Nr. 8
24. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen
Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder
Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft viertelfährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jabres- Abonnement 2,60 art.
Inhaltsverzeichnis.
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7. Januar 1914
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Zur Die
Berg
Neujahr. Von Franz Mehring Rückblick und Ausblick. Krantenversicherung der Hausangestellten. I. Von F. Kl. Sonntagsruhe. Von F. Ohlhof. Zwei amerikanische arbeiter- Engel". I. Mutter Jones. Von A. Hepner. Die Arbeitslosigkeit der gewerblichen Arbeiterinnen. Von a. b. Aus der Bewegung: Der sozialdemokratische Frauentag. 50000 glückstrahlende Kinderaugen.- Tätigkeitsbericht der Genossinnen des vierten sächsischen Reichstagswahlkreises.- Von der Agitation. Ferienveranstaltungen für Arbeiterfinder in Harburg a. G. Politische Rundschau. Von H. B.- Gewerkschaftliche Rundschau. 25 Jahre Gewerkschaftsarbeit. Von H. Stühmer. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Soziale Gesezgebung. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Frauenstimm recht. Frauen bewegung. Die Frau in öffentlichen Ämtern.
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Neujahr.
Es war vor hundert Jahren, in der Neujahrsnacht, die aus dem Jahre 1813 in das Jahr 1814 hinüberleitete. Da stiegen bei Caub a. Rh. 200 Mann preußischer Landwehr in einige Rähne, um über den Strom zu sezen. Und ein jubelndes Hurra tönte durch die tiefe Stille der Nacht, als sie, aus den Kähnen springend, das linke Rheinufer begrüßten.
Die fühne Tat geschah wider den Willen der weisen Feldherren, die im Hauptquartier der verbündeten Heere das große Wort führten. Diese flugen Männer fürchteten die ununterbrochene Reihe der Festungen, die die französische Ostgrenze umgürteten; deshalb leiteten sie die Masse ihrer Streitkräfte auf einem langen Umweg durch Baden und die Schweiz in das südöstliche Frankreich , bis auf die Hochebene von Langres , deren Besitz die wunderbare Fähigkeit haben sollte, ganz Frankreich zu beherrschen. Den preußischen Landwehren unter Blücher war nur die bescheidene Aufgabe zugefallen, in der Reserve zu bleiben.
Aber Blücher und seine Landwehren zerrissen das fein gesponnene Gewebe. Sie waren keine gelehrten Strategen und ließen sich an dem einfachen Feldzugsplan genügen: dort steht der Feind, den schlagen wir. Sie überschritten eigenmächtig den Rhein , marschierten mitten durch die fran zösischen Festungen und rissen das ängstliche, zögernde, vor lauter Überflugheit hin und her taumelnde Hauptheer mit sich fort, bis sie, immer gleich tapfer und unverzagt, als die ersten die feindliche Hauptstadt erstürmten. Sie wahrten das stolze Gesetz der Initiative, das im Kriege immer den Sieg, berbürgt; mit dem sicheren Instinkt unterdrückter Massen ließen sie die neunmal Weisen schwaßen und rangen den Feind nieder, wie er allein niedergerungen werden konnte: Brust an Brust und Stirn an Stirn.
Diese geschichtliche Erinnerung wie sollte sie heute nicht wie sollte sie heute nicht in uns wach werden, die wir auch am rechten Ufer des Rheins stehen, gegenüber einem Gürtel von Festungen, mit denen der Feind im vergangenen Jahre seine Grenze stärker geschirmt hat als je zuvor. Sollen wir auch unsere Heere von hinten herum auf irgend eine unfindbare Hochebene schicken, bon der nur pedantische Phantasten die gefährlichste Sorte aller Kriegstüfteler sich einbilden können, daß sie das
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Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
Feindesland beherrsche? Oder sollen wir, wie die preußischen Landwehren vor hundert Jahren, kühn über den Strom setzen, mitten ins Lager des Feindes, wo er allein bis auf den Tod getroffen werden kann?
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wir Wir rühmen uns unserer Erfolge, und wahrlich wären die entarteten Nachkommen glorreicher Vorfahren, wenn wir je des Blutes und des Schweißes vergäßen, womit diese Erfolge errungen worden sind. Aber ebensowenig würden wir im Sinne unserer Vorläufer handeln, wenn wir uns darüber täuschten, daß wir zwar viel erreicht haben, aber daß noch viel mehr erreicht werden muß, wenn wir unsere großen Ziele erreichen wollen. Das vergangene Jahr hat uns darüber mehr als eine bittere Lehre erteilt. Wir haben eine beispiellose Verstärkung des Militarismus nicht hindern können, der frecher denn je seinen grinsenden Totenkopf erhebt, und aller nationalen Interessen darf eine Regierung spotten, die nichts hinter sich hat als den wechselnden Willen eines einzelnen fehlbaren Mannes.
Die Schuld daran trägt die Feigheit der bürgerlichen Parteien, gewiß. Aber was haben wir mit alten Weibern zu tun, die auf weiten Umwegen einen Feind umschreiten, der es doch wahrlich nicht an aufpeitschenden Herausforderungen fehlen läßt. Die triviale Weisheit, daß sich mit Neden keine Massenbewegung erwecken lasse, trifft nirgends so zu, wie auf parlamentarische Reden. Es sind jetzt gerade fünfzig Jahre her, seit jeden neuen Morgen ganz Deutschland vor Entzücken aufschrie über die siegreichen Redeschlachten, die die bürgerliche Opposition dem braven Bismarck lieferte. Aber dann kam der Tag, wo die Kanonen von Königgräß donnerten, und die ganze parlamentarische Herrlichkeit war versunfen wie ein Spuf der Nacht beim ersten Hahnenschrei.
Ja, die Kanonen! Was tun? Sie haben Kanonen!" jammerte ein hohenzollernscher Kurfürst, als ihm der schwedische Eroberer auf den Leib rückte. Was tun? Er hat Kanonen," so jammern die bürgerlichen Freiheitshelden, wenn sie den Moloch des Militarismus am Barte zupfen sollen. Jedoch diese klägliche Vorsicht kann nimmermehr die Sache der Arbeiterklasse sein. Sie weiß, daß es feine Kanonen geben würde, wenn sie die Kanonen nicht gösse; sie weiß, daß die raffinierte Mordkultur unserer Feinde die große Industrie zur Voraussetzung hat, und sie weiß, daß die große Industrie das Werk ihrer Hände ist. Sie weiß endlich- und wenn sie es noch nicht weiß, so muß es ihr Tag für Tag gesagt werden, daß jede Klasse da unüberwindlich ist, wo ihre Arbeit unentbehrlich ist für das Leben der Gesellschaft.
Auch der proletarische Klassenkampf hat seine eigentümliche Dialektik. Jeder Schritt vorwärts, der in mühsamen Kämpfen errungen werden muß, spornt zu neuen Kämpfen an, aber er mahnt auch, den schwer errungenen Besitz nicht zu gefährden. So kann gerade der Sieg zum Hemmnis neuer Siege werden. Und doch wäre die Hoffnung, daß sich die Arbeiterklasse auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft je ein erträgliches Los bereiten könne, eine verhängnisvolle Einbildung. Sie mag für einzelne Schichten des Prole