Nr. 22

Die Gleichheit

angekündigt. Die Mannschaften der Marine sollen vermehrt und die Stärke der Auslandsflotte erhöht werden. Die halbamtliche Presse bestätigt diese Ankündigung, die zuerst in der Zentrumspresse auf tauchte. Ferner soll die Flotte eine stärkere Geschüßbewaffnung er­halten. Die stärksten Schiffsgeschütze besaßen bisher das Kaliber von 80,5 Zentimeter; sie sollen durch Geschüße vom Kaliber 38 Zenti­meter ersetzt werden. Und zu den schweren Geschützen gehören wieder stärkere Panzer und dann fängt die wahnsinnige Reihe wieder

von vorne an.

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Die ungeheuren Steuereinnahmen des Reiches erweisen sich unter solchen Umständen schon wieder als unzureichend. Nicht nur erfordert die kommende Marinevorlage neue Mittel, auch der Wehrbeitrag ist um 200 Millionen zu Inapp, und die Besoldungsvorlage für die Reichsbeamten, die Aufbesserung der Altpensionäre stellen neue An­forderungen. Neue Steuern sind also in Sicht! Sei es, daß die Volksmassen durch eine neue Finanzreform", sei es, daß sie durch eine Reihe von Staatsmonopolen weiter ausgeplündert werden sollen. Die konservative Presse und die bürgerliche nationalökono­mische Wissenschaft machen seit längerer Zeit schon für Staats­monopole Stimmung. Ein Zigarettenmonopol, ein Spiritusmonopol werden genannt. Die Ernennung des Reichsschatzsekretärs Kühn zum preußischen Staatsminister hat wahrscheinlich den Zwed, ihm den Rücken für den neuen Steuerfeldzug zu decken.

Der Kampf gegen das Koalitions- und Streitrecht formiert fich immer deutlicher. Alle Bundesstaaten bereiten diesem elemen­tarsten Rechte der Ausgebeuteten Fallen und Schlingen auf dem Verordnungsweg" vor. Sachsen   ist vorangegangen. Es hat jetzt seine Streifverordnung veröffentlicht. Sie stimmt im Wortlaut mit dem in der sozialdemokratischen Presse veröffentlichten Entwurf überein. Breußen unterzieht sämtliche dahin gehörige Polizeivorschriften einer Revision, um sie hieb- und stichfest gegen juristische Einwände zu machen.

Bon Rom her kommen gleichzeitig neue Geschosse gegen die christ­lichen Gewerkschaften. Der badische Zentrumsführer Wader hatte eine Streitschrift gegen die sogenannte Berliner Richtung des Zen­trums verfaßt. Diese Richtung will die christlichen Gewerkschaften unter die uneingeschränkte Aufsicht der katholischen Geistlichkeit stellen und sie dadurch völlig kapitalistenzahm machen. Die Schrift Wackers wurde von der päpstlichen Behörde auf den Inder gesetzt, das heißt die Katholiken dürfen sie bei schwerer Kirchenstrafe nicht lesen. Der wackere Wacker, den man auch den Zähringer Löwen" heißt, hat darauf demütig den Rückzug angetreten und sich dem Urteil des Papstes gebeugt.

Die Wahlrechtsräubereien machen Schule. Jetzt wird in Schleswig- Holstein   ein Raub des Gemeindewahlrechts vor­bereitet. Die Provinzialverbände der schleswig- Holsteinischen Bürger­vereine und der Haus- und Grundbesitzerverein haben eine gemein­fame Kommission eingesetzt, die auf Mittel finnen sollte, wie das Eindringen der Arbeiter in die Gemeindeverwaltungen abzuwehren sei. Die Kommission schlug vor: geheime Abstimmung und Herauf segung des Wahlalters von 22 auf 25 Jahre. Die Haus- und Grund­besizer waren mit diesem Beschluß ihrer Vertrauensmänner noch nicht zufrieden und erklärten sich auf einer gemeinsamen Tagung direkt für das Dreillassenwahlrecht.

In Sachsen   haben die Nationalliberalen und Fortschrittler ein Wahlabkommen für die nächsten Landtagswahlen abgeschlossen, die im Herbst 1915 stattfinden. Das Abkommen richtet sich dem Schein nach gegen die Konservativen, in Wirklichkeit gegen die Sozial

demokratie.

In Bayern   fand eine Ersatzwahl für den Landtagswahlkreis Fürth   statt. Der sozialdemokratische Kandidat wurde mit 7046 gegen 1591 Stimmen des Kandidaten der Rechtsparteien gewählt. Die Liberalen, die durch das Wahlbündnis von 1912 verpflichtet waren, dem Sozialdemokraten ihre Stimme zu geben, stimmten ent­weder für die Rechte oder blieben zu Hause.

Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger hat die öster­reichische Regierung nicht zur Besinnung gebracht. Die Unterdrüdungs­politik gegen die serbischen Bewohner des Reiches ist noch verstärkt worden. Nachdem man eine Heze gegen die serbischen Untertanen eingeleitet hatte, wurde über Kroatien  , Bosnien   und die Herzegowina das Standrecht verhängt. Das großmächtige Österreich   versucht das fleine Königreich Serbien einzuschüchtern. Serbien   und Montenegro bereiten eine teilweise staatliche Verschmelzung vor. Die Bollpolitit, die Ministerien der Finanzen und des Krieges sollen gemeinsam sein. Serbien   würde so Zugang zum Adriatischen Meer   bekommen. Aber gerade diese Aussicht ist der österreichischen   Regierung verhaßt, und sie hat durch die Presse ihren Widerstand gegen jenes Projekt angekündigt. Hinter Serbien   und Montenegro steht jedoch Rußland  . Deshalb bedeutet das Vorgehen Österreichs   gegen Serbien   eine

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schwere Gefahr für den Weltfrieden. Die deutsche bürgerliche Presse hat die Serbenheze munter mitgemacht.

In Frankreich   hat der Senat das Prinzip der Einkommensteuer mit 230 gegen 54 Stimmen angenommen. Ein ebenfalls vom Senat angenommener Antrag setzt die Arbeitszeit der von den Ministerien der Finanzen und des Krieges beschäftigten Arbeiter auf 49 Stunden in der Woche herab. In Paris   wurden zwei Bombenträger fest genommen, die angeblich ein Attentat auf den Baren beabsichtigten. Es handelt sich offenbar um das Werk russischer Spigel. Der Präsi dent Poincaré will zum Väterchen Bar reisen, und ein vereiteltes Bombenattentat ist eine ganz hübsche Aufmerksamkeit.

In England hat der Streit im Arsenal von Woolwich großen Eindruck gemacht. Ein Gewerkschafter hatte in diesem Staatsbetrieb abgelehnt, von Streitbrechern angefangene Arbeit fortzusetzen. Er wurde entlassen. Darauf verließen die 12000 Arbeiter des Arsenals wie ein Mann den Betrieb, gelernte wie ungelernte. Sie siegten sofort und vollständig. Diese Arbeiter waren eine Elitetruppe der englischen Gewerkschaften und hatten jahrelang nicht gestreift. Ihr rascher Sieg hat das Machtbewußtsein der englischen Arbeiter start gehoben.

Die liberalen Millionäre sehen ihren Kampf gegen die radikale Finanz- und Sozialpolitik des Kabinetts hartnäckig fort. Bei der Abstimmung über die Einschränkung der Budgetberatung fonnte dant der Stimmenthaltung der Männer von der Höhle", wie man sie nennt, die liberale Regierung nur mit einer äußerst knappen Mehr­heit ihre Haut in Sicherheit bringen.

Der mildernde Zusazantrag der Regierung zum Selbstregierungs­gesetz für Irland ist vom Oberhaus so verstümmelt worden, daß es einer Verwerfung gleichkommt.

Am 3. Juli ist der englische   Staatsmann Joseph Chamberlain  gestorben. Er begann als sozialpolitischer Radikaler und endete als Vorkämpfer des britischen Imperialismus. Er hat unter anderem den Burenkrieg vom Zaune gebrochen. Chamberlain war eine energische Kampfnatur und ein weitsichtiger Vorfämpfer seiner Klasse: der in­dustriellen Großbourgeoiste.

In Italien   haben sich dem feigen Rachefeldzug der Regierung gegenüber die sozialistische und republikanische Partei der Romagna  zu einem Schutz- und Truzbündnis vereinigt. Die Regierung hat elf Mitglieder des Erefutivkomitees der Arbeiterkammer von Ankona  in Anklage versetzt.

In Madrid  , der Hauptstadt von Spanien  , ist es zu Hunger­revolten gekommen. Das Brot und die Kartoffeln haben aufge­schlagen, was besonders die Frauen erbitterte. Der allgemeine Ars beiterfongreß in Madrid   hat einen 24 stündigen Demonstrationsstreit sämtlicher Gewerbe zum Protest gegen den blutigen Marokkofeldzug beschlossen.

Fürst Wilhelm von Albanien ist am Ende seines Lateins. Die Hilfstruppen von Nordalbanien haben versagt. Der Versuch, eine deutsche und österreichische Fremdenlegion" anzuwerben, ist miß­glückt. Was auch mit Wilhelm geschehen mag, Italien   und Oster­ reich   richten sich häuslich in Albanien   ein.

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Der Konflikt zwischen Griechenland   und der Türkei   scheint vorläufig durch beiderseitiges Nachgeben gemildert.

In Persien   hat die englische   Regierung durch Ankauf der Mehr­heit der Aktien- wozu sie die Billigung des Parlamentes erhielt sich die Herrschaft über die Anglo Persian Oil Company gesichert, einer Gesellschaft, die die Olquellen Persiens   ausbeuten will. Das Ausbeutungsgebiet der Gesellschaft liegt größtenteils im mittleren Streifen Persiens  , der im englisch  - russischen Vertrag von 1907 als neutrale Zone zwischen der nördlichen russischen und der südlichen englischen Interessensphäre" festgesetzt wurde. Ja, teilweise greift dieses Gebiet sogar auf die russische   Interessensphäre über. England und Rußland   rücken sich mithin in Persien   direkt auf den Leib. Persien   selbst muß diese Besizergreifung seiner Naturschätze unge­fragt über sich ergehen lassen.

In Niederländisch- Indien hat sich am 9. Mai eine sozial demokratische Partei konstituiert. Sie strebt zunächst die Befreiung des niederländischen Kolonialreichs von der Herrschaft des Mutter­landes an und wird bis auf weiteres mit den anderen einheimischen Parteien zusammenwirken, die das gleiche Ziel der Erlösung von den Niederlanden haben.

Die Vermittlungskonferenz von Niagara Falls  , die den Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten   und Merito beilegen wollte, ist durch das Schlußprotokoll vom 8. Juli beendet worden. Das Ers gebnis ist gleich Null und bedeutet eine schwere Niederlage für die Diplomatie der Vereinigten Staaten  . Jetzt haben die Waffen Car ranzas und Villas wieder das Wort. Der merikanische Präsident Huerta hat sich trotz der Vereinbarungen von Niagara Falls   am 6. Juli wieder zum Präsidenten wählen lassen. Aber seine Sache