Nr. 11
Die Gleichheit
Am dritten Tage wurde die sanfte Flöte des Pardons von der schmetternden Kriegstrompete abgelöst. Sie erklang zum Gericht über zwei Sünder: Liebknecht und Ledebour. Genosse Liebknecht hatte nämlich den auf seine„ Hinrichtung" abzielenden Fraktionsbeschluß im„ Vorwärts" durch die folgenden Feststellungen beantwortet:
W. G.! Gegenüber dem in Ihrer heutigen Nummer veröffentlichten Fraktionsbeschluß bemerke ich:
1. Ich habe gegen die Kriegskredite gestimmt, weil die Bewilligung der Kriegskredite nach meiner überzeugung nicht nur den Interessen des Proletariats, sondern auch dem Parteiprogramm und den Beschlüssen internationaler Kongresse schroff widerspricht, und weil die Fraktion nicht berechtigt ist, einen Verstoß gegen Programm und Parteibeschluß vorzuschreiben.
Ich habe diesen meinen Standpunkt dem Fraktionsvorstand in einem Briefe vom 3. Dezember v. J. dargelegt.
2. Irreführende Mitteilungen über Parteivorgänge habe ich nicht verbreitet. Die Fraktion, die zur Fassung eines Beschlusses über diesen Punkt gar nicht zuständig war, hat meinen Antrag, die Entscheidung hierüber bis zu einer gründlichen Aufklärung über allerhand Behauptungen auszusehen, abgelehnt.
A. Liebknech t. Darauf antwortete unmittelbar am nächsten Tage ein neuer Volltreffer:
" Die Fraktion weist die Behauptung, daß die Bewilligung der Kriegskredite den Interessen des Proletariats, dem Parteiprogramm und den Beschlüssen der internationalen Kongresse widerspricht, mit aller Entschiedenheit zurück.
Was die Verbreitung irreführender Mitteilungen an das Ausland durch Genossen Liebknecht betrifft, so wurde mehr als ge= nug festgestellt, um den Beschluß der Fraktion zu rechtfertigen." Neben Liebfnecht lag alsbald auch Ledebour vernichtet am Boden. Dieser Frevler hatte als Mitglied des Fraktionsvorstandes seit vielen Wochen die Einberufung der Fraktion zu einer Sigung gefordert, die sowohl zu dem Fall„ Südekum" wie zu anderen höchst originellen Vorkommnissen Stellung nehmen sollte. Da seine Bemühungen beim Fraktionsvorstand fruchtlos blieben, legte Ledebour sein Amt nieder und richtete an eine Anzahl Fraktionskollegen einen Brief, worin er den Sachverhalt darlegte und schloß:
" Ich habe die Art und Weise, wie mein Antrag zurückgewiesen wurde, als eine Verhöhnung nicht nur meiner selbst, sondern auch der Fraktion empfunden. Nach reiflicher überlegung bin ich zu dem Entschluß gekommen, daß ich die Mitverantwortung für diese Art Geschäftsführung nicht länger tragen darf, daß es aber auch meine Pflicht ist, für Abhilfe gegen die zutage getretenen Mißstände zu sorgen. Denn die hier erörterten Tatsachen sind nur Glieder in einer langen Kette von Zerrüttungserscheinungen.
Deshalb richte ich an Sie, werter Kollege, das Ersuchen, einen Antrag auf schleunigen Zusammentritt der Fraktion Ihrerseits zu unterstützen."
Endlich fand die Fraktionssitung statt. Aber es sollte anders kommen, als sich der altmodische Genosse Ledebour einbildete: die sozialdemokratische Fraktion saß zu Gericht nicht über Südekum und verwandte Seelen, sondern über Liebknecht und ihn selbst, Ledebour. Er wurde mit dem folgenden Beschluß niedergeschmettert:
„ Die Fraktion erklärt den von Ledebour gegen die Geschäftsführung des Fraktionsvorstandes erhobenen Vorwurf der Verschleppungs- und Vertuschungspolitik als jeder tatsächlichen Grundlage entbehrend und verurteilt sein Vorgehen aufs schärfst e."
In die von Ledebour im Fraktionsvorstand gelassene Bresche ist Genosse Hoch gesprungen, und so ist die ganze Sache glatt erledigt.
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Neben ihren richterlichen Funktionen hat die Fraktion Zeit gefunden, noch anderen Gegenständen ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Die Fraktion", schreibt der Vorwärts",„ hat sich gestern in eingehender Weise mit der Frage des Friedens beschäftigt. Außerdem hat sie sich mit einer Anzahl wichtiger sozialpolitischer Anregungen befaßt. In allen diesen Fragen wurde eine erfreuliche Übereinstimmung erzielt." Leider crfahren wir nicht, worin diese erfreuliche Übereinstimmung
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bestand, und welche konkreten, flaren Beschlüsse„ in allen diesen Fragen" gefaßt worden sind.
Gewerkschaftliche Rundschau.
Die Befürchtung, daß mit oder nach Jahresschluß die Zahl der Arbeitslosen wieder erheblich steigen würde, hat sich glücklicherweise nicht erfüllt. Die Ursachen für den Rückgang der Arbeitslosigkeit sind klar ersichtlich. Auf der einen Seite die riesigen Massen von Männern, die das Heer der Produktion und dem Arbeitsmarkt entzogen hat und entzieht, auf der anderen Seite die ungeheuren Arbeitsaufträge, die der moderne Krieg für bestimmte Industrien schafft und die den schlechten Geschäftsgang in anderen Industrien wettmachen. Zu jenen Industrien gehört vor allem die Metallindustrie; in ihr fiel die Arbeitslosigkeit nach der vom Metallarbeiterverband wöchentlich aufgenommenen Statistik von 19,5 Prozent bei Kriegsausbruch auf 3,4 Prozent als niedrigste Zahl in der ersten Woche des Januar. In einzelnen Gewerben fehlt es sogar an Arbeitskräften, so im Bergbau. Denn auch in jeßiger Zeit ist der Kohlenbedarf sehr groß, während von dem kräftigen Arbeiterschlag, den die Bergleute im allgemeinen darstellen, sehr viele zum Kriegsdienst eingezogen sind. Doch nicht in allen Industrien ist die Arbeitsgelegenheit so günstig. Im graphischen Gewerbe ist die Zahl der Arbeitslosen verhältnismäßig groß, ebenso im Glasergewerbe; auch in der Holzindustrie sind immer noch größere Massen arbeitslos, wenn auch viele aus diesem Gewerbe sich einer anderen Beschäftigung zugewandt haben. All diesen Arbeitslosen widmete auf der Tagung der deutschen Eisenhüttenleute in Düsseldorf der Abgeordnete Dr. Beumer beherzigenswerte Worte. In einer Rede über den Zusammenhang von Wirtschaft und Technik" führte er nach der Tagespresse folgendes aus: Arbeitslosigkeit sei heute durchweg Arbeitsscheu; wer arbeiten wolle, fände dazu reichlich Gelegenheit. Gegen diese Arbeitsschen müßten die schärfsten Maßregeln getroffen werden. Den Behörden müsse man anheimgeben, ob sich nicht für die gelernten Arbeiter der Metallindustrie auf Grund des Kriegsleistungsgeseßes ein Arbeitszwang durchführen lasse, wonach sich die Arbeiter bei Androhung von Strafe zur Arbeit zu melden hätten. Man könne auch an eine ausgedehntere Beschäftigung von Kriegsgefangenen denken!
Der Mangel an Arbeitsfräften, der teilweise in der stark beschäftigten Kriegsausrüstungsindustrie herrscht, hatte naturgemäß eine Steigerung der Arbeitslöhne zur Folge. Denn jeder Unternehmer war bemüht, durch höhere Löhne die besten Kräfte an sich zu ziehen. Doch sollten sich die Arbeiter nicht allzu lange der Gunst der Stunde erfreuen. Auf die Klagen der Unternehmerverbände hin schritten das Kriegsministerium und die sächsische Heeresverwaltung durch eine Verordnung gegen solche Steigerungen der Löhne ein, denen doch auch eine Steigerung der Arbeitsintensität entspricht. In Zukunft soll es den Unternehmern verboten sein, mehr als 33½s Prozent Kriegszulage zu dem bestehenden Tarif zu gewähren und etwa noch durch Prämien, Extralöhne, Mietszahlungen, Übernahme der Krankenkassen- und Invaliditätsversicherungsleistungen usw. die Arbeiter sich gegenseitig abspenstig zu machen. Welch schnelles Entgegenkommen doch die Behörden den Wünschen der Unternehmer bewiesen! Die Maßnahme wendet sich im wesentlichen gegen höhere Löhne von Arbeitern, während die Riesenprofite der Unternehmer in der Militäreffektenindustrie gänzlich unangetastet bleiben. Wie immer und überall, fängt auch hier die Sparsamkeit am Arbeiter an und hört auch bei ihm auf; denn Händler und Unternehmer sacken bei den jetzigen Kriegslieferungen Hunderttausende und Hunderttausende ein, ohne daß bisher irgendein Schritt gegen diese Schröpfer des Volksvermögens unternommen worden ist.
Es verlautete, die Staatsregierung wolle von der geplanten Verschärfung des Strafgesetzbuchs zum Schuße der Arbeitswilligen Abstand nehmen. Die Richtigkeit dieser Meldung ist sehr stark in Zweifel zu ziehen. Aber selbst wenn in der Zeit des Burgfriedens wirklich solche Stimmungen an manchen Regierungsstellen herrschen sollten, werden sie vorhalten, wenn der Krieg endlich aus ist und wirtschaftliche Kämpfe mit elementarer Gewalt losbrechen? Denn eine Folge dieses Krieges, der dem Nationalreichtum immer tiefere Wunden schlägt und eine Menge mittlerer Existenzen wirtschaftlich ruiniert,