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Die Gleichheit
nalen Verteidigung geschichtlich erfassen und im Zeitalter des Jmperialismus ablehnen, daß sie den in allen Ländern international geführten sozialistischen Kampf um den Frieden als wichtigste Aufgabe der Gegenwart anerkennen und demgemäß schon jetzt der Regierung die Kriegskredite verweigern, obwohl ein großer Teil französischen Bodens in den Händen der Deutschen ist. Der größere Teil der Minderheit hat sich noch nicht zu diesem Standpunkt durchgerungen und hält an der Pflicht der Landesverteidigung fest, solange die Integrität Frankreichs durch die Invasion der feindlichen Heere bedroht ist. Sie will trotzdem auf ihre Regierung einen Druck ausüben, damit diese ihre Kriegsziele bekannt gebe und sich zu Verhandlungen bereit erkläre. Sie will vor allem durch VerHandlungen der offiziellen sozialdemokratischen Parteien untereinander die Kluft in der Internationale schließen und so den Völkern einen Weg zur Verständigung weisen. Diese Stellungnahme ist in der Minderheitsresolution festgelegt, die von der Mehrheit verworfen wurde. Wie es scheint, hatte auch die grundsaztreue äußerste Linke durch Brizon eine eigene Resolution im Sinne der Kientaler Beschlüsse einbringen lassen.
Von der Mehrheit waren es hauptsächlich Renaudel und Sembat, die den schroffsten Nationalsozialismus vertraten. Ihr heißes Mühen zeitigte nur das Ergebnis, daß sowohl die oppor= tunistische wie die grundsätzliche Opposition sich gemeinsam und in scharfer Form zur Behre seiten. Die Mehrheit hat sich geweigert, die Minderheit zu den permanenten( ständigen) Kommissionen der Partei zuzulassen. Infolgedessen hat die Minderheit erklärt, daß sie wissen werde, sich Respekt zu verschaffen. Sie werde den" Permanenten" das Leben sauer machen und keine Versammlung vorübergehen lassen, ohne ihren Standpunkt zu vertreten. Bei der nach Absätzen erzwungenen Abstimmung über die Mehrheitsrefolution erklärte die gesamte Opposition, daß sie sich„ als abwesend" betrachte.
Wie zugespitzt die Dinge in der französischen Partei stehen, be= weisen folgende Worte aus der Rede des Ministers Sem bat: „ Es ist nötig, daß die Mehrheit sich endlich dieser Korruption des fozialistischen Geistes widersetzt, die die Minderheit propagiert." Sembat machte der Minderheit den Vorwurf, daß sie von einer außerordentlichen Strenge gegen Frankreich und von einer einfachen Liebenswürdigkeit gegen den Feind ser. Kurz und bündig kam der grundsägliche Standpunkt der„ Kientaler" in folgendem gelegentlichen Zwischenruf des Genossen BI ancs zum Ausdruc: " Ja, wir stimmen nicht für die Kredite, weil es für uns nicht ein sozialistisches Programm für Friedenszeiten gibt, das man in Kriegszeiten in die Tasche steckt."
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Bei der Tagung traten die verschiedenen Richtungen in der Opposition geschlossen gegen die Mehrheit auf. Diese Tatsache bedeutet nicht etwa, daß die Genossen, die auf grundsäßlich internationalsozialistischem Boden stehen, den Gegensatz vergessen hätten, der sie von der opportunistischen Minderheit trennt. Obgleich die„ Kientaler" Opposition flein an Zahl ist, geht sie doch entschlossen und ohne Schwanken ihren Weg. Das beweist ein Schreiben des Genossen Raffin- Dugens, des Abgeordneten vom Departement Isère , an die Zeitschrift De main". Der Genosse schrieb:„ Sie haben mich gebeten, den Lesern Ihrer Zeitschrift die Gesichtspunkte der sozialistischen Minderheit im französischen Barlament darzulegen. Ich danke Ihnen für dieses Zeugnis der Sympathie, das Sie mir hierdurch haben zuteil werden lassen. Leider vermag ich jedoch nicht zu sagen, was meine Kollegen von der Minderheit eigentlich wollen. Sie wünschen eine Wiederaufnahme der internationalen Beziehungen und lehnen doch die Haltung der Männer von Kiental ab. Sie möchten den Krieg beendigt sehen und werden doch morgen die Kredite bewilligen, die es der Regierung ermöglichen, wie in Nanch zu erklären: Wir wollen nicht, daß sie( das heißt die Zentralmächte) uns Friedensvorschläge machen. Wir wollen, daß sie den Frieden von uns erbitten. Wir wollen ihre Bedingungen nicht annehmen. Wir wollen ihnen die unsrigen auferlegen...."
Im französischen Barlament zählt die opportunistische Minderheit 30, die grundsätzliche Opposition 3 Mitglieder. Die drei haben den ruhmvollen Mut besessen, ohne falsche Einschäßung großer und kleiner Zahlen ihrer Überzeugung im Parlament offen Ausdruck zu verleihen. Sie empfanden es, daß sie der Zahl nach zwar ein fleines Häuflein sind, moralisch und politisch aber eine Macht bedeuten, die wachsenden Einfluß in Frankreich erhält.
Revision des Schreckensurteils gegen die schwedischen Friedensmärtyrer. In Nr. 16 und 18 haben wir unsern Leserinnen ausführlich Bericht erstattet über den Kongreß der schwedischen Jungsozialisten und das Schreckensurteil, das das Gericht gegen drei Genossen fällte, die wegen Propaganda für einen Generalstreit
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im Mobilmachungsfalle des Hochverrats angeklagt waren. Nun hat nach vier Monaten das höchste Gericht endgültig entschieden. Die schweren Zuchthausstrafen konnten nicht aufrechterhalten werden. Der Abgeordnete Genosse Hoeglund, gegen den auf drei Jahre Zuchthaus erkannt worden war, wurde statt dessen zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Strafe des anarchosyndikalistischen Redakteurs 2. Dlielund wurde herabgesezt. Genosse Dr. Heden wurde freigesprochen.
Eine Schweizer Friedenspetition. Dem schweizerischen Bundes präsidenten wurde am 4. September vom schweizerischen Sekretär der„ Neutralen Konferenz" eine Boltspetition überreicht, die von Gemeindebehörden und Vereinen sowie von vielen Privaten aus 844 Gemeinden der Schweiz im Namen von 240147 Bürgern und Bürgerinnen unterzeichnet war. Der Bundesrat wird aufgefordert, die Initiative zur Einberufung einer Konferenz neutraler Staaten zu ergreifen, die sobald die Umstände es irgend gestatten den kriegführenden Regierungen ihre Dienste zur Vermittlung anzubieten und einen Waffenstillstand vorzuschlagen hätte. Auch würde die Konferenz die vorbereitenden Maßnahmen treffen zur Einberufung eines allgemeinen Staatentongresses nach Friedensschluß, um auf diesem Wege die Schaffung einer zwischenstaatlichen Rechtsorganisation anzubahnen. Aus 125 Ortschaften der Westschweiz waren zustimmende Kundgebungen eingelaufen.
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Kongreß der englischen Gewerkschaften. Am 4. September wurde in Birmingham der englische Gewerkschaftskongreß eröffnet. Uns interessiert hier vornehmlich die Stellungnahme der englischen Gewerkschaftsführer zur Krieg und Friedensfrage. Von seiten des amerikanischen Arbeiterbundes lag eine Einladung vor, wonach am Drte der Friedensverhandlungen der Mächte ein internationaler Gewerkschaftstongreß tagen soll. Der Stongreß erklärte die Teilnahme deutscher Vertreter der Gewerkschaftsbewegung für unmöglich. Thorne führte aus, nach einem Haager Telegramm des Berliner Tageblatts:„ Eine Beratung über den Frieden darf nicht stattfinden, ehe nicht Deutsch land aus Frankreich und Belgien vertrieben ist. Neunundneunzig Prozent der englischen Arbeiter würden sich gegen die gegenwärtige oder eine andere Regierung erheben, die Frieden schließen würde, ehe das geschehen ist." Daß Thorne mit seiner Einschätzung der englischen Arbeiter durchaus nicht im Sinne der gesamten Konferenz sprach, zeigte die erregte Debatte, die mun folgte. Der ameri kanische Vorschlag wurde mit 1486000 Stimmen gegen die Vertreter von 723000 Stimmen abgelehnt. Wenn man annimmt, daß bei dieser Abstimmung eine reinliche Scheidung zwischen Sozialpatrioten und Friedensfreunden eintrat, so haben die letzteren immerhin eine stattliche Drittelminderheit. Ein Beweis, daß auch in den sonst national verseuchten englischen Gewerkschaften die Friedensbewegung auf dem Vormarsch ist. Zu dem amerikanischen Vorschlag selbst nur so viel: Es leuchtet nicht ein, was ein internationaler Arbeiterkongreß zu gleicher Zeit und am gleichen Orte mit dem Kongreß der Diplomaten erreichen soll? Viel wichtiger ist, daß in den einzelnen Ländern selbst die Arbeiterklasse einen starken und geschlossenen Einfluß auf ihre Regierungen ausübt, und zwar noch ehe die Dinge so weit sind, daß die Diplomaten zusammentreten. Fehlt das kräftige proletarijche Auftreten zu Hause, so ist auch der glänzendste internationale Arbeiterkongreß ein wirkungsloses Marionettentheater, dessen Forderungen und Beschlüsse mit einigen höflichen Worten abgetan werden. Die sozialistische Internationale beruht eben nicht in Instanzen und Kongressen, sondern auf der internationalen Gesinnung und dem klaren Willen zum Sozialismus in den Massen des arbeitenden Volkes in allen Ländern.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
Die sozialistische Frauenbewegung in der Schweiz macht trotz der schweren Zeiten gute Fortschritte. Am 9. und 10. September hat in Dlten der Delegiertentag des Schwei zerischen Arbeiterinnenverbandes stattgefunden. Die dem Verband angeschlossenen größeren Arbeiterinnenvereine haben im letzten Jahre einen erfreulichen Mitgliederzuwachs erhalten. Die von den Genossinnen entfaltete und unterstützte Agitation unter den Frauen des arbeitenden Volkes trägt gute Früchte. Dafür ein Beispiel. Etwa 3000 Frauen marschierten in dem Zug, der die Sympathiekundgebung der Bü= richer Arbeiterschaft für die Sozialisten abschloß, die in den verschiedenen Ländern für die Ideale des internationalen Sozialismus mutig und opferbereit wirken. Der Zug umfaßté gegen 20 000 Teilnehmer. Die Frauen sind recht zahlreich in den Versammlungen bertreten, die sich mit der Teuerung beschäftigen, die die düstersten Schatten über das Leben der schwei