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Die Gleichheit

In Wirklichkeit aber werden diese keine Wirkung haben, weil die Gebiete, die für die Einfuhr freigegeben werden, keine erheblichen Mengen von Fleisch zu liefern vermögen. Die Einfuhr von leben­dem Vieh bleibt nämlich wegen der Gefahr für das deutsche Vich nach wie vor fast gänzlich verboten. Aus den Nachbarstaaten darf frisches Fleisch eingeführt werden unter erschwerenden Um­ständen; die Tierkörper müssen mit den Eingeweiden verbunden sein, da der berüchtigte§ 12 des Fleischbeschaugesezes bestehen bleiben soll, natürlich im Interesse des deutschen Voltes. So fönnen, da längerer Transport des frischen Fleisches ausgeschlos­sen ist, nur die nächsten Grenzgebiete als Lieferanten in Betracht kommen, Gebiete, wo nachgewiesenermaßen eben keine großen Viehbestände vorhanden sind. Rumänien , Bulgarien , Serbien fal­Ien schon wegen der Mobilmachung aus, Belgien und Holland haben nicht viel zu bieten. Das überseeische Gefrierfleisch aber, das in großen Mengen eingeführt werden könnte, bleibt durch den § 12 des Fleischbeschaugesezes weiter ausgeschlossen. Die Fracht­und Zollermäßigungen, die auch nur gewährt werden, wenn große Städte die Bezieher sind, sind minimal, kurz, die ganze Maßregel, der sich die Regierungen der Bundesstaaten im wesentlichen an­geschlossen haben, ist die reinste weiße Salbe".

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Und dabei geht diese Maßregel den Junkern noch zu weit in der Deutschen Tageszeitung" tobt Oertel über den Schlag, der der deutschen Landwirtschaft versetzt worden ist. In Wirklichkeit meint er den Schlag, der der Zoll- und Grenzsperrpolitik versetzt worden ist. Denn so unzulänglich, ja heuchlerisch die Maßregeln der Regierungen sind, sie sind doch ein amtliches Eingeständnis, daß der Zoll verteuernd wirkt, und die Milderung der Grenz Sperrbestimmungen beweist, daß es mit ihrer Notwendigkeit für die Gesundheit des deutschen Volkes und deutschen Viches sehr schwach bestellt ist. Die Junker haben also schon einigen Grund, unzu­frieden zu sein sie fürchten die Konsequenzen. Daß die Volks­bertretung nicht so bald dazu komme, Stellung zu nehmen, ist Bethmann ängstlich besorgt. Er hat den sozialdemokratischen An­trag auf sofortige Einberufung des Reichstags in einem Schreiben an den Genossen Bebel rundweg abgelehnt. Um so mehr müssen die Massen handeln und der Regierung die heuchlerische Maske vom Gesicht reißen.

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Die preußische Junkerschaft hat in diesen Tagen ihre Genug­tuung erhalten für die Auflehnung der sozialdemokratischen Land­tagsabgeordneten Borchardt und Leinert gegen ihr par­teiisches Polizeiregiment im Landtag und gegen die Durchbrechung der Verfassung durch den Hausknechtsparagraphen der verschärften Geschäftsordnung. Der Prozeß hat mit der Verurteilung unserer beiden Genossen geendet. Das war für jeden vorauszusehen, der die deutschen, besonders die preußischen Richter kennt. Bemerkens­wert ist indes, daß nur niedrige Geldstrafen verhängt wurden, was die Reaktionspresse mit Ingrimm vermerkt. Und vor allem hat sich das Gericht vorsichtig um die Frage herumgedrückt, ob die Geschäftsführung des verstorbenen Junkerpräsidenten v. Erffa im Falle Borchardt korrekt war, was der Reaktionspresse abermals Thränen entlockt. Wichtiger als das alles ist freilich der Umstand, daß das Gericht die Geschäftsordnung des Dreiklassenparlamentes trotz ihres flaren Verstoßes gegen die Verfassung für rechtsgültig erflärt hat. Über diese juristisch ganz unhaltbare Auffassung wird das Reichsgericht noch zu entscheiden haben. Allerdings, der Streit ist mehr als ein juristischer: Verfassungsfragen sind Machtfragen. Nur das preußische Proletariat fann schließlich den Haustnechts­paragraphen mitsamt dem Junkerregiment zum Fall bringen. H.B.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Der deutsche Polizist hat von jeher gegen die um ihr Recht tömpfenden Arbeiter eine Schneid entwickelt, die einem inneren Glauben an die Bedeutung seines Amtes für die Ordnung und die Nuhe des Staates entsprang. Beobachtete man allerdings das rücksichtslose Vorgehen von Polizei und Militär bei den letzten großen wirtschaftlichen Kämpfen, so drängte sich einem die über­zeugung auf, daß höheren Ortes das kriegerische Gemüt der Ord­nungshüter noch besonders angestachelt wurde. Militär und Po­lizei hatten nicht nur die erhabene Aufgabe, die Ordnung zu schüßen, sondern auch die andere, den Streit durch Waffen­gewalt zu unterdrücken. Diese Überzeugung ist jetzt als richtig bestätigt worden durch ein amtliches Schriftstück, das der Parteipreffe zuflog. Darin wird ein Gendarm durch den Ober­wachtmeister zur Unterdrückung eines Streits tom­mandiert", und es wird ihm noch besonders aufgegeben, seinen Karabiner mitzubringen. Der Streit, dessen Unterdrückung an befohlen wurde, war ein Ausstand der Holzarbeiter in Lil­

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fit. Das hier ergangene Kommando ist ganz gewiß nicht das ein­zige seiner Art, es ist nur das einzige, das bisher zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangt ist. So ist schwarz auf weiß erwiesen, daß die Arbeiter Polizei und Militär mit ihren Steuergroschen zu ihrer eigenen Bekämpfung erhalten müssen. Nicht nur zum Schutze der lieben Arbeitswilligen, auch nicht bloß um Ruhe und Ordnung durch brutales Vorgehen zu stören, werden die Polizei­mannschaften zum Streifplak beordert. Nein, sie haben dazu noch den Befehl, Streifs selbst zu unterdrücken und nötigenfalls mit dem Karabiner ein Loch in das bürgerliche Märchen von den freien Arbeitern" au knallen, vielleicht auch in härtere Dinge. Wenn durch solches Eingreifen der Polizei für die Ausbeuter die streiflustigen" Arbeiter noch nicht zur Räson gebracht werden konnten, so kann wirklich nur noch ein neues Zuchthausgeseh hel­fen. Ein weiterer ungefeßlicher Eingriff der Polizei in das staats­bürgerliche Recht der Arbeiter wurde aus Straßburg i. E. vem Streik der Tabafarbeiterinnen gemeldet. Dort lief ein Schutz­mann bei den Eltern der streikenden Tabakarbeiterinnen herum und suchte sie zu bewegen, sie sollten auf ihre Töchter einwirken, daß diese die Arbeit aufnähmen. Der Verband könne den Strei­fenden, wie der Polizist versicherte, ja doch nicht helfen. Ihm wurde die einzig richtige Antwort. Als Dank für seinen guten Rat wurde dem Schüßer der Ordnung und der Ausbeutung gewiesen, wo der Zimmermann das Loch in der Wand gelassen hat.

Ein bedeutungsvolles gerichtliches Nachspiel wird der Berg­arbeiterstreit im Ruhrrevier noch haben. 225 Bergarbeiter haben durch den Bergarbeiterverband beim Landgericht Schaden­ersattlage gegen den Zechenverband einreichen las­fen. Eine größere Anzahl Bergleute sind nach dem letzten Streit durch schwarze Listen des Zechenverbandes ausgesperrt worden. Sie verlangen nun dafür einen Schadenersatz von rund 60 000 mt. Das Landgericht Essen und das Oberlandesgericht Hamm haben in früheren Urteilen die Aussperrungsmaßnahmen des Bechenverbandes gegen kontraktbrüchige Arbeiter soweit für be­rechtigt erklärt, als sich die Dauer der Aussperrung auf nicht länger als sechs Wochen erstreckte. Trotzdem ist diesmal- es ist der Weg der Kollektivllage gewählt worden auch für diejenigen Gemaßregelten Klage eingeleitet worden, die kürzere Zeit als sechs Wochen ausgesperrt wurden. Es soll eine endgültige Entschei dung des Neichsgerichts herbeigeführt werden.

Die Papierarbeiter und arbeiterinnen in Aschersleben stehen seit einiger Zeit in Streit. Die Besitzer der großen Fabrit, Kommerzienräte, fchenkten vor einigen Jahren der Stadt ein schönes Haus mit Theater, Bibliothek und Lesesaal und ließen sich in einer Festschrift als recht sozial fühlende Män­ner preisen. Einer der Herren empfahl bei der Einweihung jenes Hauses seinen Klassengenossen, die Arbeiter nicht als Arbeits­maschinen, sondern als gleichberechtigte Menschen zu betrachten, die vollen Anspruch auf Menschenwürde haben. Wie das gefeierte Recht auf Menschenwürde in der Wirklichkeit aussicht, das wird durch den jetzigen Kampf beleuchtet. Die vielfachen Millionäre, die 1800 Leute beschäftigen, wollen den Arbeiterinnen keine Lohn­zulage gewähren, obgleich deren Löhne bis auf 3,60 m.. chentlich heruntergingen. 300 Arbeiter und Arbeiterinnen und 300 bis 400 Seimarbeiterinnen mußten die Arbeit niederlegen, um menschenwürdigere Löhne zu erkämpfen. Der Buchbinder. verband, dessen Mitglieder die Streikenden sind, wird durch tatkräftige Unterstüßung der Streikenden den Herren das soziale Gewissen schärfen müssen, damit es sich merktags praktisch äußert und nicht bloß bei Festlichkeiten in schönen Reden austobt.

In der Schokoladen- und Zuckerindustrie werden verschiedene Lohnbewegungen geführt. Bei der Firma Moser. Roth in Stuttgart fam nach kurzem Ausstand durch die Vermittlung eines Regierungsbeamten eine Vereinbarung zu­stande. Diese sichert den 134 Arbeiterinnen bei der Einstellung einen Stundenlohn von 20 Pf. und erhöht auch die übrigen Löhne ein wenig. Bisher verdienten die Arbeiterinnen bei angestreng­tester Affordarbeit 13 Mt. wöchentlich, viele noch weniger. In der Bremer Schokoladenfabrik führte die Arbeiterschaft& einen Streit mit Erfolg durch. Auch hier erhalten die Arbeiterin­nen nunmehr einen Anfangsstundenlohn von 20 Pf., während der für angelernte Arbeiter auf 40 Pf. steigt. Der Erfolg ist der Ge­schlossenheit der Arbeiter und Arbeiterinnen im Kampfe zu dan­fen. Auch in der Herforder Zuckerwarenindustrie und an anderen Orten sind Lohnkämpfe im Gange, an denen Ar­beiterinnen besonders beteiligt sind. In der Fischkonser­venindustrie, die in den Unterweserorten ihren Hauptsitz hat, beabsichtigen die Unternehmer durch Anwerbung ausländischer Arbeiterinnen nicht allein die Löhne zu drücken,

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