Nr. 7

Die Gleichheit

zu bringen, ist eine große Aufgabe. Nur zwei Bilder seien hier wiedergegeben: Durch die Straßen weht heulend und schnei­dend der Wind, rüttelt an den Fenstern, bläst in die Kamine, daß es wie Wimmern und Weinen klingt. Wie ruht sich's da warm im weichen Bett; der Besitzende und Geborgene fühlt in verdoppelter Annehmlichkeit die wohlige Sorglosigkeit. Die besitzende Mutter blickt mit behaglichem, glücklichem Lächeln auf das Kinderbettchen, worin der Säugling schläft, oder drückt ihn an sich, ihn vor dem Einschlummern noch mit Küssen über­schüttend. Unten aber in der menschenleeren Straße der Groß­stadt schreitet eine arbeitende Mutter, vielleicht an der Seite eines verzweifelnden Mannes, dem das Elend das letzte Hoffen aus dem Hirn geschlagen hat. Ein dünnes Tuch hüllt Mutter und Kind ein, das von Regentropfen, Schnee oder vom Straßenstaub gefüßt wird, den der Sturm aufwühlt. Das Schluchzen der Unglücklichen dringt durch die nächtliche Stille, bricht sich an den versperrten Türen und verklingt irgendwo in einer Haustürbucht, worin vor den Blicken der Schuyleute geborgen Mutter und Kind sich lagern. Seht nach, ob dieses Bild in den Romanen und Novellen zu finden ist, die die Federföldlinge überall in Büchern und Zeitungen ablagern, um unsere Weltordnung als die schönste zu preisen. Man liest von den Tauffesten in prunkvollen Palästen. Man hört nur nebenbei von der Not, die mit dem Kinde der Armut geboren wird. Die arbeitende Mutter, obdachlos mit dem Kinde zu den schimmernden Fenstern eines Bürgerhauses emporſtarrend, worin die Geburt eines Kindes gefeiert wird

dies Bild der sozialen Gerechtigkeit im kapitalistischen Staate zeichnet kein gut bürgerlicher Roman.

Noch ein Bild des Gegensaẞes: Der Strand eines See­bades oder die in duftendem fühlen Waldesgrün versteckte Sommervilla. Dort weilt die besigende Mutter mit den Kin­dern, Wochen der ungetrübten Freude an den Schönheiten der Natur genießend. über die sehnigen oder fettgepolsterten Körper der Glücklichen spielen die weißgekrönten Wellen des Meeres, oder es laben sich die Augen an dem milden Grün des rauschenden Waldes, man träumt in seliger Weltvergessenheit Märchen. Die arbeitende Mutter in der Stadt läßt sich abends auf das spärliche Grün eines mit Schutt überlagerten, aus­gedörrten Feldes nieder, während die mageren Kinder sich im Straßenstaub herumtummeln. Die Augen der Eltern sehen die Sonne nur im abendlichen Sterben, und da nur durch den Dunst der Straße. Es ist, als ob der Schweiß der arbeitenden Menschen von dem Steinpflaster emporsteigen und die Atmo­sphäre erfüllen würde. Glücklich diejenigen, die noch in der Sommerglut arbeiten dürfen. Wehe jenen, denen die Flucht der Reichen aus den Städten zur Sommerszeit die Arbeit raubte und damit die Nahrung. Dreimal wehe den anderen arbeitenden Müttern, denen der Mann von der Seite gerissen ward, der irgendwo bei der Waffenübung ,, Krieg im Frieden" spielen muß. Eine Waffenübung bloß. Wie aber, wenn der Ernährer, der Vater, der Sohn in das Feld müssen, um ihr Blut dem Vaterland zu weihen? Dem Vaterland, das die Beute der Besitzenden ist! Die da hinausziehen, um für ein Etwas zu kämpfen, von dem sie nie mehr sahen als den Weg vom armseligen Heim bis in die Fabrik, sie sind sicherlich Opfer dieser göttlichen Weltordnung". Aber die mit den Kindern zurückbleibende Mutter ist ebenso Blutzeugin des Wahnsinns, der diese Ordnung beherrscht, da sie hungern muß bis zum Untergang.

So sehen wir eine Armee Unglücklicher, neben deren Los selbst das des ausgebeuteten und geknechteten Mannes noch erträglich dünkt. Auf der arbeitenden Mutter ruht alle Last, aller Jammer, alle Pein der nichtbesitzenden Klassen. Sie wird von allen Bliẞen wirtschaftlicher und sozialer Gewitter be­troffen, die oft Körper und Seele verbrennen. Ist es da wunderzunehmen, wenn langsam das Gefühl der Menschen­würde stirbt, wenn stumpfe Ergebung in das Herz der prole­tarischen Mutter einzieht und sie dem Rufe nicht lauscht, der Millionen unter die Fahnen für die Menschlichkeit ruft? Die vom Leben Zertretene schreit nur auf, wenn Steinschlag, schla­

105

gende Wetter, Maschinen, glühendes Blei ihr die Lieben rauben, wenn ihre Kinder dahinsiechen, ohne daß sie durch die Hilfemöglichkeiten des Besizes gerettet werden können. Sie flieht die Welt, klammert sich gebrochen in ihrer Mutlosigkeit an die Ihren, zitternd vor den Schicksalsschlägen, die auf ihr armes Haupt fallen, bis der mitleidige Tod ihr die Augen zum letzten Schlummer schließt. Joh. Ferch, Wien .

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Im Agitationsbezirk für den Niederrhein sprach die Unterzeichnete im November in Oberhausen , Mülheim Ruhr, Hamborn , Duisburg und hohen­limburg. Sie behandelte das Thema:" Was wollen die Sozial­demokraten?" Die Versammlungen waren recht gut besucht. Neu­aufnahmen von Parteimitgliedern waren überall zu verzeichnen. Drei Versammlungen, die in Ottensen , Altona und Schiffbeck stattfanden, hörten ein Referat über dieselbe Frage. Auch hier hatte die Agitation einen guten Erfolg, allerdings ließ der Ver­sammlungsbesuch in dem Industrieort Schiffbeck viel zu wünschen übrig. Rosi Wolfstein , Witten .

Die politische Organisierung der Frauen scheint nun auch in Guben besser in Fluß zu kommen. Der gewerkschaftliche Zusam= menschluß der Proletarierinnen hat schon länger gute Fortschritte gemacht. Die Gewerkschaften mustern in Guben annähernd 900 weibliche Mitglieder. Dagegen hielten sich die Frauen der sozial­demokratischen Organisation noch fern. Sie selbst wie auch manche Arbeiter meinten, die Politik ginge die Frauen nichts an. Nun hat aber eine erfolgreiche öffentliche Frauenversammlung Bresche in Gleichgültigkeit und Vorurteil gelegt. Genoffin Ziet verstand es als Referentin vortrefflich, den zahlreich erschienenen Frauen an Beweisen aus dem alltäglichen Leben klarzumachen, daß die Zeiten sich geändert haben, daß die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen die politischen Dinge aufmerksam verfolgen, daß sie auf politischem Gebiet kämpfen müssen. Besonders eindringlich wies sie auch auf die Pflicht der Proletarier hin, ihre weiblichen Angehörigen zu Kampfgenossinnen heranzubilden. Zurufe während des Vortrags und Beifall am Schlusse bekräftigten, daß Genossin Ziet den An­wesenden aus dem Herzen gesprochen hatte. Die Partei gewann 44 neue Mitglieder, darunter 34 Frauen. So stoßen immer mehr ausgebeutete, gedrückte Frauen zu dem machtvollen Kämpferheer, das Brot, Freiheit, Recht für alle erringen will. H. B.

Frauenkonferenz im Bezirk Breslau . Am 12. Oftober fand in Breslau eine Bezirksfrauenkonferenz statt. Sie war von weib­lichen Delegierten aus allen größeren Drten des Bezirks besucht, leider hatten aber kleinere Orte es unterlassen, die Tagung zu be­schicken, trotzdem es gerade für sie wichtig gewesen wäre, die Winke und Ratschläge zu hören und zu diskutieren, die für die praktische Arbeit gegeben wurden. Auf der Tagesordnung standen Referate über die Gewinnung und Schulung der Frauen, über Kinder­schutz und die Agitation unter der weiblichen Jugend. An alle Referate knüpfte sich eine ausgiebige Diskussion. Was die Schulung der Genossinnen anbelangt, so wurde eingehend die Ge­staltung der Leseabende und die zu behandelnden Fragen erörtert. Genosse Löbe war der Meinung, daß zu Anfang möglichst leicht­verständliche Broschüren, Zeitungsartikel usw. gelesen, daß leichte Stoffe vorgetragen werden müßten. Nach solcher Vorbereitung erst könne unser Parteiprogramm erklärt werden. Genoffin Wulff ver­focht dagegen noch einmal ihren bereits im Referat dargelegten Standpunkt, daß unser Programm nicht zu schwer sei, um dem Verständnis der Frauen nahe gebracht zu werden. Allerdings müsse man zu diesem Zweck ausnahmsweise mit der Erörterung des zweiten Teils beginnen, mit dem Programm der geheischten Reformen. Außer­dem bedürfe man Leiterinnen oder Referenten, die in populärer Weise den Stoff zu erläutern wissen. Genossin Ziet regte an, daß am Schluß der Leseabende immer ein gemeinsames Lied gesungen werden möchte. Über den Wert der Leseabende die freilich nicht

-

für alle Teilnehmerinnen den gleichen Nugen zeitigen können wußte sie auf Grund der vorliegenden Erfahrungen noch viel Wich­tiges zu sagen. Gar manche Genossin wurde durch die Leseabende zur Rednerin herangebildet, wenn solche Heranbildung auch nicht der eigentliche Zweck der Veranstaltungen ist. Andere haben die Anregung und Schulung zu praftischer Betätigung im Dienste der Partei erhalten, und die meisten Teilnehmerinnen sind zu arbeits­freudigen Genoffinnen geworden. Je nach dem Bildungsgrad der Frauen und den örtlichen Verhältnissen muß Stoff und Art der Leseabende gewählt werden. Viel wurde über Handarbeits­