Nr. 7

26. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart  

24. Dezember 1915

Friede! Was uns not tut. Von Luise Ziez. Der Narauer Partei­tag und die Frauen. Von Z. Gewerkschaftliche Rundschau. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Für den Frieden. Arbeitslosigkeit der weiblichen Erwerbstätigen. Frauenstimmrecht.- Fürsorge für Kriegerfamilien.- Frauenarbeit.

Friede!

Zum zweiten Male während des Weltkriegs feiert die Christenheit ihr Weihnachten. Zum zweiten Male läuten die Glocken zum Feste der Liebe, während die Kanonen das Lied des Hasses brüllen. Zum zweiten Male singt die fromme Ge-. meinde von der fröhlichen, gnadenbringenden Weihnachts­zeit, während draußen im Kriegsgebiet sich die Blutopfer häufen.

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Friede auf Erden" hängt nicht der Friedens Gedanke mit der christlichen Weihnachtsfeier unlöslich zusam­men? Die Kirche gedenkt ja an diesem Tage der Geburt des Friedensfürsten", und alle Ausmalungen der messiani­schen Herrlichkeit im Alten wie im Neuen Testament   ent­rollen uns das Bild eines dauernden, alle Menschen be­glückenden Friedens. Der Friede war eben von jeher die Sehnsucht aller Mühseligen und Beladenen, aller derer, die von ihrer Hände Arbeit leben. Der Krieg, das empfand das schaffende Volk schon vor zweitausend Jahren, raubt dem Armen auch noch das Wenige, das er hat. Der Krieg, auch der siegreiche Krieg ist nach dem Ausspruch Moltkes ein na­tionales Unglück; wer kann das besser erkennen und empfin­den als der um seine Existenz schon im Frieden hart ringende Proletarier?

So mahnt denn das Weihnachtsfest zunächst die christliche Kirche an ihre Aufgaben: Hüterin des Völkerfriedens, An­walt einer glücklichen Menschheitszukunft zu sein. Aber die Geschichte der christlichen Kirche ist genau so mit Blut ge­schrieben wie die Geschichte der weltlichen Staaten. Im Mittelalter war ja auch die Kirche eine irdische Großmacht und in alle wirtschaftlichen und politischen Händel der Zeit verstrickt. Seit der Reformation freilich ist sie aus einer Herrin zur bloßen Bundesgenossin, ja vielfach zur Dienerin des bürgerlichen Nationalstaats herabgedrückt. Zumal den evangelischen Landeskirchen sind darum die Hände gebunden. Sie könnten feine selbständige und tatkräftige Friedenspolitik treiben, wenn sie auch wollten. über einzelne Worte der Sehnsucht und fromme Friedenswünsche kommen ihre Diener nicht hinaus, selbst in der Weihnachtszeit nicht. Wo sollten sie auch die Kraft dazu hernehmen? Etwa aus der vielgenannten Idee des Christentums" heraus? Aber die Ideen machen ja die Geschichte nicht, sondern die großen materiellen Inter­effen ganzer Gesellschaftsklassen. Diese formen und ändern die Ideen nach ihrem Bilde.

Der katholischen Kirche   muß es zugestanden werden: sie ist die einzige religiöse Macht zurzeit, die ihren Beruf, den Frieden zu wahren, nicht ganz vergessen hat. Wieder hat

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( 3undel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

in diesen Tagen der Papst wie schon öfters warme, von innerer Bewegung getragene Worte gegen die zerstörenden Greuel des Krieges und zugunsten eines raschen, gerechten und dauerhaften" Friedens gefunden. Beim Zusammentritt des Konsistoriums hat er eine Ansprache gehalten, die in ihrem entscheidenden Teile die Aufmerksamkeit der um den Frieden ringenden Proletarier wohl verdient. Der Papst hat es als Pflicht des apostolischen Stuhls" bezeichnet ,,, aufs neue auf dem einzigen Mittel zu bestehen, das schnell ein Ende dieses schrecklichen Weltbrandes herbeiführen könnte, um einen derartigen Frieden vorzuberei. ten, wie er von der gesamten Menschheit glühend ersehnt wird, das heißt einen gerechten, dauerhaften und nicht nur für einen Teil der Kriegführenden nugbringenden Frieden". Den Weg hierzu sieht der Papst in einem direkten oder in­direkten Gedankenaustausch, der mit aufrichtigem Willen und reinem Gewissen" die Ansprüche eines jeden Krieg­führenden klarlegt und gebührend prüft und unter Beseiti­gung der ungerechten und unmöglichen Forderungen, und in dem man nötigenfalls durch billige Kompensationen und Ab­machungen dem Rechnung trägt, was gerecht und möglich ist". Es sei unbedingt notwendig, meint der Papst ,,, daß man von der einen wie von der anderen Seite in einigen Punkten nach gibt, daß man auf einige der erhofften Vorteile ver­zichtet, und jeder müßte gutwillig in Konzessionen ein­willigen, selbst um den Preis gewisser Opfer, um nicht vor Gott   und den Menschen die ungeheure Verantwortung für die Fortsetzung dieser beispiellosen Schlächterei auf sich zu nehmen, welche, wenn sie noch weiter andauert, für Europas   Wohl das Zeichen eines Herab­sinkens von dem hohen Standpunkt seiner Zivilisation und seines Wohlstandes beden­ten dürfte, auf den es die christliche Religion erhob."

Es ist kaum anzunehmen, daß diese Worte des Oberhaupts der katholischen Kirche   ganz ungehört verhallen werden. Ebenso sicher ist aber vorauszusehen, daß keine der krieg. führenden Regierungen dadurch auch nur um eines Fingers Breite von dem Wege sich abbringen lassen wird, den sie im Interesse ihrer wirtschaftlichen und politischen Machterweite­rung für richtig hält. Hängt ja auch der Fortgang des Krieges zum wenigsten ab von dem guten Willen der Regierenden, als von jenen gesellschaftlichen Mächten, die in der heutigen Wirtschaftsordnung die Politik der Staaten bestimmen. Bitten, Vorstellungen, religiöse Ermahnungen sind kein Ge­schichte bildender Faktor. Wirtschaftliche Kräfte, die zum Kriege treiben, können nur mattgesezt werden durch eine wirtschaftliche Gegenkraft, der der Frieden Lebensbedin­gung ist.

Diese Gegenkraft sind die Friedensinteressen des Prole­tariats in allen Ländern. Diese für den Frieden zusammen­zufassen und lebendig zu machen ist eine der Hauptaufgaben der sozialistischen Internationale. Nicht nur in Anbetracht der Leiden und Opfer, die der Krieg vom Proletariat fordert,