Nr. 22Die Gleichheit33SMadame Caillaux. In einer ganz eindeutigen Demonstrationder Klassensolidarität hat sich die bürgerliche Presse von rechtsbis links schützend vor den Militarismus gestellt, der dieSöhne des Volkes brutalisiert und verroht.Sei's druml Alle Machenschaften der bürgerlichen Welt undihrer Gewalten sind ohnmächtig, den reichen Ertrag dieses Prozesse? für uns herabzumindern. Er steht heute schon fest, ganzgleich, ob eines Tages in der Sache weiterverhandelt wird,oder ob es vom Kriegsminister und seiner Anklage heißt:„Und Roß und Reiter sah man niemals Wiederl" Abgeschlagenist der freche Überfall des Militarisnius gegen das Recht deröffentlichen Kritik an den barbarischen, gemeingefährlichenErscheinungen, die zu seinen Wesensäußerungen gehören. Damit wurde ein bedeutsames Stück Rede- und Preßfreiheitsichergestellt. Ist unter dem Eindruck des Prozesses der Genossin Luxemburg nicht schon die Anklage gefallen, die ebenfalls wegen Ausführungen zum unerschöpflichen und grauenvollen Kapitel der Soldatenmißhandlungen gegen GenossenMeyer als Redakteur des„Vorwärts" erhoben worden war?Und trotz ihrer Kürze und Einengung haben die Verhandlungen vor der Strafkammer in Moabit Genossin Luxemburgs Behauptung vollauf bestätigt. Sogar wenn ein Teildes ausgebreiteten Beweismaterials bestritten werden könnte,bleibt es dabei: tagtäglich spielen sich hinter den Kasernenmauern furchtbare Dramen ab, und nur ganz vereinzelt dringtder Schrei der gemarterten und erniedrigten Menschenkreaturan die Sffentlichkeit. Die Verteidiger haben Fälle von Sol-datenmißhandlungcn angeführt so bestialischer, so teuflischerNatur, daß der Herzschlag stockt, daß es kalt über den Rückenläuft, wenn man nur davon liest. Nach diesem Prozeß wirdder Wahn zum Verbrechen, als ob der Soldat durch das papierene„Beschwerderecht" gegen Scheußlichkeiten geschützt sei,die allen Vorstellungen ins Gesicht schlagen, die sich für unsmit dem Worte Mensch und menschlich verbinden. Die Erlasse einsichtiger Oberkommandierender und die Bemühungenhumaner Offiziere niögen im einzelnen manche SchindereiVerhindert oder gemildert haben, der Schindereien als Gesamterscheinung konnten sie nicht Herr werden, denn sie sindein Teil des Systems militärischen Kasernendrills, wie es imWesen des Militarismus selbst liegt. Das ist die Treibhausatmosphäre. in der die schlechtesten Instinkte geil ins Krautschießen: Herrschaftswahnsinn, Roheit, Freude am Ängstigenund Quälen, Menschenverachtung auf der einen Seite, Feig-heit, Lüge, Heuchelei auf der anderen.Scharf hat dabei der Prozeß eine Tatsache beleuchtet, diewohl auch schon vor ihm bekannt war, doch gewöhnlich zu sehrim Schatten bleibt. Der Militarismus mit seinem Um undAuf entmenscht nicht bloß Vorgesetzte, sondern auch großeKreise der Gemeinen. Er beschränkt sich nicht darauf, denDrillmeister niederen Grades zum Peiniger an den Volkssöhnen werden zu lassen, ans deren Reihen er selbst doch gewöhnlich hervorgegeangen ist: nein, unter dem Drucke derParadeanforderungen, der eisernen Disziplin hetzt er durchden Befehl oder mit der stillschweigenden Duldung der Vorgesetzten auch Brüder als Folterknechte wider Brüder. Gibt eseine vernichtendere Anklage gegen den Militarismus alsSchrittmacher und Förderer der Massenverrohung als dieschauderhaften Mißhandlungen, mit denen sich die alte Mannschaft wie in einem Brutalitäts- und Blutrausch im Namendes„alten Fritz" oder des„heiligen Geistes" an den Rekrutenvergeht? Denn hierbei offenbaren und entfalten sich Keimeder Niedrigkeit, der Bestialität, die weit über den Boden derKaserne hinaus fortwuchern und die Emporentwicklung derVolksmassen zu höherer Menschlichkeit gefährden. Kann, darfman sich wirklich einreden, daß jeder junge Bauer und Proletarier mit dem bunten Rock auch die Roheit des Wesens ausziehen wird, der freien Lauf zu lassen er sich in der Kasernegewöhnt hat? Der Kampf der Sozialdemokratie gegen dieSoldatenmißhandlungen reicht mit seinem Ziele weit überden politischen Vorteil der Partei hinaus, er ist ein Ringenfür allgemeine Kultur und Menschlichkeit schlechthin.Es darf die sozialistischen Frauen mit stolzer Freude erfüllen, daß eine ihres Geschlechts in einem Kampfe von solcherTragweite unerschrocken und opferbereit voranschreitet undder Sozialdemokratie Gewinn und Ehre erfochten hat. DieseFreude aber trägt ein starkes Mahnen an unser Ohr. Tun wiralle unsere Pflicht, um den Feind niederzuringen. Es wäre eineschlechte Strategie, wollten wir auf dem behaupteten Schlachtfeld schlafen. Es gilt, dem fliehenden Feinde nachzusetzen, umihm neue Niederlagen zu bereiten, ehe er die Kraft findet, diealte zu verwinden. Der Kanipf gegen die Soldatenmißhandlungen, ein Kulturkampf höchsten Wertes, muß dort fortgesetztwerden, wo er allein ausgefochten werden kann: unter denbreitesten Volksmassen. Er wird uns nicht nur in den Städtenund Industriezentren, nein, namentlich auch auf dem Land«Herzen öffnen, an die wir bis jetzt vergeblich geklopft haben,wird Geister wecken, die wir früher erfolglos riefen.Genossin Luxemburgs Prozeß hat die Aufmerksamkeit aufdie dunklen Abgründe gelenkt, aus denen ein endloser Zugvon Opfern des Militarismus im Frieden steigt. Er hat demFeinde des Proletariats und der Menschlichkeit ein Massenaufgebot entgegengestellt in Gestalt der 30 000 Fälle vonSoldatenmißhandlungen, die die Verteidigung bearbeitethatte, der niehr als 1000 Zeugen, die zur Aussage vor Gerichtunter Eid bereit waren. Mit jedem Tage türmt sich das Material höher, das Wider die Verbrechen des Militarismuszeugt. Wären zum unwiderruflichen Verdammungsurteil dieTatsachen allein nicht schon hinreichend, die Genosse Pinkau inder Chemnitzer„Volksstimme" auf Grund amtlicher Statistiken einwandfrei festgestellt hat? Daß„auf jeden Tag mindestens ein Kasernendrama kommt— Drama im grobenStaatsanwaltssinn mit Mord und Totschlag": daß die Zahlder Selbstmorde und Selbstmordversuche seit 1907/08 von 380bis 1910/11 auf 425 gestiegen ist: daß— obgleich Deutschlanddie höchste Selbstmordziffer von allen europäischen Staatenhat— die Selbstmorde im Heere fast doppelt so häufig sindals unter der männlichen Zivilbevölkerung von 20 bis 30Jahren; daß nach Österreich-Ungarn das Deutsche Reich inseinem Heere die größte Zahl von Selbstmördern aufweist.Nützen wir die Stunde, nützen wir unser Rüstzeug! Auchan den Missetaten des im Frieden mordenden, verkrüppelnden und verrohenden Militarismus haben wir Frauenam schwersten zu tragen. Stehen wir in den vordersten Reihendes großen politischen Kampfes gegen ihn. Lassen wir esunsere heiligste Pflicht sein, dafür zu sorgen, daß um uns nichtein Knabe zum Mann heranwächst, nicht ein Mann sich zu bewegen wagt, der als Soldat gemein und roh genug wäre,durch Mißhandlungen das Menschentum anderer zu schänden,feig und erbärmlich genug, widerstandslos sein Menschentumschänden zu lassen. Auch das ist positive Arbeit, die sich an Bedeutung kühnlichst neben den parlamentarischen Kampf derSozialdemokratie gegen den Militarismus stellen kann.Wanderungen und Ausflügefür Schulkinder.In vielen Artikeln und Notizen sind seit etwa zwei Jahrenin der Tagespresse und besonders in der„Gleichheit" Anhänger für den Gedanken der Wanderungen und Ausflüge fürSchulkinder geworben worden. Und man kann mit Freudenfeststellen, daß die vielerlei Anregungen auf fruchtbaren Bodengefallen sind. Es ist das ein Stück praktischerKinder-f ll r s o r g e, und wer von unseren Helfern und Helferinnenjemals bei diesen Veranstaltungen das fröhliche Jauchzen derKinder gehört hat, der wird sich für seine Arbeit und Sorgereichlich entschädigt gefühlt haben.Arbeit und Sorge gehört dazu, wenn bei den Ausflügenund Wanderungen alles nach Wunsch gehen soll. Darum mußman mit den Vorbereitungen dazu rechtzeitig beginnen, man sollte nicht warten, bis die Ferien vor der Türestehen. In einer Anzahl von Orten haben unsere Parteigenos-