit

sondern dann wird es eine Angelegenheit von prinzipieller Bedeutung, die den Widerstand der Unternehmer Herausfordert. Dann werden die Scharfmacherorgane wieder das bekannte Lied von dem Ruin der Industrie anstimmen, sie werden versuchen, den durch die veränderten Verhältnisse gebotenen be­rechtigten Forderungen der Arbeiterschaft die Diktatur ihrer mäch­tigen Organisationen entgegenzusetzen.

In frischer Erinnerung ist uns allen noch die Hofer Aus= sperrung, deren Ursache darin bestand, daß die Arbeiter sich den freien Sonnabendnachmittag, der ihnen durch Produktions­einschränkungen gegeben wurde, nicht wieder nehmen lassen woll­ten. Sie hatten nach Aufhebung der Produktionseinschränkung gegen die Beseitigung der Neuerung heftig opponiert; ganz beson­ders waren es die Frauen, die den Wert des freien Sonnabend­nachmittags schäßen gelernt hatten. Durch Vereinbarung mit ihren Unternehmern erreichten die Arbeiter der in Frage kommenden drei Hofer Betriebe die endgültige Freigabe des Sonnabendnach­mittags. Ein wertvolles Zugeständnis, daß auch die Unternehmer darauf vorbereitet sind, die Forderung nach dem freien Sonn­abendnachmittag würde bald allgemein erhoben werden, lag zwei­fellos in der Erklärung des einen Hofer Firmeninhabers: Machen wir es jetzt nicht, so bekommen wir die Sache später noch einmal, es ist daher besser, wir regeln es jetzt gleich." Die Regelung der Frage in Hof paßte aber dem Verband süddeutscher Textilindu­strieller nicht in den Kram. Als die Augsburger Textilarbeiter, sich auf das Hofer Beispiel berufend, in eine Bewegung für den freien Sonnabendnachmittag eintraten, benußten die Scharfmacher ihre Machtstellung dazu, die Hofer Fabrikanten zu veranlassen, ihre der Arbeiterschaft gemachten Zugeständnisse zurückzuziehen. Der freie Sonnabendnachmittag ging wieder verloren. Es wurde ein ein­heitlicher Arbeitsschluß in allen Hofer Betrieben für den Sonn­abend festgesetzt. Aber der Gedanke an die Einführung des freien Sonnabendnachmittags lebt weiter und wird lebendig bleiben, bis er in die Tat umgesetzt ist. Die Bewegung ist durch die Hofer Aus­sperrung in Fluß gekommen, wie die an verschiedenen Orten neuerdings erhobenen Forderungen auf den freien Sonnabend­nachmittag beweisen. Die durch Unternehmerbrutalität verfügte Aussperrung war der Auftakt zu den Kämpfen, die die Unter­nehmer den Arbeitern zugedacht haben, wenn diese es wagen soll­ten, die Grenzen der Ausbeutungsmöglichkeit etwas enger zu ziehen.

Dabei bedeutet die Freigabe des Sonnabendnachmittags, wie längst erwiesen ist, nicht einmaleine Herabsehung der Rentabilität der Unternehmungen. Die Unterneh­mer, die den freien Sonnabendnachmittag in ihren Betrieben ein­geführt hatten, haben keinen Schaden davon gehabt, die Arbeiter­schaft hatte aber Vorteile, die sie sich nicht ohne Widerstand ent­reißen lassen durfte. Auch die Unternehmer der 303 Betriebe, die nach der Umfrage Sonnabendnachmittag schließen, würden auf die Vorteile, die sich für die in diesen Betrieben beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen daraus ergeben, recht gründlich pfeifen, wenn sie selbst Nachteile davon hätten. Daß die Arbeitsleistung bei für­zerer Arbeitszeit nicht ab-, sondern zunimmt, ist auch den Unter­nehmern bekannt, ist ja sogar aus Unternehmerkreisen schon be­stätigt worden.

über die gesteigerte Arbeitsleistung der Textil­arbeiterinnen, insbesondere bei kürzerer Arbeits­zeit, hat der italienische Genosse Azi monti vor kurzem be­achtenswerte Erhebungen angestellt. Nach ihm konnte die Erhöhung des Arbeitsertrags bei Herabsehung der täglichen Arbeitszeit von 12 auf 11 Stunden beobachtet werden. Beim übergang vom Elf­zum Zehnstundentag konnten die Unternehmer schon nach 14 Tagen feststellen, daß der Arbeitsertrag des Zehnstundentags dem des Elf­stundentags merklich überlegen war. Bei den in dem beobachteten Bezirk in der Textilindustrie beschäftigten Müttern, die die Er­laubnis haben, zur Stillung ihrer Säuglinge morgens und mit tags je eine Stunde länger vom Betriebe fernbleiben zu dürfen, konnte ferner festgestellt werden, daß sie in achtstündiger Arbeits­zeit bei gleichen Löhnen und denselben Artikeln auf den gleichen Stühlen in einer Zahlperiode mehr verdienen als ihre Kolleginnen in zehn Stunden. Ist das nicht Beweis genug für die Produktivität der kurzen Arbeitszeit? Derartige Beobachtungen, bei uns ange­stellt, würden dieselben, wenn nicht günstigere Resultate zeitigen. Warum sollen wir noch zögern, eine Verkürzung der Arbeitszeit durch Einführung des freien Sonnabendnachmittags zu fordern? ( Schluß folgt.)

William Mailly,

ein sozialistischer Vorkämpfer.

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In William Mailly, der allzujung, in voller Manneskraft kürzlich vom Leben scheiden mußte, hat die sozialistische Be­wegung der Vereinigten Staaten einen ihrer trefflichsten Kämpfer verloren. William Mailly war im wahrsten Sinne des Wortes ein Sohn des Volkes. In Armut wurde er ge­boren und auferzogen; sein ganzes Dasein war ein harter Kampf mit materieller Not, und doch hat er sich aus eigener Kraft emporgerungen aus den Tiefen des Elendes und der Unwissenheit zum geistigen Führer des Proletariats. Wil­liam Mailly wurde als der Sohn armer irländischer Ein­wanderer in der Fabrikstadt Pittsburg in Pennsylvanien geboren, schon wenige Jahre nach seiner Geburt kehrten seine Eltern jedoch nach der Alten Welt zurück, und so verlebte er seine Kindheit teils in Schottland , teils in England. Die Verhältnisse im elterlichen Hause waren immer die ärmlich­sten, und nur den heroischen Anstrengungen und Opfern einer vortrefflichen Mutter von der er immer mit der höchsten Liebe sprach war es zu verdanken, daß der kleine Will wenigstens die elementarsten Schulfenntnisse erwerben fonnte.

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Als siebzehnjähriger Jüngling kehrte er allein in die Ver­ einigten Staaten zurück und fand Beschäftigung als Gruben­arbeiter in den Kohlenminen von Alabama . Dort herrschten seinerzeit ganz menschenunwürdige Zustände, und Maillys reger Geist, seine Ausdauer und Arbeitskraft und sein ge­borenes Talent zum Führer rissen ihn bald mitten in den Strom der Arbeiterbewegung. Als in dem Minendistrikt, in dem er arbeitete, der große, denkwürdige Grubenarbeiter­streif von 1893 ausbrach, betätigte Mailly eine solche agita­torische und organisatorische Fähigkeit, daß ihm bald das volle Vertrauen der Arbeiter und der ungeteilte Haß der Grubenbesizer zuteil wurde. Als nach Beilegung des Streifs die anderen Arbeiter in die Gruben zurückkehrten, wurde ihr Führer Mailly nicht wieder eingestellt. So verließ er die Gegend und damit auch zugleich das Gewerbe, aber er ist später immer mit der gewerkschaftlichen Organisation der Grubenarbeiter in engster Verbindung geblieben.

Zunächst führte ihn nun das Wanderschicksal des Arbeiters nach Nashville , Tennessee , wo er als Fuhrmann Beschäfti­gung fand und wo der Zufall ihn auf seine spätere journa­listische Laufbahn lenkte. Da er jede freie Stunde dem gei­ftigen Streben widmete und sich wieder mit Feuereifer in die Arbeiterbewegung warf, erkannten die Leiter einer Ar­beiterzeitung, mit denen er in Verbindung trat, bald seine Fähigkeiten und gewannen ihn als Mitarbeiter. In diesen und den folgenden Jahren arbeitete Mailly unaufhörlich an der eigenen vernachlässigten Bildung. Er las Geschichte, er beschäftigte sich eingebend mit Politik und sozialen Fragen, er erwarb nicht unbedeutende literarische Kenntnisse und ge­wann so allmählich aus eigener Rraft eine tüchtige allgemein menschliche Bildung, die ihn in späteren Jahren jedem bür­gerlich Gebildeten gleichstellte. In diesen Johren las und lernte sich Mailly auch zur sozialistischen Weltanschauung durch. Schon während des Grubenstreifs war er zu der Er­fenntnis gekommen, daß der gewerkschaftliche Kampf durch den politischen ergänzt werden müsse, und nun fand er in sozialistischen Schriften die feste theoretische Grundlage seiner praktischen Erkenntnis. So wurde William Mailly Sozialist, noch ehe es in den Vereinigten Staaten eine eigentliche so­zialistische Bewegung gab. Als im Jahre 1897 die sozial­demokratische Partei von Amerika begründet wurde, war er einer der Mitbegründer und eifrigsten Befürworter der jungen politischen Organisation.

In der sozialistischen Partei selber hat Mailly im Laufe der Jahre viele und verschiedenartige, aber immer wichtige berantwortliche Ämter bekleidet. Er war bald in Massa­ chusetts , bald in New York als Organisator tätig; er leitete mehrere lokale Wahlkampagnen; er war während großer