Nr. 2

Die Gleichheit

und die oft weit auseinanderliegenden Häuser. So wäre manches wertvolle Flugblatt nicht in die Hände der Wähler gekommen, wenn nicht die Genossinnen die Verbreitung mit Eifer und Energie be­sorgt hätten. Auch sonst war ihre Mitarbeit von großem Nutzen. In größeren Zwischenräumen treten die Funktionärinnen der Partei zu Konferenzen zusammen, um sich über die zweckmäßige jeweilige Art der vorzunehmenden Arbeiten zu verständigen. Bei diesen Zu­sammenfünften fann man beobachten, wie schulend der politische Kampf auf die Genossinnen wirkt, wie vieles sie lernen, was der Bewegung wieder zugute kommt. Die Genossinnen haben bei einer fruchtbaren Hausagitation Flugblätter und die Broschüre ver­breitet: Bist du eine der Unsrigen?" Mit diesem Schriftchen soll auch im neuen Tätigkeitsjahr eine Hausagitation großen Stils ge= trieben werden. Ganz besondere Bedeutung wird der Art und Weise beigelegt, wie solche Flugschriften verbreitet werden. Die nämliche Genossin, die in Bezirt, Straße oder Haus das Flugblatt oder die Broschüre verteilt hat, ist verpflichtet, einige Tage darauf in den Wohnungen mit Aufnahmescheinen vorzusprechen. Das hat sich gut bewährt und der Partei manches Mitglied zugeführt. In 32 Orten gehören dem Vorstand der Parteiorganisation Genossinnen an. Auch im Zentralvorstand sind sie vertreten. Der Schulung der weiblichen Mitglieder dienen Leseabende, die in 26 Orten regei­mäßig jeden Monat abgehalten werden. Die Teilnehmerinnen haben unentgeltlich die Broschüre erhalten: Die Frau und der politische Kampf". Unentgeltlich wird den Funktionärinnen Heft 3 der Frauen­bibliothek verabfolgt, die beiden ersten Hefte der Serie aber zu herabgeseztem Preise. Anläßlich des Frauentags wurden 250000 Flugblätter verbreitet und 21 Versammlungen abgehalten. Leider hat die Zahl der Gleichheit" leserinnen sich um 99 verringert. Im Interesse der Schulung unserer Genossinnen ist das sehr zu bedauern. Diese Scharte muß selbstverständlich ausgewetzt werden. Die Ge nossinnen sehen den Aufgaben und Kämpfen des neuen Tätigkeits­jahres mit frischem Mut entgegen. Insbesondere freuen sie sich auf den Wahlkampf zum preußischen Landtag, der ein Wahlrechtskampf sein wird, der auch für die Gleichberechtigung des weiblichen Ge= schlechts geführt wird. Eine Frauenkonferenz, die bereits im neuen Tätigkeitsjahr stattfand, hat der Beteiligung der Genossinnen an diesem Wahlkampf schon tüchtig vorgearbeitet. Die Genossinnen hoffen, daß die neuen Aufgaben auch neue Erfolge und größere Siege bringen werden. Marie Juchacz  .

Politische Rundschau.

Kriegsgeschrei erfüllt wieder einmal Europa  , und diesmal ist es nicht so sicher, daß es bloß beim Geschrei bleibt. Jm alten Wetterwinkel, auf dem Balkan  , hat sich das Unwetter zusammen­gezogen. Die Balkanstaaten haben ihre Truppen mobilisiert. Bulgarien  , Serbien  , Montenegro  und Griechenland   rüsten fieberhaft zum gemeinsamen An­griff auf die Türkei  , die energisch die Gegenwehr vorbereitet. Zwar tun die Diplomaten der Großmächte so, als könnten und wollten sie das Unheil noch verhüten. Die Großmächte sind alle die eifrigsten Friedensschützer, einig in dem Gedanken, den Kriegs­brand nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. So lautet die offi­zielle Lesart. Sie ist indes nicht ganz überzeugend. Jedenfalls haben es die angeblich in dem Wunsch, den Frieden zu erhalten, einigen Großmächte bisher noch nicht zu einem gemeinsamen Schritt bei den Balkanstaaten gebracht. Der Vorschlag Frankreichs  , den Gegnern der Türkei   als gemeinsamen Entschluß der Mächte zu erklären, daß diese im Falle des Unterliegens der Türkei   keiner­lei Verschiebung der Grenzen auf dem Balkan   dulden würden, so daß den hungrigen Nachbarn des Osmanenreiches jegliche Hoff­nung auf Beute genommen würde, ist bis jetzt noch immer ein bloßer Vorschlag. Die bürgerliche Presse hat denn auch die Hoff­nung, daß die Mächte den Krieg verhindern könnten, allmählich auf den bescheidenen Wunsch herabgestimmt, daß sie ihn wenigstens lokalisieren möchten. Das heißt, sie hofft nur noch, daß sich aus dem Balkankrieg nicht der europäische   Krieg, der Weltkrieg ent­zünden möge. Nahe genug ist dieser gerückt, wenn am Balkan   die Flinten losgehen. Denn unterliegt die Türkei  , so werden sich nicht nur Bulgaren  , Serben und Griechen in die Beute teilen, sondern dann werden auch Rußland   und Österreich   und England ihre Interessen wahren", und scharfe Gegensätze klaffen auf. Dem mitteleuropäischen Dreibund Deutschland  , Österreich   und Italien  die letztere Macht ist freilich ein unsicherer Posten steht der neue Dreibund England, Frankreich  , Rußland   gegenüber. Die Gegenfäße, die der Imperialismus in allen Gebieten der Welt zwischen diesen Mächtegruppen und insbesondere zwischen den führenden Staaten Deutschland   und England geschaffen hat

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das heißt zwischen den Bourgeoisien der Länder-, würden dann im Anschluß an die Streitigkeiten der Balkanstaaten zum welt­erschütternden Austrag kommen.

Die Diplomatie der Großmächte tut so, als sei ihr ganzes Sin­nen darauf gerichtet, eine solche Katastrophe zu vermeiden, und als komme ihr die Kriegsgefahr ganz unerwartet über den Hals. In Wirklichkeit aber haben Rußland   und Österreich   mit aller Macht dazu beigetragen, daß die jetzige Situation entstanden ist, und des­halb ist auch die angebliche Friedensarbeit der Diplomaten nur mit Weißtrauen zu betrachten. Rußland, das vor der Welt vor Eifer schwitzt, den Frieden zu wahren, spielt ganz offensichtlich ein freches Doppelspiel. Russische   Machenschaften haben die vier soge­nannten christlichen Balkanstaaten zusammengebracht und zu ihrem Vorgehen gegen die Türkei   ermutigt. Die Gelegenheit zum Angriff auf das Osmanenreich schien ja seit Ausbruch des italienisch- tür­tischen Krieges besonders günstig; der Albanesenaufstand, der die Türkei   weiter schwächte, war ein neuer Anreiz für die Nachbarn, und als den Albaniern Reformen und weitgehende Selbständigkeit versprochen wurden, da war die Gelegenheit gegeben, für die in der Türkei   lebenden Stammesgenossen der Bulgaren  , Serben und Griechen das gleiche zu fordern. Die russischen   Ermunterungen taten das ihrige. Um Rußland   den Wind aus den Segeln zu nehmen, trat Österreich  , das die Oberherrschaft auf dem Balkan  anstrebt, mit seiner Forderung an die Türkei   hervor nach Refor= men in Mazedonien  , die den christlichen Volksstämmen Selbstver­waltung gewähren sollten. Die ablehnende Haltung der türkischen  Regierung erhitte die nationalen Leidenschaften in den Balkan­Staaten, Bombenattentate der nationalistischen Organisationen in Mazedonien  , die furchtbare Christenmassakers im Gefolge hatten, schürten das Feuer weiter. Heute ist die Stimmung der Völker in den christlichen Balkanstaaten so, daß die Ferdinand, Peter usw. den Verlust ihrer Thrönchen fürchten müssen, wenn sie sich jetzt im lezten Augenblick noch dem Kriege widerseßen wollten. Starte wirtschaftliche Interessen sind die Untergründe dieser nationalen Kriegsbegeisterung. Denn diese Staaten sind seinerzeit von der europäischen   Diplomatie zurechtgeschneidert worden ohne große Rücksicht auf nationale Zusammenhänge und namentlich auf die Möglichkeit gesunder wirtschaftlicher Entwicklung. Daher empfin­den sie jetzt unter dem Einfluß des aus dem Westen eindringenden und die alten ausschließlich agrarischen Zustände zersetzenden Ka­pitalismus besonders heftig den Drang nach der Ausdehnung ihres Gebiets. Die Sozialdemokratie leugnet natürlich nicht das Recht der in der Türkei   ansässigen Bulgaren  , Serben und Griechen auf nationale Selbständigkeit und Reformen. Aber sie ist die entschie denste Gegnerin von Kriegen, die lediglich die jetzigen Zwerg staaten auf Kosten der Türkei   vergrößern sollen und bei der starken Vermischung der Nationalitäten in der Türkei   die nationalen Fra  gen doch nicht befriedigend lösen könnten. Die Sozialdemokratie des Balkans strebt einen Bund der Balkanrepubliken an, in dem die nationalen und wirtschaftlichen Interessen aller Balkanvölker zu ihrem Rechte kommen können. Einer solchen Lösung stehen freilich die Interessen sowohl Rußlands   wie Osterreichs   und anderer tapi­talistischer Staaten entgegen. Die europäische Diplomatie ist auch diesmal wieder die dunkle Macht, die die Verhältnisse verwirrt und verschlimmert, wenn es freilich auch übertrieben wäre, ihr die eigentliche Schuld an dem Auftauchen der Kriegsgefahr aufzu bürden. Die liegt, wie oben gezeigt ist, viel tiefer. Der Kapitalis mus ist's, der sie schafft und sie ist eine selbstverständliche Er­scheinung in der Epoche des Imperialismus, des allgemeinen Strebens der fapitalistischen Staaten nach Ausdehnung ihrer Aus­beutungsgebiete.

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Während so das deutsche   Volk vor der Gefahr steht, in den Strudel des Weltkriegs gerissen zu werden, bekommt es zugleich die Geißel der Teuerung immer schärfer zu spüren. Die Fleisch­not ist so unerträglich geworden, daß jezt selbst die unter der Fuchtel der Junker stehende preußische Regierung zu der Erkennt. nis gekommen ist, daß etwas getan werden muß. Lange genug freilich hat Herr v. Bethmann Hollweg   gebraucht, bis er zu einem Entschluß gekommen ist, der dem deutschen   Volke Abhife der Fleischnotvortäuschen soll. Ernstliche, durchgreifende Maß­regeln Aufhebung der Vieh- und Fleischzölle und der Grenz­sperren, Beseitigung des§ 12 des Fleischbeschaugefeßes, der die Einfuhr von Gefrierfleisch aus überseeischen Ländern verhindert will der Reichskanzler nicht, mit Rücksicht auf die Interessen der deutschen   Landwirtschaft, will heißen der Großgrundbesißer, der Junker. Selbst wenn das Volk hungert, müssen diesen Herren ihre Wucherprofite aus Zöllen und Grenzsperre erhalten werden. Und so wurde denn den darbenden Massen eine Reihe von Verordnungen geboten, die angeblich die Einfuhr von frischem Fleisch erleichtern.

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