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Die Gleichheit

standen auch Frauen an der Spiße der Bewegung und be­tätigten eine beispiellose Energie. Ihre Namen mußten sie bei ihrem Wirken ebenso oft wechseln wie ihre falschen Bässe, und dennoch wußte in der Regel die Masse der Werktätigen, wen sie vor sich hatte. Denn unsichtbare Fäden wurden von Stadt zu Stadt gesponnen, und Legenden umwoben die Namen derer, die der Stolz der Arbeiterschaft waren und die Seele ihrer Bewegung, ihrer Kämpfe.

Allein nur wenig sind bisher in der revolutionären Be­wegung die Arbeiterinnen mit besonderen Forderungen als Frauen aufgetreten. Im Programm des jüdischen, Bundes", der ein Teil der allgemeinen sozialdemokratischen Partei Rußlands ist, wird politische Gleichberechtigung für das weibliche Geschlecht, Mutterschutz usw. gefordert. Jedoch nie­mals haben diese Forderungen in der Praxis eine besondere Rolle gespielt. Das erklärt sich vor allem durch den beson­deren Charakter der revolutionären Bewegung in Rußland . Vom freien Rußland erhoffte man im ganzen alles Gute, ohne es im einzelnen näher darzulegen. Der politische Inhalt der Agitation mußte, natürlich genug, mehr allgemeiner Natur sein. Ferner beteiligten sich an der illegalen, gefahr­vollen Bewegung in der Hauptsache nur ledige Arbeiterinnen. Außerdem besaßen ja auch die Männer feine politischen Rechte. Wie die Dinge lagen, fehlte es an den Umständen, die zu einer besonders nachdrücklichen Betonung von Frauen­rechten und Frauenforderungen veranlaßt hätten.

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Anders aber stehen die Verhältnisse nun. Tausende jüdi­scher Arbeiterinnen darunter viele verheiratete Frauen, Mütter in mittleren Jahren beteiligen sich jetzt an der po­litischen und gewerkschaftlichen Bewegung. Die Notwendig­teit sozialer Forderungen, die die Frauen besonders an­gehen Mutterschuß, Kinderfürsorge usw.-, wird ihrem Berständnis tagaus, tagein praktisch nähergerückt. Auch die Forderung politischer Rechte für die Frau gewinnt für sie immer mehr praktische Bedeutung. So beginnt die jüdische Arbeiterin in Rußland allmählich ihre Kräfte zu sammeln zum Kampf für ihre Rechte und Ansprüche als Frau. Und die Zeit ist nicht mehr fern, wo die jüdischen Arbeiter­massen in diesem Kampfe zusammen mit den proletarischen Schwestern des ganzen Riesenreiches den Mut und die eiserne Energie entfalten werden, die schon einzelne Frauen und kleinere Fähnlein von Arbeiterinnen in der allgemeinen revolutionären Bewegung bewiesen haben. Damit müssen auch all die Forderungen der proletarischen Frauen die sozialpolitischen wie die rein politischen wichtige Punkte wichtige Punkte im Arbeits- und Aktionsprogramm der allgemeinen Be­wegung werden. Denn bei aller stärkeren Betonung der For­derungen, die die jüdischen Arbeiterinnen als Frauen zu er­heben haben, zeigt sich erfreulicherweise nicht die geringste Neigung zur Gründung besonderer Frauenorganisationen. Der Kampf für die Rechte der Frau, und zumal der prole­tarischen Frau, wird von der jüdischen Arbeiterschaft in Ruß­ land durchgefochten werden als der Kampf der Ausgeheuteten und Unterdrückten ohne Unterschied des Geschlechts wider Ausbeutung und Unterdrückung jeder Art.

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Der Budapester Rongreß

A. L.

Nr. 23

trotzdem warf der Kampf der Suffragetten seinen Schatten über den Kongreß und erzwang sich Aufmerksamkeit. Die ge­mäßigten Frauenrechtlerinnen mögen fich wenden und drehen wie sie wollen: die Suffragetten bleiben ihr fiamesisches Zwillingsgeschwister. Nicht nur die Unklarheit über ihr Ziel ist es, die sie mit der gemäßigten bürgerlichen Frauen­rechtelei verbindet. Es ist auch der vollständige Mangel an richtigem geschichtlichem Sinn für die Bedingungen politischer, sozialer Kämpfe, jener Mangel, aus dem ihre ,, kriegerische" Taktik geboren wird. Aber was die Suffragetten von ihren bürgerlichen Schwestern trennt, das ist die Gleichgültigkeit, ja Verachtung für die Geseze der bürgerlichen Gesellschaft, das ist die grenzenlose, selbstlose Hingabe, die weder Arbeits­haus noch Hunger, noch den Tod scheut. Blut spricht in der Geschichte sozialer Kämpfe und politischer Parteien eine ein­drucksvolle Sprache. Und der Wirkung dieser Sprache konnte sich auch der Kongreß nicht entziehen, so ungemein peinlich das den ,, maßvollen, klugen" Führerinnen war.

Das Präsidium hatte viele Anfragen erhalten, wie der ,, Weltbund" sich zu den Suffragetten stelle. Die Vorsitzende, die Amerikanerin Frau Chapman- Catt, erklärte, daß der Bund nicht befugt sei, sich für oder gegen eine Taktik nationaler Gruppen auszusprechen. Die ,, Gleichheit" hat bereits in Nr. 21 die zur Annahme gelangte Resolution mitgeteilt, deren Zwei­deutigkeit mit dem gröbsten Bindfaden genäht ist. In der Tat: die Resolution spricht sich unmittelbar weder für noch gegen die Taktik der Suffragetten aus, läßt aber zwischen den Zeilen die Ansicht herauslesen, daß diese Taktik der Ein­führung des Frauenwahlrechts hinderlich ist. Von Sitzung zu Sigung wartete zumal das Kongreßpublikum mit größter Spannung darauf, daß die anwesenden Vertreterinnen der Suffragetten sprechen würden. Endlich, am letzten Tage, durf­ten sie das tun. Mrs. Despard, die greife Vorkämpferin für Frauenrechte, deren Hingabe und Feuer auch dem Gegner Achtung abnötigt, erklärte schlicht: Wir brechen die Gesetze unseres Landes, weil wir glauben, daß sie schlecht sind." Sie bedauerte, daß der Kongreß zeige, wie wenig die Frauen­rechtlerinnen mit den Arbeiterinnen gingen. Und in jener Unklarheit über die Klassengegensäße, die bei Mrs. Despard ihre Wurzel in einer weitspannenden demokratischen Ge­sinnung hat, meinte sie: Die Wahlrechtsfrage solle nicht bloß die Nationen, sondern auch die Klassen verbinden. Die Prole­tarierinnen allein verständen in England, daß die Suffra­getten sich für ihre Ideale opferten. Eine zweite Vertreterin der revolutionären Taktik" kam noch zum Worte: Frau Sanderson- Cobden, eine Tochter des berühmten Freihändlers Cobden.

Mrs. Chapman Catt in Person antwortete den bei­den Suffragetten. Es war der einzige Augenblick des Non­gresses, wo ihre vornehm- fühle" Art sie im Stiche ließ, wo die Vorsitzende lebendig, fast leidenschaftlich wurde. Frau Chapman- Catt wehrte sich dagegen, daß man die Suf­fragetten mit der Glorie des Heldentums umgebe. Sie er­klärte, daß es zu allen Zeiten Heldinnen für die Frauenwahl­rechtssache gegeben habe, und daß auch Heldinnen jene vielen Ungenannten und Unbekannten seien, die ihr Leben dieser Sache still widmen. Ob die Vorsitzende bei diefem Sage an die Hunderttausende proletarischer, sozialistischer

des Weltbundes für Frauenstimmrecht. Frauen gedacht hat, die für die Befreiung ihrer Klasse und

Von e. r.

( Schluß.)

Ein Hauptinteresse beanspruchten auch die Debatten über die Stellungnahme des Rongresses zu den englischen Suffragetten und ihrer Taktik. Gewiß, diese Frage stand gar nicht auf der Tagesordnung. Die Drahtzieherinnen der Tagung hatten es für wichtiger ge halten, daß die übrigens geistvolle und sympathische Ameri­fanerin Perkins Gilman über Die neuen Mütter" sprach, und daß man seine Gedanken darüber austauschte, wie die ,, mondaine Frau", die Dame der oberen Zehntausend, als Anhängerin des Wahlrechts geworben werden könne. Aber

ihres Geschlechts kämpfen? Näher liegt der Gedanke, daß ihr die Teilnehmerinnen des Kongresses vorschwebten, die einige Tage vorher in großer Toilette die breiten Treppen der Fischer­bastei hinaufgeschritten waren und oben den glänzenden Will­komm des Bürgermeisters von Budapest entgegengenommen hatten. Die Suffragetten hatten darum nachgesucht, daß zwei ihrer Organisationen in den Weltbund aufgenommen wür­den: Women's Freedom League of England"( Liga für die Freiheit der englischen Frauen) und Women's tax resi­stance society"( Vereinigung für die Steuerverweigerung der Frauen). Das Ergebnis des Nededuells über ihr An­suchen war, daß die Suffragetten außerhalb des Weltbundes