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Die Gleichheit
wirklicht werden könnte. Die meisten Abänderungsvorschläge erwecken lebhafte Bedenken und stehen im Widerspruch mit den Grundsäzen der Selbstverantwortung und der wirtschaftlichen Freiheit der Genossenschaften. An Stelle der Herrschaft dieser Grundsäge, auf denen das geltende Genossenschaftsrecht aufgebaut ist, würde durch Ver wirklichung der in den Anträgen Faßbender erhobenen Forderungen eit bureaukratischer Geist im Genossenschaftsleben seinen Einzug halten, der für dieses verderblich werden müßte. Das Gesez würde außerdem mit Bestimmungen belastet, die teils unausführbar, teils bedeutungslos und überflüssig sind, oder aber geeignet erscheinen, nachteilig auf die Entwicklung des Genossenschaftswesens einzu. wirken. Der Genossenschaftstag richtet daher an den deutschen Reichstag das Ersuchen, diesen Abänderungsplänen nicht zuzustim men und es der inneren Kraft des in vollkommener Freiheit sich entwickelnden Genossenschaftswesens zu überlassen, die Schäden, die sich hier und da gezeigt haben mögen, ohne Beihilfe von außen zu überwinden." Diese Resolution vermeidet es also, positiv Stellung zu nehmen. Es ist freilich nicht zu verkennen, daß man eher mit Verschlechterungen statt mit Verbesserungen rechnen müßte, falls der Stein ins Rollen käme.
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In der nichtöffentlichen Generalversammlung der Verlagsgesellschaft kam es zu einer lebhaften Debatte über die Beschaffenheit der geltenden Lehrverträge. Die Frage ist schon vorher auf dem Verbandstag der Holzarbeiter zur Sprache gekommen, ohne daß von der Geschäftsleitung der Verlagsgesellschaft Aufklärung gegeben worden wäre. Es handelt sich in der Hauptsache um Buchdruckerlehrlinge, denen verboten sein soll, gewerkschaftlichen und„ politischen" Jugendorganisationen anzugehören. Die Geschäftsleitung hatte fatalerweise kein rechtes Bild von der Sachlage, so fonnte noch keine volle Klarheit geschaffen werden. Das wird bei nächster Gelegenheit nachzuholen sein. Die Ver fammlung ließ keinen Zweifel darüber, daß sie solche Bestim mungen in Lehrverträgen entschieden verurteilt. Es scheint aber, als ob der technische Betriebsleiter zu sehr auf eigene Faust wirtschaften kann und nicht ganz frei von Scharfmacherallüren ist. Hier wird reiner Tisch zu machen sein!
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In der Generalversammlung der Großeinkaufsgesell. schaft wurde hauptsächlich über die Eigenproduktion gesprochen. Im Herbst wird eine neue Seifenfabrik in Düsseldorf eröffnet. Die drei Tabakfabriken sind leider nicht voll beschäf tigt, der Konsum ist zurückgegangen. Die Geschäftsleitung mahnte dringlich, daß die Mitglieder der Konsumvereine doch mehr als bisher ihren Bedarf an Zigarren und Tabat aus den Produkten der Großeinkaufsgenossenschaft decken sollen. Die Mahnung ist berechtigt, und die Leserinnen der„ Geichheit" mögen es ihren Männern, Söhnen und Brüdern weitersagen! Vor einiger Zeit streikten die Arbeiter der Frankenberger Fabrik kurze Zeit. Unsere Tagespresse hat damals den Fall erörtert, und auch an dieser Stelle wurde er erwähnt. Auf der Generalversammlung entspann sich nun eine weitere Erörterung zwischen dem Vorsitzenden des Tabakarbeiterverbandes und der Geschäftsleitung. Offenbar ist auf beiden Seiten gesündigt und nicht mit der nötigen Ruhe und überlegung gehandelt worden. Es ist nötig, daß die sich daraus ergebenden Lehren für die Zukunft beherzigt werden. Denn ein Streit in einem Arbeitergenossenschaftsbetrieb ist natürlich all den zahlreichen Gegnern der Konsumvereine ein gefundenes Fressen. Länger wurde auch über die wichtige Frage des Stimm= rechts der einzelnen Vereine gesprochen. Jetzt hat jeder Verein eine Stimme, der größte wie der kleinste, ganz gleich, ob er 300 oder 60 000 Mitglieder zählt. Dieser Zustand läßt sich auf die Dauer nicht aufrechterhalten. Vorläufig wurde aber ein Antrag auf Anderung dieses Systems abgelehnt. Man wird aber einen Teil der kleinen und mittleren Vereine zu der Überzeugung bringen müssen, daß der Zustand ungerecht ist. Denn sonst wird eine Anderung immer wieder niedergestimmt werden können.
Großes Interesse bot die Besichtigung des neuen mächtigen Genossenschaftsgebäudes in Hamburg , wo die Lager, Kontore und Betriebe des Zentralverbandes untergebracht sind. Dieser Bau ist wahrscheinlich das größte Genossenschaftsgebäude dieser Art und in seinen inneren Einrichtungen modern und in jeder Hinsicht musterhaft. Besonders ist für die Hygiene im Interesse der Arbeiter gesorgt. Zu pruntvoll, etwas zu sehr der Hamburger Patrizierprobigfeit nachgeahmt erscheint die repräsentative Ausgestaltung einzelner Säle und Sitzungszimmer. Da könnte man eher meinen, bei den Direktoren und Aufsichtsräten der Hapag oder des Norddeutschen Lloyd zu sein als in den Gemächern eines auf genossenschaftlicher Grundlage ruhenden Betriebs, der der modernen Arbeiterbewegung dienen soll. Hier ist der nötige Ausgleich zwischen oben und unten nicht eingehalten. Doch das sei nur mehr nebenbei bemerkt. Daß
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Nr. 27
Druderet, Buchbinderei, Dütenfabrik, Kar
in den Betrieben tonnagen nur mit den modernsten Maschinen gearbeitet wird, ist selbstverständlich. Jm luftigen Speisesaal können 600 Personen bequem fizend untergebracht werden. Das Grundstück ist erst zum Teil bebaut, die Möglichkeit der Erweiterung ist in großem Maße vorhanden. Für die Genossenschaftswoche des nächsten Jahres wurde Würzburg bestimmt. Erwähnt sei noch, daß sich das Organisationstalent der Bremer Genossen beim Arrangement der ganzen Tagung in jeder Hinsicht glänzend bewährte. Männer, Frauen- und Kinderchöre boten künstlerischen Genuß. Die Bremer Genossenschaftswoche dieses Jahres zählt so zu den bedeutsamsten Tagungen des deutschen Genossenschaftswesens. H. F.
Notizenteil.
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
Noch einiges zu dem Kapitel Arbeiterinnenelend in Limbach. Bor etlicher Zeit gab Genossin. in der„ Gleichheit" ein gedrängtes Bild von dem harten Leben der Proletarierinnen in Limbach. Das Bild bedarf einiger kleiner Korrekturen. Es läßt sich nicht durchweg behaupten, daß die Heimarbeiterinnen in der Handschuhindustrie per Dutzend 4 Pf. weniger erhalten als die Fabrikarbeiterinnen. Hier kann man nicht verallgemeinern. Die Löhne für das 8wideln, Steppen, Nähen und Schlißen find untereinander sehr verschieden. Es stimmt auch nicht, daß den Arbeiterinnen die Motorfraft für den Betrieb der Nähmaschine in Abzug gebracht wird. Wohl hat sich ein Unternehmer vor einigen Jahren einen solchen Abzug erlaubt, aber sein Beispiel hat keine Nachfolge gefunden. Man glaube jedoch ja nicht, daß wegen dieser beiläufigen Ungenauigkeiten das ganze Bild zu Unrecht grau in grau gemalt gewesen sei. Es bleibt für die Fabrikarbeiterinnen bei einem Wochenverdienst von 15 Mt. Er mag hoch erscheinen gemessen an dem noch geringeren Lohn, den die Arbeiterinnen in manchen anderen Berufen heimbringen. Aber ganz davon zu schweigen, daß er nicht ausfömmlich ist, steht er auch in schreiendem Mißverhältnis zu den Leistungen der Frauen und Mädchen. Diese haben für die paar Mark auch das Vor- und Nacharbeiten der Handschuhe, das meist zu Hause geschieht und den Arbeitstag verlängert,
Die Heimarbeit ist in Limbach sehr stark verbreitet. In dem Städtchen mit seinen 17 000 Ginwohnern werden von der Handschuhindustrie 2500 Heimarbeiterinnen beschäftigt. Man übertreibt nicht mit der Behauptung, daß in Limbach kaum eine Arbeiterfrau in dem Haus jene Welt erblicken darf, von der die Gegner der Frauenbefreiung so viel singen und sagen. Die Proletarierin muß in erster Linie Lohnsflavin sein, wie der Mann Lohnsflave ist. Nur nebenbei darf sie sich als Gattin und Mutter betätigen. Der geringe Verdienst des Mannes zwingt dazu, daß die Frau sich als billige Arbeitskraft ausbeuten lassen muß. Gesundheitsschädigungen sind recht oft die Zugabe zu niedrigem Verdienst und überanstrengung. Das gebüdte Sißen und das Treten der Maschine füh. ren Unterleibsleiden herbei. Zumal da die jungen Mädchen schon vom vierzehnten Jahre an in die kapitalistische Profitmühle gezwungen werden. Wir können uns kaum denken, daß in einem Ort die Krankenkassen eine größere Zahl unterleibsleidender Proletarierinnen unterstüßen müssen als in Limbach. Hier kommt als Folge der Frauenausbeutung das arbeitende Volk von Geschlecht zu Geschlecht herunter. Damit ist es zu teuer erkauft, daß der Limbacher Proletarier sich nicht als den ärmsten der Armen fühlt, weil die Frau noch etwas im Sack hat, wenn es mit dem Verdienst des Mannes zu Ende ist. Leider fehlt es unter der Arbeiterschaft am Orte und zwar bei Männern und Frauen vielfach noch an Einsicht und Solidaritätsgefühl. Dadurch wird die Arbeit für Aufflärung und Zusammenschluß der Ausgebeuteten recht erschwert. Da heißt es, zumal für die Genossinnen, sich nicht entmutigen lassen, vielmehr troh mancher herben Enttäuschung weiterarbeiten. Nicht durch Klagen, nur durch Wagen kommen wir vorwärts. Und vorwärts müssen wir durch die Wüste der kapitalistischen Ausbeutungsgesellschaft bis zum gelobten Lande des Sozialismus.
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Heimarbeit.
Mit der Lage der Handweber in der Oberlausit beschäftigte sich letzthin die Handelskammerzu Zittau . Diese Körperschaft sprach sich dahin aus, daß mehr und mehr der mechanische Webstuhl in der Hausweberei zur Einführung gelangen möge. Namentlich die Herren Kutschte- Gunewalde und Nolke- Hirschfelde stimmten auf die Motorstühle ein Loblied an, das geeignet ist, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Wie steht es in Wirklichkeit mit dem„ Gegen" dieser Motorstühle?