Nr. 11

25. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

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Stuttgart  19. Februar 1915

Worauf es ankommt. Krieg und Volksernährung. Frauen­versammlungen in der Schweiz.- Aus der Partei. Gewerk schaftliche Rundschau. Notizenteil: Fürsorge für Mutter und Kind.- Sozialistische Frauen­bewegung im Ausland. Für den Frieden.- Frauenstimmrecht. Die Frau in öffentlichen Ämtern. Verschiedenes.

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Worauf es ankommt.

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit sind zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Erpedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

Ausgangspunkt bei allen ohne Ausnahme ist die Versiche­rung, daß man den Frieden wünsche. Fragt man den Reichs­kanzler Bethmann Hollweg  , so wird er selbstverständlich aus­rufen: Aber Deutschlands   Reichsregierung wünscht ja seit Für den Frieden.- Frauenstimmrecht. Jahrzehnten nichts sehnlicher als die Erhaltung des Frie­dens! Beweis: alle diplomatischen Noten, die wir über die Vorgeschichte des gegenwärtigen Krieges veröffentlicht haben. Fragt man den Genossen Scheidemann  , so antwortet er: Aber die deutschen führenden Instanzen der Sozialdemo­fratie haben seit Beginn des Krieges schon dreimal ihrem Friedenswillen Ausdruck gegeben: in den beiden Frak­tionserklärungen sowie im Neujahrswunsch des Partei­vorstandes an den Labour Leader. Dennoch hält heute so­wohl der Reichskanzler wie Genosse Scheidemann   die Be­tonung des Friedenswillens durch deutsche   Arbeiter für ver­früht und unangebracht. Der Friede sei noch nicht reif, die Zeit dafür noch nicht gekommen. Vorläufig sei die Losung: Durchhalten!" das heißt ,, Durchhalten!" das heißt weiter Krieg führen.

Immer zahlreicher werden die Kundgebungen, in denen sozialistische Frauen aller Länder das Banner des Friedens erheben. In der ersten Reihe dieser Genossinnen stehen nun zum Ruhm der proletarischen Internationale die sozialisti­ schen   Frauen Frankreichs  . Im Herzen des internatio­nalen Sozialismus, das für die Sache der Arbeiterklasse ganz Europas   seit mehr wie einem Jahrhundert so oft schon geblutet hat, in Paris   haben tapfere Frauenhände der chauvinistischen Meute zum Troß und unbekümmert um die Fallstricke einer ,, vaterländischen" Zensur den Aufruf der in­ternationalen Sekretärin für den Frieden verbreitet. Das Echo dieser mutigen sozialistischen   Tat wird den Friedens­willen der proletarischen Frauen in allen Ländern stärken.

Die klassenbewußten Proletarierinnen werden die Losung des Friedens sicher nicht für einen Augenblick mehr fallen lassen. Es ist dies ihr erster und bedeutsamster Anspruch auf eine geschichtliche Rolle in diesen furchtbaren Zeiten. Die Frauen des Proletariats aller Länder sind es, die als erste über die Schlachtfelder hinweg einander die Hand reichen, um gemeinsam für die Rückkehr des Friedens und der Zivi­lisation zu wirken. Dieses Anzeichen des wiedererwachenden Sozialismus als eines geschichtlichen Faktors ist zugleich ein Anzeichen dafür, daß in der neuen proletarischen Internatio­nale, die aus den Trümmern auferstehen muß, dem weib­lichen Geschlecht eine viel tätigere Rolle, eine viel höhere Mission zufällt als bisher.

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Doch um den Friedenswillen der sozialistischen   Frauen zur wirksamen Kraft zu gestalten, müssen wir uns klar wer­den über den eigentlichen Sinn und Charakter dieser Losung. Der Wunsch nach Frieden" besagt an sich noch gar nichts. Mit frommen Wünschen ist, wie es heißt, der Weg zur Hölle gepflastert. Und wahrhaftig, der Weg zur gegenwär­tigen Hölle des nie dagewesenen Weltkriegs ist buchstäblich mit frommen Friedenswünschen der sozialistischen   Parteien und mit Friedensresolutionen der sozialistischen   Kongresse gepflastert gewesen. Der politisch und historisch wirksame Wille darf sich nicht auf nebelhafte Ziele richten, er muß scharf, klar und rückhaltlos seine wirkliche Aufgabe ins Auge fassen. Daß aber die Losung des Friedens gar verschieden aufgefaßt und bewertet werden kann, beweist ein Blick auf unsere sozialistische Parteipresse in Deutschland   wie im Aus­land.

Wie über die Frage des Krieges, so gehen über die des Friedens die Meinungen in unseren Reihen naturgemäß aus­einander, ja sie gehen nach drei Richtungen auseinander.

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Fragt man, wann denn nach dieser Auffassung die Zeit gekommen sein wird, hinter die Friedenswünsche die Tat zu sezen, so ergibt sich im Grunde genommen eine einfache Ant­wort: Wenn die deutsche   Regierung Frieden schließen wird, dann wird auch für die deutsche   Arbeiterklasse die richtige Zeit gekommen sein, vom Frieden zu reden. Dieser Auf­fassung hat das Parteivorstandsmitglied Genosse Scheide­mann Ausdruck gegeben und mit ihm eine ganze Reihe Parteiblätter sowie die Mehrheit der Reichstagsfraktion.

Eine andere Strömung fam neulich in einigen unserer Blätter zum Wort, man begegnet ihr auch im neutralen Aus­land, namentlich in Holland  , und auf der Kopenhagener So­zialistenkonferenz machte sie sich geltend. Sie begnügt sich nicht mit dem frommen Schweigen und Abwarten. Sie be­tont, daß die Volksmassen ihren Friedenswunsch laut aus­sprechen müssen. Ja, sie legt den Nachdruck auf eine ganz be­stimmte Gestaltung des Friedens, den wir zu wünschen haben. Hier treten gewisse Formulierungen auf, die sich neben der Forderung: keine Landerwerbungen" hauptsäch­lich richten auf die sogenannte Abrüstung", auf Abschaf­fung der geheimen Diplomatie", auf die Schaffung eines ,, europäischen Staatenbundes", und was dergleichen schöne Dinge mehr sind. In verschiedenen Variationen kehren diese Losungen immer wieder, alle von der wohlgemeinten Sorge diktiert, den Frieden, wenn er endlich kommt, nun auch dauerhaft zu machen. Was diesen wohlmeinenden Pläne­machern des Friedens vorschwebt, ist das schöne Phantom vom letzten Kriege", mit dem wir uns über die Schrecken der Gegenwart trösten sollen.