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Die Gleichheit

träumt. Wichtiger noch ist es, daß die Eisenacher Tagung auch den Bayerischen Landesverein für Frauenstimm= recht veranlaßt hat, in einer außerordentlichen Generalversamm­lung den Austritt aus dem Deutschen   Verband zu beschließen. Fräulein Dr. jur. Augspurg hat in Berücksichtigung der Situa tion ihr Amt als Redakteurin des Verbandsorgans" Frauen= stimmrecht" sofort niedergelegt. Wie Figura zeigt, läßt sich die fluge Taktik höchst eigenartig an, alle Frauen" zum Aufmarsch für ein gbeliebiges Nurfrauenwahlrecht" zu sammeln". Sie führt zur Absplitterung der Frauenrechtlerinnen, die ehrlich ein demokratisches Wahlrecht wollen. Wie uns aus frauenrechtlerischen Kreisen mitgeteilt wird, soll die Eisenacher Generalversammlung die Tür geöffnet haben, durch die künftig das allgemeine Wahlrecht aus den Verbandssazungen herausgeworfen werden kann. Nach dieser Mitteilung ist die Statutenbestimmung gefallen, die für Sazungsänderungen und Auflösung des Verbands eine Drei­viertelmehrheit der Abstimmenden vorschreibt. In Spezialabstim­mungen über einzelne Amendements wurden redaktionelle und sachliche Änderungen des betreffenden§ 9 angenommen, dann aber erfolgte in einer Gesamtabstimmung die Ablehnung des veränder­ten Absages im ganzen.§ 9 würde demnach keine Vorschrift mehr über das Mehrheitsverhältnis bei den obenerwähnten Abstim­mungen enthalten. In der uns zugegangenen Darstellung wird es bestritten, daß nun ohne weiteres die alte Statutenbestimmung in Kraft bleibt. Der Grund dafür wäre, daß es sich nicht um bloße Abänderungen des§ 9 gehandelt habe, sondern um einen selbstän­digen, abgeschlossenen Vorstandsentwurf zur Sagung. Stimmt das, so kann auf einer Generalversammlung die einfache Mehrheit das den Gemäßigten" so anstößige Bekenntnis zum allgemeinen Frauenwahlrecht streichen.

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Berichtigung. In dem Artikel in Nr. 4 der Gleichheit" über die fünfte Generalversammlung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht in Gisenach ist die Behauptung aufgestellt worden, daß ich meine Stimme mit erzener unerschütterlichkeit" nacheinander für alle Abänderungs­vorschläge des§ 3 abgegeben haben solle. Diese Behauptung ist unwahr. Ich habe nur für den Stettiner Antrag gestimmt. Ich erlaube mir zu bemerken, daß ich den Kampf für die politische Gleichberechtigung der Frauen für die vornehmste Aufgabe der Frauenbewegung halte. Obwohl ich stets Anhängerin des allge= meinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts gewesen bin und auch noch bin, scheint mir die Frage der Ausgestaltung des Wahlrechts für die Frauenstimmrechtsorganisationen erst in zweiter Linie zu stehen, besonders in einer Zeit, in der die Stimmrechtsbewegung durch solche. Belastung auseinanderzufallen drohte. Ich teile in dieser Beziehung vollkommen die Auffassung der Sozialdemokratin Wally Zeppler, die sie in den Sozialistischen Monatsheften", Heft 1, 1913 dargelegt hat. Martha Voß- Biez. Der Berichtigung" zur Antwort. Wenn Frau Voß- Bieg die Mitteilung der Gleichheit" über ihre Abstimmung bemängelt, so trifft sie selbst ein Teil Schuld daran, daß diese Mitteilung un­richtig war. Sie stüßt sich auf die Angaben, die der Vorwärts" bom Donnerstag, den 16. Oktober, 3. Beilage, über die Abstim­mung der Vorstandsmitglieder des frauenrechtlerischen Verbands veröffentlicht hat. Frau Stritt hat diese Angaben berichtigt, so­weit sie sich auf ihre eigene Abstimmung bezogen, aber sie hat sie nicht in ihren übrigen Teilen beanstandet. Da sich auch Frau Voß- Bieß nicht gegen sie gewendet hatte, glaubten wir sie für zutreffend halten zu müssen. Trotzdem haben wir von Frau Voz­Zieß' Abstimmung nur in bedingter Rede gesprochen, also die Frage offen gelassen, ob unsere Mitteilung zutreffend sei. Davon fann sich jeder überzeugen, der des Lesens kundig und des Ver­stehens fähig ist. In ähnlichen Fällen pflegt man von der Un­richtigkeit einer Behauptung zu sprechen. Frau Voß- Biez redet jedoch schlankweg von unwahrheit und unterstellt damit eine wissentlich falsche, verlogene Darstellung. Es fällt uns jedoch nicht ein, uns darüber mit dieser Dame zu streiten.

Hingegen müssen wir der Wahrheitsfanatikerin für den Versuch auf die Finger flopfen, über ihre heiße Liebe zum allgemeinen Wahlrecht den Proletarierinnen Märchen vorzuplaudern. Daß sie sich dabei hinter die Sozialistischen Monatshefte" duckt, macht den Versuch nicht anziehender und gibt ihm keine überzeugende Kraft. Die irrige und bedeutungslose Auffassung einer einzelnen Genoffin ist noch lange keine Rechtfertigung dafür, daß die bür­gerliche Frauenstimmrechtsbewegung immer unzweideutiger die Forderung des allgemeinen Wahlrechts preisgibt, ist noch lange fein Beweis, daß sie gerade damit auch den Interessen der Prole= tarierinnen dient. übrigens schlägt in Frau Voß- Ziek' Bemer­tungen ein Satz den anderen. Wer tatsächlich die politische

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Gleichberechtigung der Frauen für die vornehmste Aufgabe der Frauenbewegung hält", der muß auch mit der höchsten Energie dafür kämpfen, daß diese Gleichberechtigung den breitesten Frauen­máffen zuteil wird; der darf dem Teufel eines Damenwahlrechts nicht den kleinen Finger reichen. Wer diese Gleichberechtigung ernstlich so hoch wertet, wie es Frau Voß- Bieb mit erhobenem Schwurfinger erklärt, der muß in Deutschland   für die Sozial­demokratie wirken, von allen großen politischen Parteien die ein­zige, die rücksichtslos für das Frauenwahlrecht eintritt; der darf nicht für die Fortschrittliche Volkspartei   ins Feld ziehen, die bis heute sich noch nicht grundsäßlich zu dieser Forderung bekennt, geschweige denn für sie fämpft. Logik und Konsequenz sind schöne Sachen, aber man muß sie auch haben wie Pflaumen und Rindfleisch nach Frizz Neuter. Die Proletarierinnen bedanken sich schönstens für die merkwürdigen frauenrechtlerischen Heiligen, die auf dem geduldigen Papier, grundsäßlich" dem allgemeinen Wahl­recht ewige Treue schwören, es aber in der Pragis dreimal ver­leugnen, ehe noch die konservativen Hennen auch nur zweimal ge­gadert haben

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Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Die voll verantwortliche Mitwirkung der Frauen in städti­fchen Deputationen forderte die Ortsgruppe Breslau   des Ver­bandes für Frauenstimmrecht in einer Petition an den achten preußischen Städtetag, der im Oktober in Breslau   statt­gefunden hat. Die Eingabe ersuchte, darauf hinzuarbeiten, daß alle preußischen Landesgeseze geändert werden, die solcher Mitarbeit der Frauen im Wege stehen. Vor allem kommt da§ 50 der preu­gischen Städteordnung in Betracht, nach dem nur stimmfähige Bürger" den städtischen Verwaltungskollegien angehören können. Den Professorentitel hat fürzlich die Assistentin an der töniglichen Charité zu Berlin   erhalten: Fräulein Rahel Hirsch  , die seit Jahren in dieser Stellung aufopfernd wirkt.

Verschiedenes.

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Eine Neuregelung des höheren Mädchenschulwesens in Baden. Bisher war im badischen Schulwesen die vernünftige Ein­richtung gefördert worden, daß Mädchen die Gymnasien und andere Mittelschulen mit den Knaben gemeinsam besuchen durf­gemein­ten, und zwar von untenauf. über diese Koedutation same Erziehung der beiden Geschlechter vernahm man bisher feine Klagen; es verlautete nur Günstiges über die dabei ge= machen Erfahrungen. Die badische Unterrichtsverwaltung hat jedoch unter dem neuen Ministerium des Dr. Böhm eine Neu­ordnung des Mädchenschulwesens eingeführt, die offenbar einen Rückschritt bedeutet, wie er im Sinne der Gegner des gemein­samen Schulbesuchs der beiden Geschlechter liegt. Wir erfahren über diese Verordnung aus dem leßthin erschienenen Jahresbericht einer höheren Mädchenschule das Folgende: Es kann mit der höheren Mädchenschule ein Gymnasium oder ein Realgymnasium oder eine Oberrealschule verbunden werden. Der einheitliche Stamm umfaßt sieben untere Jahresfurse, nämlich nach drei Volfsschul­klassen vier von den sieben höheren Mädchenschulklassen. Von diesem Stamm fann nun ein Ast abgezweigt werden, der die sechs oberen Jahreskurse einer der drei genannten Anstalten umfaßt. Soll eine Oberrealschule an die höhere Mädchenschule angegliedert werden, so darf die Abzweigung ausnahmsweise auch erst nach der fünften höheren Mädchenschulklasse, das heißt ein Jahr später erfolgen, der Kurs dieser Oberrealschule ist dann um ein Jahr fürzer. Der Lehrplan eines Gymnasiums, das mit einer höheren Mädchenschule verbunden ist, wird vom Unterrichtsministerium im Einvernehmen mit der Stadtverwaltung festgestellt. Für das Realgymnasium oder die Oberrealschule, die einer höheren Mädchenschule angegliedert sind, gilt der Lehrplan der entsprechen­den Knabenschule. Es heißt dann weiter, daß die höhere Mädchen­schule ihrem Wesen nach keinerlei besondere Berufsvorbildung gibt, sondern der Allgemeinbildung und der Einführung in häus­liche und soziale Tätigkeit dienen will. Nach der Neuordnung fönnen für Schülerinnen, die feine berufliche Vorbildung suchen, zwei Fortbildungskurse an die oberste Klasse der höheren Mädchen­schule angeschlossen werden. Der Bildungsgang wird nun um­fassen: drei Voltsschuljahre, fieben höhere Mädchenschulklassen und zwei Fortbildungskurse. Diese beiden Fortbildungskurse erstreben, die bisher erworbene Bildung zu befestigen und zu erweitern, aber auch die Mädchen in die wichtigsten Gebiete einzuführen, die ihr Beruf als Frau mit sich bringt.

mg.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.H. in Stuttgart  .