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Die Gleichheit

15 und 60 Pf., in den Betrieben mit Stunden- und Akkord­Iohn bewegte sich der in der Stunde erreichte Lohn zwischen 12 und 75 Pf. Bei der Untersuchung fielen nicht nur die großen Span­nungen auf innerhalb der einzelnen Lohnarten bei gleicher Be­schäftigung, sondern auch noch in ein und demselben Werke zwi­schen den einzelnen Abteilungen. Es wurden Unterschiede von 20 bis 45 Pf. festgestellt.

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Besonders wichtig für die Arbeiterinnen ist das Verhältnis der Frauenarbeitslöhne zur Höhe der Männerlöhne. Darüber lagen Bahlen aus 277 Betrieben vor. Sie weisen aus, daß in 105 Be­trieben Arbeitern und Arbeiterinnen die gleichen Akkordpreise ge­zahlt wurden, während die Affordsätze in 172 Betrieben für die Frauen bedeutend niedriger sind als für die Männer. Es wurde ermittelt, daß hier den Arbeiterinnen nur 40 bis 90 Prozent, im Durchschnitt 662/3 Prozent des Affordverdienstes der männlichen Arbeitskräfte gezahlt werden." In diesen Betrieben wird also den Arbeiterinnen nach dem Maße gemessen, das die" Deutsche Ar­beitgeberzeitung" für die Frauenarbeit gelten lassen möchte. Eine Steigerung des Verdienstes auf Grund von Mehrarbeit oder Teuerungszulagen ist für die Arbeiterinnen nur in 61 von 227 Betrieber eingetreten.

Die regelmäßige Arbeitszeit betrug in den untersuchten Betrieben bis zu 121/2 Stunden täglich. Jn 224 Betrieben wurde mit Überstunden gearbeitet; in 175 Betrieben sind die Arbeite­rinnen auf Wechselschicht beschäftigt; in 134 Betrieben wurde Sonntagsarbeit festgestellt. Mit Recht betont die Erhebung, daß solche Arbeitszeiten reichlich lang" seien. Nur aus einem einzigen Gewerbeinspektionsbezirk ist bekannt geworden, daß dort, wo Ar­beiterinnen beschäftigt werden, auf die Einführung einer acht­stündigen Schicht wert gelegt wird. Die Frage: ob die Arbeite­rinnen für Überzeit- und Sonntagsarbeit die gleichen zuschläge erhalten wie die männlichen Arbeiter, wurde in 125 Betrieben mit Ja und in 28 mit Nein beantwortet. Gewiß wird die Deutsche Arbeitgeberzeitung" auch da mit einer philosophischen" Rechtfertigung des Unterschieds zur Stelle sein!

Jn 57 Betrieben haben sich Unfälle ereignet, durch die Ar­beiterinnen schwer, zum Teil tödlich verlebt wurden. Die Unter­suchung der Metallarbeiterverbände ist ein neuer Beleg für die Notwendigkeit, daß sich auch die Arbeiterinnen bis zur letzten den Organisationen ihrer Klasse anschließen und dort ihre Interessen vertreten. Sie erweist, wie dringlich es ist, daß ein durchgreifender gesetzlichen Arbeiterinnenschutz geschaffen wird, und daß die Frauen volles Mitbestimmungsrecht in Reich, Staat und Gemeinde erhalten. Mit Rechten ausgerüstet müssen die Arbeiterinnen für Einschränkung der Kapitalsmacht und für die überwindung ihrer Herrschaft kämpfen.

Fürsorge für Mutter und Kind.

h.

Die Wochenhilfe der Krankenkassen an uneheliche Wöchne­rinnen. Die Reichsversicherungsordnung wie auch die neuen Be­stimmungen der Reichswochenhilfe stellen erfreulicherweise die un­chelichen Wöchnerinnen mit den ehelichen vollkommen gleich und sehen hinsichtlich ihrer Ansprüche nicht den geringsten Unterschied vor. Die Reichsversicherungsordnung besitzt aber einen§ 1542, nach dem der Anspruch auf Ersatz eines Schadens, den ein Ver­sicherter im Falle einer Krankheit" an irgend jemand hat, auf die Krankenkasse übergeht, wenn diese für diesen Krankheitsfall" Unterstüßungen geleistet hat. Nun ist nach§ 1715 des Bürgerlichen Gesetzbuches der Vater eines unehelichen Kindes verpflichtet, der Mutter die Kosten der Entbindung sowie die Kosten des Unterhalts für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung usw. zu ersehen. Manche Krankenkassen folgern nun, daß dieser Anspruch der Wöch­nerin auf die Kasse übergeht und infolgedessen diese ihre Auf­wendungen an die Wöchnerin von dem Kindesvater wieder ein­ziehen kann. Manche Krankenkassen, insbesondere Betriebskranken­fassen, betreiben das systematisch und ziehen in jedem der hier in Frage kommenden Fälle ihre Aufwendungen wieder ein. Sie wur­den von den Gerichten unterstützt, die einmütig solche Erfahforde­rungen als zu Recht bestehend anerkannten. Jm Bezirke Dresden  wurden vor einiger Zeit sogar die Krankenkassen von ihren Auf­sichtsbehörden direkt angewiesen, in allen Fällen, in denen Unter­stützung an uneheliche Wöchnerinnen gezahlt werde, diese wieder einzuziehen.

In neuerer Zeit mehren sich mit Recht die Stimmen, die gegen diese Praxis auftreten. Der Wirkliche Geheime Oberregierungsrat Dr. Hoffmann, Vortragender Rat im Preußischen Ministerium

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des Innern, wendet sich in mehreren Artikeln in der Fachliteratur dagegen und sagt, ein Recht zur Zurückforderung dieser Wöchne­rinnenunterstützung habe niemals bestanden. Die Versicherungs­gefeße sprächen nur davon, daß in einem Krankheitsfalle" der An­spruch, den der Kranke an irgend jemand habe, auf die Kasse über­gehe. Nach feststehenden Grundsäßen sei aber ein normal ver­laufendes Wochenbett keine Krankheit im Sinne der Krankenver­ sicherung  . Eine Krankheit liege erst vor, wenn im Interesse der Mutter oder des Kindes Kunsthilfe erforderlich wird oder wenn sich an die Entbindung eine Krankheit anschließt.

Neuerdings wendet sich auch Justizrat Hahn, eine Autorität auf dem Gebiet des Krankenversicherungsrechts, gegen die Wieder­einziehung der Entbindungskosten vom unehelichen Vater. Er führt an, daß nur der Anspruch auf Ersatz eines Schadens", den ein Unterstüßter hat, auf die Krankenkasse übergehen kann. Bei den Ansprüchen der Wöchnerin an den Kindesvater könne man aber diesen Begriff gar nicht anwenden. Auch die Arbeiterversorgung", die angesehenste Fachzeitschrift für die Sozialversicherung im Deutschen Reich, wendet sich jetzt mit Nachdruck gegen die Zurück­forderung.( Vergl. Jahrgang 1916, Seite 142.)

Troßdem gibt es Kassen, die die Härte ihres Vorgehens noch steigern statt zu mildern. Die Betriebskrankenkasse der Firma Anton Reiche  , Aktiengesellschaft in Dresden  , machte die Auszah­lung der Wochenhilfe an eine uneheliche Wöchnerin davon ab= hängig, daß diese den Namen des unehelichen Vaters nenne. Da das Mädchen die Bekanntgabe ablehnte, verweigerte die Kasse jede Unterstüßung. Die Kasse stellte sogar die Behauptung auf, die Wöchnerin könne nicht zugleich vom Vater des Kindes und von der Kasse, also doppelt, die Fürsorge erhalten. Das angerufene Versicherungsamt Dresden- Altstadt verurteilte die Kasse zur Zah lung, da sie einen Schadenersazanspruch an den Vater des Kindes überhaupt nicht habe. Wenn man, so führte diese Versicherungs­behörde mit Recht aus. den Kassen Ersatzansprüche gegen außer­eheliche Kinderväter zusprechen wolle, so sei nicht einzusehen, warum nicht auch gegen eheliche Väter ein gleicher Anspruch be­stehen solle, da diesen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch der ehe= liche Aufwand zur Last falle. Der rein familienrechtliche Anspruch des§ 1715 des Bürgerlichen Gesetzbuches   gehe deutlich aus den Protokollen der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches   hervor. Gegen diese Entscheidung legte die Betriebskrankenkasse Berufung bei dem Oberversiche rungsamt ein. Dieses verurteilte zwar auch die Kasse zur Zahlung, aber aus einem anderen Grunde. Die Kasse sei berechtigt, so sagte es, ihre Aufwendung von dem Kindesvater wieder einzuziehen. Die früheren Urteile in dieser Hinsicht bestünden noch zu Recht. Das Wort Krankheit" sei hier im Gesetz ein Sammelbegriff, unter den auch ein Wochenbett falle. Aber, so sagt das Oberversicherungs­amt in dem Urteil vom 27. Dezember 1915 weiter, die Kasse hat kein Recht, die Auszahlung der Unterstützung von der Nennung des Namens des Kindesvaters abhängig zu machen. Der Eintritt des Versicherungsfalles genügt, um die Kasse zur Leistung zu ver­pflichten. Die Versicherungsgefeße bezweden, die Versicherten vor Not und Sorgen zu bewahren. Dieser Zwed würde vereitelt, wenn die Kassen außer in den im Gesetz vorgesehenen Fällen die Leistungen versagen könnten.

Diese Entscheidung bekämpft zwar die gröbsten Härten in der Praxis mancher Krankenkassen, rührt aber nicht an dem Haupt­übelstand, nämlich der Zulässigkeit der Rückforderung überhaupt. Das ist um so mehr bedauerlich, als gerade erfreulicherweise aus Anlaß des Krieges sonst der Mutterschutz eine neue Anregung be= kommen hat und man sich Mühe gibt, durch Neichswochenhilfe, Säuglingsfürsorgestellen usw. den Geburtenrückgang und die Säuglingssterblichkeit zu bekämpfen. In dieser Zeit ist die hier fri­tisierte Rückforderung einfach unverständlich. Aus Düffeldorf wird von der Zentralestelle für freiwillige Liebestätigkeit berichtet( bergl. Arbeiterversorgung" 1916, Seite 142), daß die Krankenkassen sich von den unehelichen Vätern, selbst wenn sie Kriegsteilnehmer sind, sich einen Verpflichtungsschein unterschreiben lassen des In­halts, daß er die Aufwendungen der Kasse zurückerstatten werde. Bei Ablehnung werde meist die Unterstüßung verweigert. Gegen diesen Unfug müßte mit aller Schärfe eingeschritten werden. Aber eigentlich nicht nur von den Behörden, sondern noch viel mehr von den Versicherten. Das ganze Selbstverwaltungsrecht der Kassen ( auch die Betriebskrankenkassen sollen es besitzen) ist zwecklos und berliert an Ansehen, wenn die Versicherten sich solche Maßnahmen gefallen lassen. F. Kl.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bündel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. tn Stuttgart  .