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Die Gleichheit

,, Stimmen Sie unserem Antrag auf Aufhebung des Belage­rungszustandes zu und helfen Sie damit Zustände mit Stumpf und Stiel ausrotten, die eine Schmach und Schande für den deutschen   Namen find." Der Antrag der Sozialdemo­kratischen Arbeitsgemeinschaft wurde abgelehnt. Ein Kurpfuschermittelchen, so meint man, wird die beklagten und verurteilten Übel heilen. Einstimmig gelangte der Gesezentwurf der Kommission zur Annahme, der die Schuzhaft regeln und mildern soll. Als Vorsitzender der Kommission und in ihrem Auftrag richtete Genosse Scheidemann   die dringende Auf­forderung an die verbündeten Regierungen, so schnell als möglich Stellung zu diesem Gesetz zu nehmen und ihre Zu stimmung dazu zu geben". Aber schon diese Mahnung des getreuesten Eckard der Regierung Bethmann Hollweg   läßt den starken Zweifel durchblicken, daß der Wille des Reichstags zur Tat werde.

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Zur Behandlung der brennenden Zensurfrage brachte der Reichstag   nicht einmal mehr das energische Wort und die stürmende Geste auf, wie bei den Verhandlungen über die Schutzhaft. Große Heiterkeit" hatte im allgemeinen die fitt­liche Entrüstung über schreiende Vergewaltigung der Preß­und Meinungsfreiheit abgelöst. Einen besonderen Zug erhielten die zweitägigen Zensurdebatten durch den Akt der Notwehr, daß Genosse Stadthagen   mit anderem Anklagematerial auch den Vorwärtskonflikt auf die Reichstagstribüne tragen mußte. Mußte, weil Belagerungszustand und Zensur den Hinterhalt schufen, aus dem der Parteivorstand gegen die oppofitionelle Redaktion hervorgebrochen ist; mußte, weil Belagerungszustand und Zensur keinen anderen Weg zur Aufklärung des Tat­bestandes offen ließen. Auch zur Zensurfrage wäre das nötige parlamentarische Wort die Forderung nach Aufhebung des Belagerungszustandes gewefen. Der Reichstag   hat es nicht gesprochen. Er überwies die entsprechenden Anträge zusammen mit einer Vorlage zur gesetzlichen Reglung des Belagerungs­zustandes einer Kommission. Für die Zwischenzeit verlangt er die Einsetzung einer militärischen Beschwerdeinstanz.

Die Bremer Bürgerzeitung" vom 2. November faßt das Ergebnis der Verhandlungen über Schutzhaft und Zensur also zusammen: Wer lebt des Glaubens, daß es jetzt zu Ende sei mit alle dem, was Belagerungszustand und Zensur uns in über zweieinviertel Jahren des Weltkriegs gebracht? Wer kann wirklich glauben oder glauben machen wollen, die

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fetzlich zur Zahlung von Zuschlägen zu verpflichten, die zur Behebung der Bedürftigkeit notwendig sind". Die Krieger­frauen wissen aus bitterer Erfahrung, daß diese Formel auf ein goldenes Nichtschen in einem silbernen Büchschen hinaus­laufen dürfte. Die Regierung aber hat auf des Reichstags bescheidenes Begehren mit einer ungenügenden Erklärung" erividert. Traurig muß das sogar ihr hoffnungsfreudiger Knappe, Genosse Scheidemann  , rügen. Wesensgleich liegen die Dinge in Betreff der Ernährungsfürsorge. Knappheit und Teuerung aller Mittel des Lebensbedarfs zeugen blutiges Elend. Der Reichstag   nahm wie mehrmals schon in breitspurigen sachverständigen" Beratungen und Anregungen mit aufgeblasenen Backen einen großen Anlauf, um Preis­wucher, künstlicher Entblößung der Märkte, Bevorzugung der Begüterten entgegenzuwirken. Allein der große Ansatz endete wieder in einem kraftlosen Herumhüpfen vor dem Ziel. Die Regierung aber wird nicht über den Zaun helfen, sondern umgekehrt von ihm zurücktreiben. Die treuherzigen Versiche­rungen des Lebensmitteldiktators sagen darüber genug. Horn­berger Schießen!

Der Reichstag   ließ sich jedoch nicht heimschicken, ohne zwei positive Leistungen" vollbracht zu haben. Mit der Ablehnung des Antrags, der die Enthaftung des Genossen Liebknecht  forderte, lieferte er zum zweiten Male die Immunität seiner Mitglieder an die Militärdiktatur aus. Er bewilligte mit zwölf Milliarden die sechsten Kriegskredite. Die sozialdemo kratische Mehrheitsfraktion fand sich bei dieser positiven Leistung in alter, schöner Harmonie mit den bürgerlichen Parteien zusammen. Wie schon gewohnheitsmäßig auch ohne den Aufwand einer neuen Begründung. Nur die Sozial­demokratische Arbeitsgemeinschaft störte den brüder­lichen Chor durch ihr Nein, eine Erklärung und Genossen Bernsteins Rede. Die positive Leistung des Zwölfmilliarden­kredits und das Hornberger Schießen gehören zueinander wie zwei Afte eines Schauspiels, dessen Verfasser und Regisseur der imperialistische Kapitalismus   ist. Bis die erwachten Massen mit klarem, kühlem Blick, Erkenntnis zum Willen und Willen zur Tat werden lassen, wird der Parlamentaris­mus immer ausgeprägter die Wesenszüge des Hornberger Schießens tragen.

Reichsregierung werde nun ganz sicher für Abhilfe sorgen? Die Erklärung der Arbeitsgemeinschaft

Was über die Scheußlichkeiten der Schußhaft oder über das Unerträgliche der Zensur gesagt worden ist, gehöre von nun an der Vergangenheit an, werde sich niemals wiederholen? Ein Heuchler oder Narr der, der es glauben möchte; ein kompletter Narr ganz sicher, der das glauben würde!" Horn­berger Schießen!

Der Reichstag   hatte sich mit noch anderen Begleiterschei nungen des Krieges zu beschäftigen. Beide sozialdemokratischen Fraktionen riefen ihn auf, wirksamer der Not breitester Bolts­massen zu steuern. Die sozialdemokratische Mehrheits­fraktion hatte beantragt, die Unterstützung der Krieger­familien zu erhöhen. Der Unterstützungssatz sollte monatlich mindestens 20 Mr. für die Frau, 10 Mt. für jeden anderen unterstützungsberechtigten Angehörigen betragen. Die Ge­meinden und Gemeindeverbände sollten verpflichtet sein, an­gemessene Zuschläge zu zahlen, die mindestens 50 Prozent der angegebenen Sätze betragen müßten. Die Sozialdemo­tratische Arbeitsgemeinschaft heischte mehrere Verbesse­rungen bei der Anwendung des Unterstütungsgesetzes, dar­unter die Aufhebung des harten Paragraphen, daß den Fa­milien von Eingezogenen die Unterstützung entzogen wird, wenn der Soldat eine Gefängnisstrafe von mehr als sechs Monaten zu verbüßen hat. Der Reichstag   lehnte alle diese Anträge ab.

Ein Scherflein nur fiel in die Hand der darbenden Krieger­frauen und-finder. Eine Resolution, in der der Reichskanzler ersucht wird, die Unterstügungsfäße im Sinne" des sozial­demokratischen Antrags zu erhöhen und die Gemeinden ge­

zu den Kriegskrediten.

Nach dem Reichstagsbericht des Vorwärts" hat Genosse Bernstein   im Namen der Sozialdemokratischen Arbeits­gemeinschaft diese Erklärung verlesen:

Die Stellung der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft zu den geforderten Kriegskrediten ist bestimmt durch ihre Stel­lung zum Kriege selbst, zur Politik, die ihn herbeigeführt hat, und zur Politik, die ihn fortdauern macht. Wir sind grund­sägliche Gegner dieses Krieges, wie wir grundsätzliche Gegner aller Kriege find. Denn alle Kriege haben in unseren Tagen Klasseninteressen und Klassenvorurteile der Herrschenden und Besigenden zur Ursache. Konflikte zwischen den arbeitenden Klassen verschiedener Länder, die zu ihrer Austragung dieses brutalen Mittels bedürfen, sind eine Undenkbarkeit. In feinem Lande. hat am Vorabend dieses Krieges die Arbeiterklasse nach ihm verlangt, in allen hat die Sozialdemokratie bis zur letzten Stunde mit Leidenschaft sich gegen ihn aufgelehnt. Wenn er trotzdem hereingebrochen ist, so hat das überwiegen von Interessen, Einrichtungen und Auffassungen, die wir als verderblich auf das entschiedenste bekämpfen, den Entscheid dafür gegeben. Diese Interessen und Auffassungen: das im­perialistische Streben nach Machtausbreitung, die kapitalistische Sucht nach Ausbeutungsmonopolen, ein nationalistischer Dünkel und der Militarismus mit seinen veralteten Ehrbegriffen lassen trotz all der furchtbaren Erfahrungen und Opfer dieses Krieges es zu keinen Friedensverhandlungen, geschweige denn zu einem Friedensschluß kommen. Zu ihnen gefellt sich als Feind des