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Die Gleichheit
Röckchen, Höschen und Spizen ist, das gibt den erwünschten Nervenreiz. Manche der Damen tun vielleicht auch ganz flug daran, ihren häßlichen oder durch Modetorheiten verhunzten Körper zu verstecken. Und so laufen denn die Damen in seidenen Badekostümen" herum und in seidenen oder famtenen Schuhen!
Sie haben's ja dazu, laßt ihnen ihr Vergnügen! Aber woher stammt all das Geld, das sie dafür brauchen! Wenn der hochelegante" seidene Anzug ein paarmal im Wasser war, was ist er dann noch? Meist nur ein häßlicher Lappen, feinesfalls ein„ schickes" Kostüm für eine Dame. Mit einem einzigen Badekostüm ist's also nicht getan. Eine Dame der Gesellschaft braucht für einen Sommer mehrere. Das greift ins Geld. Was für eine Kleidung ausreichen würde, an der eine Arbeiterfrau ihr halbes Leben lang ihre Freude haben könnte, das wird hier in einer Saison vergendet und vertan. Es ist eine frevelhafte Verschwendung mit den Gütern der Welt und mit den Arbeitskräften der Gesellschaft. An jenen ,, eleganten Badekostümen" klebt der Schweiß vieler Ausgebeuteter; der Schweiß der Männer und Frauen, die auf dem Acker und in der Fabrik fronden und durch ihre Mehrarbeit das prasserische Leben der den Lurus Genießenden wie das entbehrungsvolle de entbehrungsvolle der im Dienste des Lurus Schaffenden ermöglichen: Seidenraupenzüchter, Spinner, Weber, Färber und Schneiderinnen. Die Näherin allein hat vielleicht zur Herstellung der Herrlichkeit zehnmal soviel Zeit gebraucht, als die Dame das Kostüm auf dem Leibe hat, um einige Stunden lang die lüfternen und wohlgefälligen Blicke der Männchen darauf zu lenken. So widersinnig und verbrecherisch die Vergeudung menschlicher Arbeitskraft zur Herstellung von Mordinstrumenten ist, so wahnsinnig ist ihre Vergeudung zur Her stellung von Flittertand. Derweil sich am Strande in den Modebädern die elegante faulenzende Welt in Badekostümen fpreizt, laufen viele Hunderttausende fleißiger Proletarier in häßlichen alten Lumpen herum. Leider sehen die Werktätigen viel zu wenig von jenem Leben und Treiben, denn dieser Anschauungsunterricht müßte sie zum schärfsten Kampf aufpeitschen gegen eine Gesellschaftsordnung, deren unvermeidliche Früchte solche soziale Gegenfäße und so viel Wahnsinn, so große Schamlosigkeit unter gleißender Hülle sind. F. Linke.
Aus der Bewegung.
Friedrich Zietsch und Karl Weiser t. Der unerwartete Tod des Genossen 8ietsch hat unserer Bewegung eine Kraft entriffen, die trotz ihrer Jugend schon viel gegeben hatte und für die Bukunft noch reiche Leistungen versprach. Der Verstorbene war die Verkörperung eines Proletariers, der um die Entfaltung scines Menschentums ringt und die unter Nöten und Kämpfen entwickelten schönen natürlichen Gaben felbstlos und treu für die Befreiung feiner Klasse einsetzt. 1877 in Berlin geboren, lernte Genosse Bietsch in seinem Beruf als Porzellanarbeiter die Lage der Ausgebeuteten nicht bloß kennen, sondern auch verstehen. Verstehen in all ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen, die den Kapitalismus als den Beiniger und Knechter und den Sozialismus als den Erlöser der proletarischen Massen erweisen. Der Aufenthalt in der Schweiz , in Wien und Paris weitete den Ho rizont des jungen strebsamen Proletariers und bereicherte sein Innenleben. So konnte er, in die Heimat zurüdgefehrt, bald auf gewerkschaftlichem und politischem Gebiet Bemerkenswertes leisten und auf vorgeschobenem Posten stehen. Der Dreiundzwanzigjährige wurde Redakteur des„ Saalfelder Volksblatts", und zwei Jahre später, 1902, faß Genosse Bietsch als Abgeordneter im Landtag für Sachsen- Meiningen . Von 1903 an wirkte er wieder in Berlin . Er leitete die Ameise", das Verbandsorgan der Borzellanarbeiter, war internationaler Gewerkschaftssekretär seiner früheren Berufsgenossen, wurde 1908 zum Stadtverordneten in Charlottenburg und 1909 bei der Nachwahl in Roburg als Reichstagsabgeordneter gewählt. Der Siß ging bei den letzten Wahlen verloren, und Genoffe Zietsch wurde 1912 zum Sekretär der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gewählt. Mit außerordentlichem Fleiß und Geschid hat er das wichtige Amt verwaltet, wer einer Auskunft über parlamentarische Fragen bedurfte oder Ma
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teriak dazu, dem war er ein freundlicher, hilfsbereiter Berater. Genosse Bietsch hat jederzeit regen Eifer bekundet, die Proletarierinnen aufzuklären und für den Kampf ihrer Klasse zu organisieren. Als Redakteur der„ Ameije" wie als Agitator hat er in diesem Sinne gewirkt. Die Gleichheit" hat mit ihm einen fachkundigen, geschätzten Mitarbeiter verloren. Schon der trockene Umriß dieses proletarischen Kämpferlebens läßt empfinden, wie reich sein Inhalt gewesen ist. Mit Trauer gedenkt das deutsche Proletariat der Kürze dieses Lebens, mit Stolz seines Inhalts und seines Ziels. with und
Karl Weiser war kein politischer Kämpfer, aber ein ganzer Mann, der mit Leib und Seele dem Sozialismus anhing und auf literarischem Gebiet mannhaft für seine überzeugungen wirkte. Die Eltern hatten ihn für die Gottesgelahrtheit bestimmt, in dem jungen Weiser war jedoch das vererbte Schauspielerblut mächtig, und er suchte und fand seinen Weg zur Bühne. Als Charakterbarsteller hatte er trotz seiner Jugend bald Erfolg. In dem berühmten Meininger Ensemble nahm er lange Jahre eine der ersten Stellen ein. Anfangs der neunziger Jahre folgte er einem Ruf an das Weimarer Hoftheater, an dem er eine führende Persönlichkeit blieb. Jn Weimar ist er im 67. Lebensjahr ciner Blutvergiftung erlegen. Karl Weiser hatte als Freiwilliger 1870/71 vor Sedan und Paris gekämpft, vom Ideal eines einigen und freien Deutschlands auf das Schlachtfeld getrieben. Als er aus dem Krieg zurüdkehrte, drängte sich ihm überwältigend die Erkenntnis auf, daß das geeinte Deutschland ein Reich der Reichen 3 zeigt ben Denker, aber auch gegen die Ausgebeuteten
den Charakter, daß diese Erkenntnis vollendete, was Weisers demokratisches Empfinden schon vorbereitet hatte: das Bekenntnis zum Sozialismus. Weifer befreundete sich innig mit Johann Most und veröffentlichte in der Chemnitzer Freien Presse" unter dem Pseudonym Siegfried viele flangvolle frische Kampfesgedichte. Er ist der Verfasser mehrerer Dramen, die freiheitliche Gesinnung und edle Menschlichkeit atmen und unter denen als
Hauptwerk das vierteilige Jesusspiel hervorragt. Die Zensur berbot die Aufführung, weil Weiser in diesem Drama nicht den Gottessohn der Kirche dargestellt hat, vielmehr einen großherzigen, starken Menschenfreund und Menschheitsbefreier. Weiser hat die Freude erlebt, daß sein Gedicht„ Die Hekatoncheiren"( Die Hunderthändigen) in Musik gesetzt worden ist und von Arbeiterfängern vor die breitesten Boltsmaffen gebracht werden soll. Die erste Aufführung ist für den Jenaer Parteitag geplant. Das Gedicht ist eine Berherrlichung des Proletariats, das in seiner Doppeleigenschaft als ausgebeutete und als menschheitsbefreiende Klaffe gezeigt wird. Noch in den Tagen der Krankheit beschäftigte fich Weiser mit dem Gedanken, seine politischen Gedichte gesammelt herauszugeben, und ein langjähriger verständnisvoller Freund, Genoffe Adolf Ged, sollte ihm bei dieser Arbeit helfen. Bis zu seinem letzten Atemzug hat Weiser für seine sozialistische Überzeugung geglüht, ein feltenes Beispiel von Jdealismus und Charakterstärke in der kleinen Welt der künstlerisch Schaffenden und Genießenden.
Jahresbericht der Genosfinnen des 8. sächsischen Wahlkreised. Unser Wahlkreis gehört zu den Gegenden, wo die sozialistische Arbeiterbewegung schon früh Fuß zu faffen begann. In seinen einsamen Waldstrichen fanden in der Zeit des Sozialistengesetes oft wichtige Beratungen statt. Damals blühte die Steinindustrie, namentlich in Pirna , Posta und Struppen . Die Steinarbeiter stellten neben den Tabakarbeitern damals wohl die Elitetruppen der Partei. Auch die Proletarierinnen im Kreise begannen früh zu erwachen. Unsere verstorbene Genofsin Eichhorn, die Genossinnen Schmidt und Köhler wie die Unterzeichnete waren wiederholt zu Vorträgen, Zusammenkünften und Aussprachen mit den Genossinnen in Pirna und anderen Orten. Eine wirtschaftliche Umwälzung im Baufach drängte jahrelang die besferen Steinarbeiten zurück. Anhaltende Arbeitslosigkeit trat unter den Steinarbeitern ein, die Hunderte von ihnen zum Fortzug zwang, andere in die schlecht lohnenden Betriebe der Papierindustrie trieb. So gingen sehr viele wertvolle Kräfte der Bewe gung verloren. Die schwere Zeit drückte auch auf die junge prole= tarische Frauenbewegung und raubte ihr fast den Atem. Die Nöte und Sorgen des Lebens waren allzu groß und lasteten besonders auf den Frauen. Unter diesen Umständen gewann die Heimarbeit rasch an Boden. In Sebnih und anderen Orten noch lam die Blumenindustrie in Schwung. Agenturen und Ausgabestellen für Heimarbeiterinnen diefes Gewerbezweiges schossen wie die Pilze aus der Erde. Gemeindevorstände, Kaufleute und Beamtenfrauen wetteiferten miteinander, um eine solche Ausgabestelle zu bekommen. Frauen und Kinder wurden in Menge in das