Nr. 27

Die Gleichheit

durch die Kriegsteuerung ungeheuerlich gestiegenen Preise einen heilsamen Einfluß ausüben." Ob sich die zuletzt ausgesprochene Hoffnung in dem gedachten Umfang erfüllt, ist freilich sehr frag­lich. Denn diese Art Genossenschaften werden ihrem ganzen Wesen nach doch auf das lokale Gebiet und auf den Kleinbetrieb be­schränkt bleiben müssen, wodurch auch ihrer preisnivellierenden Wirkung die Grenzen gezogen sind. Immerhin vermögen sie in diesem Rahmen Ersprießliches zu leisten. Es wird gesagt, daß be­reits 45 000 Frauen in dieser Form in vielen Einzelvereinen ge­nossenschaftlich organisiert sind. Die Genossenschaftsblätter bemer­fen in einer Fußnote, daß die landwirtschaftlichen Frauenvereine ,, nicht unbedenklich und ungefährlich" zu sein scheinen. Sie wollen deshalb auf die Sache zurückkommen.

Die sächsischen Baugenossenschaften haben eine Bauvereinsbank gegründet, die dazu dienen soll, die Tätigkeit dieser Organisationen finanziell zu fördern. Die Bank soll die Aufgaben eines Kreditvereins erfüllen, den Baugenossenschaften Bauvorschüsse verschaffen und dauernde Beleihung unter möglichst günstigen Bedingungen vermitteln. Sie soll ferner bemüht sein, allen Beteiligten: Geldgebern, Handwerkern, Bauausführenden und Lieferanten erhöhte Sicherheit zu bieten, daß fällige Zah= lungen rechtzeitig geleistet und Schädigungen vermieden werden. 42 Vereinigungen haben bei der Gründung ihren Beitritt mit 305 Anteilen und 610 000 Mt. Haftsummen erklärt.

Vor kurzem fand in Leipzig eine Konferenz von Ver= tretern der Konsumvereine des dortigen Bezirks statt, in der man sich mit der Lebensmittelfrage beschäftigte. Die Kon­sumvereine des Leipziger Bezirks repräsentieren gegen 90 000 Mitglieder mit weit über 30 Millionen Mark Umsatz und rund 1700 Angestellten. Der Sekretär des sächsischen Verbandes stellte fest, daß die meisten der sächsischen Konsumvereine über sehr mangelhafte Buteilung von Waren sich beschweren. Der private Kleinhandel wird ihnen gegenüber offenbar start bevorzugt. Dazu und zu der Ernährungsfrage überhaupt wurde schließlich durch Annahme einer langen Resolution Stellung genommen. Man wird diese Resolution wie so viele frühere Eingaben den Behörden übermitteln, und alles wird in der Hauptsache beim alten blei­ben. So war es wenigstens bisher. Die sozialdemokratischen Ver­treter haben in den Wind gesprochen und zumeist für die Papier­förbe in den behördlichen Bureaus gearbeitet. Der Erfolg steht in feinem Verhältnis zu dem Aufwand an Kraft und Zeit für der­artige Bemühungen. Darüber dürfte sich jetzt wohl niemand mehr im unflaren sein, der sich um diese Dinge kümmerte.

Der Reichsverband deutscher Konsumbereine hat sich auf seinem Genossenschaftstag Mitte Juli durch einen Beschluß ebenfalls sehr kritisch zur Ernährungsfrage geäußert. Es wird sehr richtig darauf hingewiesen, daß die Sicherstellung der nötigen Warenmengen nicht genügt, sondern es müßten auch die Preise so gestellt sein, daß der Konsument fie bezahlen fönne. Dr. Müller vom Zentralverbandsvorstand, der bekanntlich im Vorstand des Kriegsernährungsamts in Berlin sikt, ist darüber jedoch etwas anderer Meinung. Er soll erklärt haben und bis her wurde das nicht bestritten-, daß die hohen Preise zum Teil als unvermeidlich hingenommen werden müßten, die Arbeiter könnten sich von den Unternehmern höhere Löhne zahlen lassen. Das wäre in der Tat eine äußerst einfache Lösung der schwieri­gen Frage. Dr. Müller vergaß nur, hinzuzufügen, wie es mit der Kriegsunterstützung der armen Familien gehalten werden soll, die oft erbärmlich niedrig ist. Er ist offenbar auch der Meinung, daß die Arbeiter nur höhere Löhne zu fordern brauchen, um sie be= reitwilligst von den Unternehmern zu erhalten. Denn es ist ihm doch sicher nicht unbekannt, daß der gewerkschaftliche Burgfrieden das Streifen im Kriege nicht zuläßt.

Nach Fest stellungen der amtlichen Statistik gab es zu Anfang des Jahres 1916 im Deutschen Reiche 35 751 in 18 verschiedene Gruppen eingeteilte Genossenschaften. An erster Stelle stehen die 19 619 Kreditvereine, dann folgen mit 4063 die land­wirtschaftlichen Produktivgenossenschaften, weiter 2619 landwirt­schaftliche Rohstoffgenossenschaften, 2289 Ronsumvereine, 2071 landwirtschaftliche Werkgenossenschaften und 1390 Wohnungs­und Baugenossenschaften. Die übrigen Gruppen schwanken zwi= schen 14 und 546. Seit dem Jahre 1910 ist die Zahl der Genossen­schaften um 6314 gestiegen. An Zahl der Mitglieder dürften die Konsumvereine an erster Stelle stehen.

Die gewerkschaftlich- genossenschaftliche Vollsfürsorge hatte zu Beginn des Krieges eine Kriegsversicherungstaffe eingerichtet. Jeder, der sich oder einen Angehörigen als Kriegs­teilnehmer versichert, zahlt einen Betrag von mindestens 5 Mt. in diese Kasse. Wenn der Krieg vorüber und die Zahi der versicherten

197

Toten festgestellt ist, wird das auf diese Weise angesammelte Ka­pital an die Angehörigen der Gefallenen oder infolge des Krieges Gestorbenen entsprechend der Höhe des geleisteten Beitrags ver­teilt. Über den Stand des Unternehmens wird folgendes mitge­teilt: Es sind von den bis jetzt etwas über 50 400 versicherten Kriegsteilnehmern im ganzen wenig über 1000 als tot gemeldet, was einer Sterblichkeit von etwa 2 Prozent entspricht. Dadurch ist die Annahme, daß nicht mehr als 5 Prozent Verluste zu er­warten sind, noch vollauf berechtigt. Bei einem 5prozentigen Ver­lust würden auf einen Anteilschein für 5 Mt. 125 Mt. zur Aus­zahlung gelangen. H. F.

Notizenteil.

Für den Frieden.

Maffenverhaftungen in Italien als Antwort der Regierung auf den Friedensruf. Aus Rom wird dem Vorwärts" geschrieben: Das Parteisekretariat veröffentlicht im Avanti" und in den so­ zialistischen Wochenblättern ein Communiqué, in dem zunächst von der Politik des neuen Kabinetts die Rede ist, die das Sefre­tariat als reaktionär bezeichnet. Es wird auf die Strafan= drohung für Verbreitung des Kientaler Mani­festes hingewiesen, die in Süditalien die Regel bildete, während man es in Nord- und Mittelitalien unbeanstandet ließ. In Süditalien sind sogar Massenverhaftungen wegen dieser Verbreitung vorgekommen. Gegenüber diesem Tat­bestand erklärt das Sekretariat, daß der Parteivorstand allein für die Verbreitung des Manifestes ber= antwortlich zu machen ist, sei es, weil er durch seine Ver­treter in Riental an seiner Abfassung mitgewirkt hat, sei es, weil er es drucken und den Parteisektionen mit der Aufforderung, es zu verbreiten, zustellen ließ. Die Minister des Innern und der Justiz werden darum aufgefordert, sich nach dieser Erklärung zu richten und die wegen Verbreitung des Manifestes in Untersuchungs­haft befindlichen füditalienischen Arbeiter zu entlassen.

Weiter fordert das Communiqué die Sektionen auf, gegen pro­teftionistische Tendenzen in der Handelspolitik Stellung zu nehmen, die drohen, das Proletariat nach dem Kriege wirtschaftlich schwer zu schädigen zugunsten fleiner industrieller und finanzieller Eliquent und zur Förderung der imperialistischen Vorherrschaft gewisser Handelsstaaten".

Siebzig französische Genossen wegen ihrer Überzeugungs­trene verurteilt. Wie amerikanischen Zeitungen gemeldet wird, sind in Frankreich in den letzten Wochen nicht weniger als siebzig An­hänger und Anhängerinnen der Minderheit zu Gefäng­nisstrafen verurteilt worden. Der New York Herald ", ein ententefreundliches Blatt, bemerkt hierzu, die Aktion der Minderheit sei gefahrdrohend für die Regierung. Sie fordere einen sofortigen Waffenstillstand und lege den Kriegsrüstungen alle möglichen Hinder­nisse in den Weg.

Der Nationalrat der französischen Partei und die Minder­heit. Allmählich dringen genauere Berichte hindurch über die Tagung des Nationalrats der sozialistischen Partei in Frankreich . Sie zeigen, daß zwar noch lange nicht von einer Spaltung innerhalb der Reihen der französischen Sozialisten zu reden ist, wohl aber von einem offenen und bereits scharf zugespitzten Kampfe. Sie zeigen vor allem, daß hinter der starken Minderheit der Dele­gierten eine starke und beständig wachsende Opposition im ganzen Lande steht, gegen die die Mehrheitspolitiker sich nicht mehr ganz sicher fühlen. Die Minderheit betrug bei der Tagung des National­rats mehr als ein Drittel( 1081: 1836). Dabei ist zu beachten, daß die Tagung an einem für die Minderheit ungünstigen Beit­punkt stattfand: nämlich als durch die an allen Fronten aufge= flammte Offensive der Ententetruppen die schwankenden Gestalten und unsicheren Kantonisten voll froher Hoffnungen wieder in die Hürde der unentwegt nationalistischen Mehrheit zurückgelaufen waren. Die Zahl der Minderheitsdelegierten im Nationalrat ent­spricht nicht der wahren Stärke der Oppositionsbewegung im Lande. Ganze Provinzorganisationen, Föderationen, sind seit Ostern zur Minderheit übergegangen, bei einem großen Teil an­derer Mitgliedschaften gibt es eine stattliche Minderheit, die es aber zu keiner Delegation brachte.

Angesichts dieser Tatsache hat die Mehrheit versucht, die Minder­heit zu spalten, indem sie die sogenannten Zimmerwalder oder Kientaler bei den opportunistischen Minderheitsmännern um Longuet und Presseman als besonders gefährliche Burschen anzuschwärzen trachtete. Der Unterschied zwischen bei­den Gruppen besteht darin, daß die Kientaler die Pflicht der natio­