333Die GleichheitNr. 22Doch nicht allein der Militarismus ist in der Person desKriegsministers der Geschlagene und obendrein der ruhmlosUnterlegene. Auch das bürgerliche Recht hat in dem Prozeßeine schimpfliche Niederlage erlitten. Man vergegenwärtigesich diesen Tatbestand. Die Staatsmrwaltschaft schwenkt aufdas schnarrende Kommando des Kriegsministers ein wie eingut gedrillter Unteroffizier und erhebt die Anklage wegeneiner Äußerung, deren Richtigkeit kein Mensch mit leidlichgesunden Sinnen bestreiten wird. Sie setzt den Verhandlungs-terniin mit einer verdächtigen Eile an, die es Genossin Luxemburg erheblich erschtveren mußte, rechtzeitig das erforderlicheumfassende Beweismaterial herbeizuschaffen und durchzuarbeiten. Der Vorsitzende des Gerichtshofs eröffnet die Verhandlungen mit einer Rede, die einer Schilderhebung wider die Angeklagte und ihre Verteidiger wie ein Ei dem andern gleicht.Der Staatsanwalt legt sich von der ersten Stunde der Verhandlungen an kreuz und quer, damit das Beweisgebiet fürdie Verteidigung so eng als nur möglich abgegrenzt werde,damit nicht allzuviel blutige Schatten und Gequälte als Ankläger des Militarismus aus dem Gerichtssaal in die Öffentlichkeit schreiten. Ein Herz und eine Seele mit dem Herrnv. Falkenhayn, versucht er die Anklage mit philologischen Teu-telungen des Wortes Drama zu retten, über deren lächerlicheUnHaltbarkeit ihn jeder Schulmeister, ja jeder Schmierendirektor belehren könnte. Als er erfahren muß, daß trotz allemim Gerichtssaal nicht ein fix und fertiges Urteil des Kriegsministers verlesen werden kann, ruft er nach der Vertagung.Dieser Siegelbewahrer des Rechts, der eS erst so außerordentlich eilig hatte, daß Genossin Luxemburgs politische Schandtat gesühnt werde, braucht wie Herr v. Falkenhayn mit einemSchlage Zeit, viel Zeit, unbestimmt lange Zeit, um sich niitder Sache auseinanderzusehen.Gewiß, beide Staatsstützen hatten genau die gleiche Wochenzahl, ja in Wirklichkeit eine größere als die Angeklagte, umsich auf den Prozeß vorzubereiten. Und ihnen standen außerdem die Machtmittel des Staats und seine Kassen zur Verfügung, um die Anklage zu erhärten. Gewiß kann sich auchjeder an den Fingern abzählen, daß unter den obwaltendenUmständen die Vertagung den Rechtshandel, um den cS indem Prozeß geht, nicht klärt, sondern verdunkelt, daß sie esermöglicht, sowohl das Kampffeld wie den Beweisgegenstandzu verschieben. Das Kriegsgericht soll vorentscheidend demZivilgericht in den Arm fallen. Nicht vor der breitesten Öffentlichkeit will man Bürger bekunden lassen, was sie, was andereim Namen der militärischen Disziplin und um des militärischen Drills willen von vertierten Vorgesetzten und Kameraden erdulden mußten. Vor der Geheimfeme des Kriegsgerichts gedenkt man ehemalige Soldaten zur Verantwortungzu ziehen und ihr Zeugnis zu entwerten. Das ist der Verdacht,der sich aus der ganzen Sachlage heraus aufdrängt.Das Gericht hat eine Aufgabe: Recht zu sprechen, Recht zusuchen, ohne Ansehen der Person und Partei, und zu diesemZwecke den Sachverhalt zu klären, der einer Anklage zugrundeliegt. Diese Aufgabe bis zum letzten Tüpfelchen zu erfüllen,wäre in dem Prozeß eine selbstverständliche Pflicht des Gerichts gewesen. Denn handelte es sich dabei wirklich nur umeinen Rechtsstreit zwischen Genossin Luxemburg und demHerrn v. Falkenhayn, ob sämtliche Offiziere und Unteroffiziere des preußischen Heeres dadurch beleidigt wurden, daß die„verhetzende Sozialdemokratin" mehr Verbrechen auf dasSchuldkonto des Militarismus gesetzt hatte, als sich erweisenließen? Um was es in diösem Prozeß ging und geht, das istdie Gesundheit des Leibes und der Seele, das ist das Lebender Söhne des Volkes, die der Militarismus in seine Kasernensperrt und seinen Geboten des Kadavergehorsams unterwirft.�a, das ist mehr als ihr Leben: jene Menschenwürde, jeneMenschlichkeit, die uns von der Tierheit scheidet und erst zumMenschen macht. Mißhandlungen, deren Bestialität sogar dieKriegsgerichte bescheinigen müssen, morden diese Menschlichkeit sowohl in dem schändenden Schinder wie in dem geschändeten Opfer.Die Richter haben von der Hand gewiesen, was für dieschleunigste und erschöpfendste Antwort auf Fragen sprach, anderen Aufhellung das ganze Volk, die gesamte Nation einbrennendes Lebensinteresse hat: sachliche Gründe, logischeSchlußfolgerungen, rechtliche Bestimmungen, juristische Deduktionen. Sie haben dieVertagung beschlossen, wie derStaats-anwalt sie beantragte, wie der Kriegsminister sie wünschte.Sicherlich nicht in der Absicht, dem schönen kriegsminister-lichen Schnurrbart zuliebe das Recht zu drehen und zu deuteln,sondern in guten Treuen, jedoch innerlich unfrei, gebundendurch die geistige Klassensolidarität der Besitzenden und Herrschenden. Die„Frankfurter Zeitung" hat in rühmenswertsachlichen und sachkundigen Artikeln aufgezeigt, daß es einepolitische Dummheit ersten Ranges war, den Prozeß anzustrengen, daß es eine juristische Ungeheuerlichkeit ist, wie ergeführt wurde. Das trifft zu. Das juristisch Unbeschreiblichewird aber als politisches Ereignis nur zu begreiflich. DasZivilrecht hat bereits die schmerzenden Knüffe und Püffe vergessen, unter denen es in Zabern in dem Pandurenkellerkuschen mußte, mit denen es vom Kriegsgericht zu Straßburgunter die Diftatur des Säbels gestellt wurde. Es hat sich aufsein Wesen als bürgerliches Recht besonnen, auf seinen Zweck,die bürgerliche Ordnung zu schützen und zu stützen. Es magjuristisch irrig, politisch töricht gehandelt haben, als es demMilitarisnius Hand- und Spanndienste leistete, um ihn ausdem Feuer einer vernichtenden Kritik zu ziehen, mit der jedeernste Auseinairdersetzung über Umfang und Charakter derSoldatenmißhandlungen mit ihrem Drum und Dran endenmuß, den Humbug des Beschwerderechts inbegriffen. Allein eshat mit alledem nur seiner innersten Natur gehorcht, gehorchenmüssen.Deshalb ist die bürgerliche Ordnung selbst in ihren Werkzeugen Militarismus und Juristerei die Geschlagene und Verurteilte. Tatsächlich standen sich in diesem Prozeß nicht Personen gegenüber, sondern Klassen. Wie tapfer und glänzendGenossin Luxemburg im Kampfe gegen den Militarismus dasBanner der Partei voranträgt, sie hat in ihm alles in allemnicht mehr gesagt, freilich auch nicht weniger, als was jederaufrechte Sozialdemokrat erklären muß. Und wie immer derpersonliche Haß gegen sie den Prozeß gefärbt haben mag, inihr sollte das klassenbewußte Proletariat selbst als Todfeindder bürgerlichen Ordnung getroffen, sollte es im unversöhnlichen Kampfe gegen den Militarismus geknebelt werden. Dastritt zum Greifen deutlich vor die Augen, wenn man bedenkt,daß der letzte Prozeß nur ein Glied ist in der Kette von Versuchen, die Sozialdemokratie als politische Führerin deskämpfenden Proletariats auf dem Boden des gemeinen Rechtsabzuwürgen. Wer über diese Absicht der Staatsretter vonBeruf und Neigung nach im Zweifel sein sollte, den muß dieletzte Anklage gegen Genossin Luxemburg belehren, die derStaatsanwalt wegen ihrer Resolution zum Massenstreik inBerlin auf die Richtstatt schleifen will, obwohl neun Jahrevergangen sind, seit die Sozialdemokratie in Jena den Massenstreik in aller Form unter ihre Kampfesmittel aufgenommen hat.Übrigens hat die bürgerliche Presse die hervorgehobene Bedeutung des Prozesses über Soldatenmißhandlungen durchdie Art stark unterstrichen, wie sie dieses wichtige Ereignisdes polittschen Lebens behandelte. Die„Frankfurter Zeitung"ist das einzige bürgerliche Blatt gewesen, das den Prozeßnach seiner juristischen, politischen und rein menschlich-kulturellen Seite hin sachlich und nahezu vorurteilslos gewcrtethat. Das„Berliner Tageblatt", das Organ des„entschiedenen" Linksliberalismus, hat ihm nicht so viel Beachtunggeschenkt wie seinerzeit dem Selbstmord der Prinzessin Sophievon Weimar, die allerdings von dem welterschütterndcn Gerücht umsponnen war, mit einem Herrn v. Bleichröder verlobtzu sein: wie dem Prozeß der italienischen Gräfin Tiepolo, vonder nicht feststeht, ob sie den Burschen ihres Gatten in derVerteidigung ihrer bedrohten Ehre oder als hysterische Dirneniederschoß: wie den Beicht- und Manikuregepflogenheiten der