Nr. 6

27. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichbett erscheint alle vierzehn Tage einmal. Prets der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft viertelfährlich obne Bestellgelb 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.

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Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart 22. Dezember 1916

Weihnachten. Frauen in der städtischen Verwaltung. Von f. i.- Die Zulassung von Frauen in städtische Körperschaften. Von M. W. -Aus der Bewegung: Eine Konferenz von württembergischen Genoffinnen. Politische Rundschau. Gewerkschaftliche Rund­schau. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Aus dem öffentlichen Leben. Sozialistische Frauen­bewegung im Ausland. Soziale Gesetzgebung.

Weihnachten.

Zum dritten Male singen die Weihnachtsglocken ihr Lied in die Lüfte, während die Menschheit unter dem entsetzlich­Sten Kriege blutet, den die Geschichte bis jetzt fennt.

Friede auf Erden und allen Menschen ein Wohlgefallen! Klingt es nicht wie bitterster, kaum zu fassender Hohn, da der fromme Schall von dem höllischen Getöse des Trommel feuers, von dem Krachen berstender Bomben und Granaten verschlungen wird, von den Todesseufzern Tausender, die sterben, von dem Wimmern und ächzen Zehntausender, die verwundet in den Schüßengräben und auf freiem Schlachtfeld zusammenbrechen. Friede auf Erden! über der Erde lagern dichte Wolken von Blutdunst, über sie zieht Brandgeruch und Verwesungshauch. Die sogenannten Kulturvölker zermartern ihr Hirn, spannen ihre Energie aufs höchste an, um möglichst erfolgreich in Massen zu töten und zu vernichten oder um Werkzeuge und Hilfsmittel herzustellen, die diesem Zwecke dienen.

Allen Menschen ein Wohlgefallen! Der Schmerz von Wit­wen und Waisen, von Eltern, Geschwistern, Bräuten, Freun­den schluchzt im stillen Kämmerlein oder schreitet im Trauer­gewand stumm und scheu an uns vorüber. Derweilen der Weltkrieg mit erzener Gleichgültigkeit ungezählte, unge­messene Güter zerstampft, gebricht es den Völkern, nament­lich in den kriegführenden, aber auch in den neutralen Län­dern immer mehr an des Leibes Nahrung und Notdurft. Mangelnder Lebensbedarf, Teuerung, Wucher greifen mit harter Faust in die Existenzverhältnisse ein. Nützliche Ge­werbe liegen still, die Rüstungsindustrien blühen und kön­nen den Bedarf kaum decken. Darbende, Arbeitslose, der Über­bürdung Erliegende, Kranke, Verzweifelnde auf Schritt und Tritt. Dieser Krieg, der das Riesengeschöpf der kapitalistischen Ordnung ist, hat alle Widersprüche, alle Gegensäße, alle Ge­brechen, alle Leiden dieser Ordnung riesenhaft gesteigert.

Die Friedensbotschaft der christlichen Weihnachtsglocken hat nie so laut über den Erdball geflungen wie der Geschütz­donner des imperialistischen Weltkriegs. Und sie schweigt nun vor seinem Dröhnen. Der Weltkrieg kündet die Ohnmacht der religiösen Ideologie des Christentums, der großen Ideo­logie der Vergangenheit, die fast 2000 Jahre im Leben der Kulturvölker des Westens wirksam gewesen ist. Es gibt kein christliches Ideal, es gibt kein Gebot des Christengottes, das nicht durch den Krieg in den Staub getreten, entwertet wor­den wäre. Die durch und durch weltliche Ideologie des fapi­

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.

talistischen Nationalstaats hat über die religiöse Ideologie des internationalen Christentums, der allgemeinen Gottes­findschaft gesiegt. Der Nazarener ist dem Cäsar unterlegen. Der Klarste Ausdruck dieser geschichtlichen Tatsache sind die tiefempfundenen Mahnungen des Papstes zum Frieden, Mahnungen, die die Regierenden auch der Kirchengläubigsten Staaten als schöne Gefühlsäußerungen beiseite geschoben haben, und die nicht einmal die ausgesprochen nationale Kampfesstellung der Kardinäle und Erzbischöfe in den ein­zelnen Ländern zu zügeln vermochte. Das Schwert war stär­fer als das Kreuz.

Allein die Ideologie des kapitalistischen Nationalstaats hat im Weltkrieg auch über die große sozialistische Ideologie der Zukunft triumphiert. In allen Ländern hat sie an den Streit­magen des Imperialismus das Proletariat gespannt, das als sein eigener Messias sich selbst und die gesamte Mensch­heit erlösend die uralte, ewig junge Sehnsucht erfüllen soll nach Frieden auf Erden und allen Menschen ein Wohlgefal­len. Der Sozialismus holte das hehre Ideal der Menschen­liebe, der Menschheitseinheit aus den himmlischen Höhen der Gotteskindschaft herab auf die festgegründete, dauernde Erde, er stellte es auf die martigen Knochen der internationalen Solidarität der Arbeiter aller Länder. Was ist im Weltkrieg aus diesem Ideal geworden? Im Namen der Nationalität töten die Proletarier der verschiedenen Länder einander. Die sozialistische Ideologie ist für viel zu viele nichts als totes Lippenbekenntnis, feine Macht, die in der Seele lebendig wirksam eine tat- und opferbereite Gesinnung schafft, die einen starken Willen zur starken Tat reifen läßt. Die alte Internationale starb, kaum daß die ersten Flintenschüsse an den Grenzen gewechselt worden waren, sie verröchelte, als die deutschen und französischen Sozialdemokraten die Kriegs­fredite bewilligten. Einem blassen Stern im Nebel gleich schwand das Ideal: Friede auf Erden, allen Menschen ein Wohlgefallen.

Jedennoch: Sie töten nicht den Geist!" Das mörde­rische Ringen auf den Schlachtfeldern, die Fesseln des Belage­rungszustandes, die schönen Nedensarten des Burgfriedens, die falschen Gedanken und Worte der Umlernenden": all das ist außerstande, auf die Dauer die internationale Soli­darität der Arbeiter aller Länder zu sprengen. Denn diese Solidarität ist mehr als ein erhabenes Hirngespinst, sie ist eine muskulöse Wirklichkeit, die aus dem Kapitalismus selbst erwächst. Das Fortleben der sozialistischen Internationale kündet sich auch unter dem Sturm und Graus des Weltkriegs an. Nicht etwa in dem hohlen Klappern des alten Apparats der Internationale, vielmehr in der Betätigung internatio­naler Gesinnung. Die sozialistische Internationale lebte in der Sozialistischen Frauenkonferenz zu Bern , die führende Genossinnen aller kriegführenden Länder vereinigte; sie lebte in den internationalen Konferenzen zu Zimmerwald und Stiental; sie lebt in der wachsenden Opposition gegen die na­tionalistische Haltung der offiziellen Sozialdemokratie in Frankreich , Deutschland und anderen Ländern; sie lebt in der