Nr. 23

Frauenbewegung.

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Die Gleichheit

Ein internationaler Franenkongreß in Paris hat kurz vor der Budapester Tagung stattgefunden. Er war von der fran­ zösischen Sektion des Internationalen Frauen­bundes einberufen, einer frauenrechtlerischen Organisation, die nicht mit dem Weltbund für Frauenstimmrecht ver­wechselt werden darf. Sie faßt international ähnlich wie der Bund deutscher Frauenvereine Frauenvereinigungen zusam­men, die die verschiedensten Bestrebungen verfolgen. Das Frauen­wahlrecht ist also unter den von ihr verfolgten Zielen eines unter vielen. Der Kongreß zu Paris tagte vom 2. bis 10. Juni und war überwiegend von Französinnen besucht, jedoch waren fast alle dem Frauenbund angeschlossenen Länder durch einige Dele­gierte vertreten. Er hat sich in erster Linie als eine fleißig und ernst arbeitende Veranstaltung erwiesen. In recht eingehenden Be­ratungen behandelte er: 1. Die Mitarbeit der Frau in der Armen- und Wohlfahrtspflege. 2. Die Frau in der öffentlichen Gefundheitspflege, zumal im Kampfe gegen die Tuberkulose und den Alkoholismus . 3. Erziehungs­fragen, darunter der Kampf gegen die Demoralisation der Jugend durch Schmutz und Schund in Wort und Bild. 4. Recht 3- fragen, die zivilrechtliche Stellung der Frau, die elterliche Gewalt, Aufhebung der Ausnahmeregeln zur Sittengesetzgebung usw. 5. Arbeiterinnenfrage, Arbeiterinnenschutz, Kinder­schutz, Mindestlöhne. 6. Wissenschaft und Kunst, die Stellung der Frau in den akademischen Berufen. 7. Stimm= recht. 8. Frieden. Wir werden auf diesen Kongreß noch zurüd­fommen.

Frauenstimmrecht.

Fortschritte desFrauenwahlrechts in den Vereinigten Staaten. Innerhalb von wenigen Wochen sind zwei bedeutende Errungen­schaften zu verzeichnen. Der Staat Illinois hat den Frauen das Präsidentschaftswahlrecht zuerkannt, und ein Ko­mitee des Bundessenats hat ein Amendement zur Konstitu­tion empfohlen, das das allgemeine Frauenstimmrecht ein­führt. Der Staat Illinois ist der erste östlich des Mississippi, der das Bürgerrecht seiner Frauen anerkannt hat. Er ist ferner der crste Staat der Union, der die Neuerung nicht durch eine Urab­stimmung der Bürger einführt, sondern auf dem kürzeren Wege einer gesetzlichen Bestimmung. In Illinois befinden sich nun die Frauen in der seltsamen Lage, daß sie wohl an den Präsident­schaftswahlen der ganzen Union teilnehmen können, aber nicht an den Wahlen zu den gesetzgebenden und verwaltenden Körperschaf­ten im eigenen Staate. Die Fortdauer dieser Beschränkung ist aber nur noch eine Frage der Zeit. Der Zuerkennung des nationalen, des Präsidentschaftswahlrechts an die Frauen in Jllinois wird in naher Zukunft unzweifelhaft die Einführung des staatlichen und fommunalen Frauenwahlrechts folgen. Da Illinois ein bedeuten­der Industriestaat ist und da die weiblichen Massen der arbei­tenden Bevölkerung fortan unzweifelhaft von dem neuen Recht Gebrauch machen werden, so ist die Einführung des Frauenwahl­rechts dort für die sozialistische Partei von besonderem Interesse. Unsere Genossen und Genofsinnen werden in diesem Staate mit verdoppeltem Eifer ihre Propaganda unter den Frauen betreiben. -Daß ein Komitee des Bundessenats die Abänderung der Bundes konstitution empfohlen hat, ist zwar von keinem unmittel baren praktischen Erfolg, doch kommt dem Beschluß deshalb Be= deutung zu, weil sich zum erstenmal eine Mehrzahl von Vertretern der Bundesverwaltung zugunsten des Frauenwahlrechts erklärt hat. Die Entscheidung ist eines der vielen Zeichen der Zeit, daß in den Vereinigten Staaten die politische Gleichberechtigung der Frau rasch ihrer Verwirklichung näherrüdt. Wie stark die Stimmung zugunsten des Frauenwahlrechts in der ganzen Union gewachsen ist, geht ferner daraus hervor, daß in letzter Zeit wie kurz be­richtet wurde in sieben Staaten die gesetzgebenden Körper­schaften Vorlagen für die Einführung des Frauenwahlrechts an­genommen haben. Es find: Nord- und Süddakota, Ne­bada, Montana, New York, New Jersey Pennsylvanien. Die Wähler der betreffenden Staaten wer­den teils in diesem Herbst, teils im kommenden Jahre durch Ur­abstimmung das entscheidende Wort über die Reform zu sprechen haben. Meta L. Stern, New York.

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und

Die Potemkinfchen Dörfer des Franenrechts in Ungarn, die den ausländischen Teilnehmerinnen am Internationalen Frauenstimmrechtstongreß zu Budapest von den ungarischen Frauenrechtlerinnen in lieblicher Eintracht mit den Behörden vorgeführt worden sind, sind von manchem Streiflicht

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beleuchtet worden. So erfährt man unter anderem nachträglich, die tagenden Gläubigen und Ungläubigen aller Nationen hätten es sehr bitter empfunden, daß es ihrem spiritus rector, der ameri­anischen Predigerin Anna Shaw wohl gestattet wurde, in der protestantischen Kirche zu Buda das lautere Wort Gottes" zu verkündigen, daß ihr aber das Besteigen der Kanzel dabei streng­stens verboten war. Die zu dem Verbot gegebene Begründung mußte die politischen Backfischchen besonders anmuten, die in allen Sprachen berzückt von den Kulturfortschritten in Ungarn schwärm­ten. Es hieß nämlich, die Kanzel sei zu heilig für eine Frau!" So durfte Shaw nur zu ebener Erde unter ihren Anhängerinnen stehend predigen, und die armen frauenrechtlerischen Lämmlein der einen Herde", von der Reverend Shaw zu falbadern pflegt, famen um einen Teil des erwarteten Genusses. Die besonder3 Hangvolle Stimme der Predigerin soll nämlich nicht voll zur Gel­tung gekommen sein, als sie in schluchzenden Tönen von dem fliegenden Mann und der Frau im Ochsenkarren" sprach. Wer denkt bei diesem Verbot im fortschrittlichen" Ungarn nicht an die Toleranz der Kirchenbehörde in Basel, die beim internationalen sozialistischen Kongreß die Umstürzler" von der Kanzel herab die sozialistische Friedensbotschaft predigen ließ? übrigens ist der Weihrauch, mit dem die Frauenrechtelei die Gestalt ihrer Pre­digerin" umnebelt, ein charakteristisches Anzeichen der inneren Verfassung breiter bürgerlicher Frauenkreise. Frau Shaws Ver­dienste um die Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten in allen Ehren! Als Predigerin jedoch ist sie geradezu der voll­kommenste Typus ganz alltäglicher pfäffischer Beredsamkeit, die ebenso jedem auf die Nerven fallen muß, der von echter Religiosi­tät beseelt ist, wie denen, die nur eine Spur künstlerischen Emp­findens haben. Wenn je, so verrät in diesem Falle das Klangvolle Wort und die sorgfältig einstudierte Geste, daß die Kutte noch nicht den Mönch macht. Die Frauenrechtlerinnen stellen sich kein geringes Armutszeugnis aus, indem sie den Schein für das Sein nehmen. Davon zu schweigen, welch geistige Unfreiheit es verrät, wenn die Frau als Predigerin oder Angepredigte in dem Bann­freis irgend einer Kirche hocken bleibt, statt daß sie sich in freiheit­licher Gesinnung aus jedem solchen Banne löst.

Fürsorge für Mutter und Kind.

a. n.

Ueber die Mutter- und Säuglingsfürsorge in den Vereinigten Staaten veröffentlichten wir in Nr. 21 eine Notiz, die wir in der Frauenbeilage mehrerer großen Tageszeitungen gefunden hatten und die unwidersprochen geblieben war. Obgleich wir gewöhnlich ähnlichen Notizen mit einer guten Dosis Mißtrauen gegenüber­stchen, glaubten wir in diesem Falle die gemeldeten Fortschritte unseren Leserinnen mitteilen zu sollen. Leider ist unser guter Glaube nicht berechtigt gewesen. Die Nachricht stimmt nicht, wie uns Genosse Hepner mitteilt, der mit Liebknecht und Bebel zusammen im berühmten och verratsprozeß die Schönheiten der Klassenjustiz in Deutschland kennen lernte und lange Jahre in den Vereinigten Staaten als Bahnbrecher für den Sozialismus gewirkt hat. Dieser ergraute und verdienstvolle Vor­kämpfer des Proletariats, ein vorzüglicher Kenner der Verhältnisse in Nordamerika, schreibt uns:

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Werte Genosjin! Mit Ihrer Notiz Die staatliche Unter­stützung mittelloser Mütter" in 23 Staaten der Union in der Nummer vom 9. Juli find Sie einer Mystifikation zum Opfer gefallen wie dasjenige Parteiblatt, dem Sie die Mit­teilung entlehnten. In der ganzen Union gibt es feinen Staat, dessen gesetzgebender Körper sich zu der Höhe solcher Anschauung aufschwingen könnte, daß des Staates Verpflichtungen sich auch auf jenes Gebiet erstrecken. Nun gar Pennsylvania, dessen Ober­gericht bisher alle in anderen Unionsstaaten endlich durchgesetzten fleinen Arbeiterschutzmaßregeln für verfassungswidrig erklärt hat. Und die reaktionäre Legislatur von Missouri sollte den mittel­losen Frauen Gefangener eine Pension bewilligen! sat Die in Frage kommende kleine Notiz soll einfach eine Verspot­tung der modernen, seit kurzem so siegreichen Frauenrechtsbewe gung in den Vereinigten Staaten sein und auf ihre Gefahren" Hinweisen: die nicht ohne Grund von den Reaktionären befürch­teten Folgen des allgemeinen Frauenstimmrechts in der Richtung von staatlicher Unterstüßung mittellofer Mütter. Die amerikani­schen großen Tageszeitungen enthalten nämlich am Schluß des politischen Teils sehr häufig einen humoristisch- fatirischen Artikel oder kleine Notizen dieser Art. Amerikafeindliche deutsche Korre­spondenten in New York schmuggeln nun solche Beiträge um die Bereinigten Staaten in gut bürgerlichen Augen lächerlich zu machen machen als Berichte von Tatsachen in die deutsche Presse

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