134

Die Gleichheit

Als schließlich der Schuß unehelicher Kinder, ebenfalls auf besonderes sozialdemokratisches Drängen, zu ausführlicher Be­handlung kam, stießen wir auf alte Männerborrechte in unheim­licher Häufung und voll bewußter Brutalität: auf die einseitige gesellschaftliche Achtung der unehelichen Mutter, aber nicht des unehelichen Vaters, auf die unglaublichen Prozeßschikanen, die zum Schuße der Väter gegen die Ansprüche der unehe­lichen Mutter noch verbrieftes Recht" sind, auf die mangel­hafte Fürsorge für uneheliche Kinder und den ganzen Ratten­schwanz von Mißständen, unter dem diese armen, herumge­stoßenen Wesen zu leiden pflegen. Hier fanden wir mit unserer Atritit im Interesse der außerehelich gebärenden Mutter und ihres Kindes verhältnismäßig das meiste Verständnis bei den bürgerlichen Parteien. Es tamen eine ganze Reihe Reform beschlüsse einstimmig zustande, die in der ersten Nummer der " Gleichheit"( Nr. 18) unter der neuen Redaktion mitgeteilt worden sind. Nur ist leider noch nicht aller Tage Abend. Es handelt sich überall bei unseren Beschlüssen erst um Kommis­sionsentscheidungen, die noch vom Plenum des Reichstags und von der Regierung gutgeheißen werden müssen. Und da sie vor dem Herbst kaum zur Plenarberatung kommen und dann wieder neue Einsprüche auszuhalten haben werden, ist es noch lange nicht sicher, was von ihnen wirklich Gefeß wird. Aber eben deshalb sollte die Reichskonferenz der sozialdemo­fratischen Frauen Deutschlands   sich mit ihrem Inhalt und ihrer Tragweite möglichst genau bekanntmachen und ihre Kenntnis hinaustragen in die Reihen der Frauen, die von ihrer beispiel­losen Kriegsarbeit und von uns Befreiung erhoffen. Wir sollten die ganze proletarische Frauenwelt mit flarem Bewußtsein davon erfüllen, um was es sich hier für sie dreht, um ein neues soziales Frauenrecht, und wir sollten sie hinter die Kom­missionsbeschlüsse zu stellen suchen, damit das Mindestmaß von Fortschritt, das wir erkämpft haben, durch ihre Unter­stützung durchgesezt und vor Abstrichen geschützt wird.

Die heilige Allianz der Völker. Ich sah den Frieden jüngst herniedersteigen, Er streute Blumen rings und lichtes Gold; In allen Tälern schlief ein holdes Schweigen, Wo eben noch des Krieges Sturm gegrollt. " Erwacht!" so klang's von seinem Göttermunde, ,, Erwacht vom Ebro zu der Wolga   Strand! Schließt eure Reihn zum großen Völkerbunde, Reicht euch die Bruderhand!" Hellenen, Ruffen, Italiener  , Briten  , Erwacht, es naht die große Stunde nun! Ihr Söhne Deutschlands   habt genug gestritten, Und ihr, Franzosen, laßt die Schwerter ruhn! Ihr alle blutet an derselben Wunde! Zerbrecht die dumpfe Kette, die euch bannt! Schließt eure Reihn zum großen Völkerbunde, Reicht euch die Bruderhand!

Ruhm jedem Edlen, der die Freiheitsfahne Im Dienst des Friedens segensvoll erhebt! Tod dem Eroberer, der im Fieberwahne, Was Gott   geeinigt, zu zerreißen strebt! Stürzt ihn hinab zum tiefsten Höllenschlunde, Werft seine Burgen praffelnd in den Sand! Schließt eure Reihn zum großen Völkerbunde, Reicht euch die Bruderhand!

Hold zu der Auferstehung Morgenfeier Ertöne des Gesetzes Melodie!

Baut eure Fluren bei dem Klang der Leier, Fromm an der Hand der Liebe erntet sie. Im Licht des Friedens heilt die letzte Wunde, Zum Himmel wird der Erde stilles Land: Schließt eure Reihn zum großen Bruderbunde, Reicht euch die Bruderhand!

Béranger( überseht von Chamisso).

о

Politische Umschau

Nr. 20

0

Die leisen Friedenshoffnungen, die sich an den Sturz des Zaris­mus und an die Verhandlungen der sozialistischen Internationale in Stockholm   geknüpft haben, sind durch das Gebrüll der Ge­schüße und das Krachen der Bomben nicht minder übertönt worden wie durch das heisere Geschrei der Kriegshezer aller Länder. Der Jammer der Frauen, Mütter und Schwestern tommt in diesem Ge­töse überhaupt nicht auf. Der durch die deutschen   Sozialdemo traten für die Stockholmer   Verhandlungen ausgearbeitete Friedens­vorschlag, der nicht nur dem Wüten dieses Weltkriegs ein schnelles Ende bereiten, sondern jeden Krieg für die Folge verhindern würde, ist von der Kriegspresse Frankreichs  , Englands und Ameritas mit Hohn aufgenommen worden; die Gewalthaber dieser Länder lehnen nach wie vor den von den Russen geforderten, von den deutschen  und österreichischen Sozialdemokraten befürworteten Frieden ohne

Eroberung und Kriegsentschädigung ab; sie bestehen darauf, Deutsch­ land  

in die Knie zu zwingen, und wollen darum das Völkermorden noch ein oder zwei Jahre weiterführen.

Bei all dem Elend und bei allem innigen Mitgefühl mit den anderen darf das deutsche   Volk sich dennoch glücklich schätzen, daß es nicht auch noch den Krieg im eigenen Lande hat. In einem jetzt vom Papste erlassenen Aufruf für das russische Litauen   finden wir die folgende Schilderung: Das ständige Vor- und Rückwärts­strömen der kämpfenden Heere hat fast alles dem Erdboden gleich­gemacht, Hunderte von Dörfern, große blühende Städte, mehr als 400000 heimische Herde. Ganze Gebiete sind buchstäblich zur Wüste geworden. Ein Teil der Bewohner, eine halbe Million, wurde nach Berlust aller Habe in entlegene russische Gebiete, ja bis nach Si­ birien   verschleppt, um dort ein jämmerliches Dasein zu führen. Die Glieder ein und der nämlichen Familie wurden vielmals ausein­andergerissen; die Eltern haben in dem Wirrwarr oft ihre Kinder verloren; mehr als 500000 Familien sind in die Ferne versprengt oder gar dem Untergang anheimgefallen. Die Zurückgebliebenen, denen alles von den Heeren fortgenommen wird, leiden bitterste Not, sie hausen zahlreich in Erdlöchern.

Auch die Bevölkerung in der Nähe der westlichen Kampffronten hat unter dem Kriege, nicht zuletzt durch die fürchterlichen Flieger­angriffe, entseßlich zu leiden. Bis nach Freiburg  , Karlsruhe  , Stuttgart  , Trier   kommen die feindlichen Flieger. Unvergessen bleibt, daß vor Jahresfrist ein englisch  - französisches Geschwader aus 3000 Meter Höhe eine Bombenlast auf eine Zirkuswiese in Karlsruhe   herab­fallen ließ, wobei mehr als hundert spielende Kinder zerfetzt oder für ihr weiteres Leben zu Krüppeln gemacht wurden. Kürzlich unternahmen deutsche Flieger einen Angriff auf die militärischen Anlagen der Festung London  , wobei 25 Männer, 16 Frauen und 26 Kinder getötet, 223 Männer, 122 Frauen und 24 Kinder verwundet wurden.

Erst eine spätere Zeit wird die Menschheit wieder befähigen, die Schreden und Greuel des Weltkriegs, der bisher wohl schon sieben Millionen Männer gemordet und fast ebenso viele zu Krüppeln ge= macht hat, in ihrer ganzen wahnsinnigen Grausigkeit zu ermessen. Wenn nicht baldigst die Vernunft wieder zur Herrschaft kommt, wird ganz Europa   nur noch teils Lazarett, teils Leichenacker sein. Viel hängt von der Haltung des russischen Arbeiter- und Soldatenrates ab, der sich bisher noch nicht von den französischen  und englischen Sendboten für deren Erobererpolitik hat breitschlagen lassen, vielmehr verlangt, daß die Westmächte ihre Kriegsziele einer erneuten Prüfung unterziehen. Zwar sagt der Arbeiter und Sol­datenrat, daß auf der zu diesem Zwed einzuberufenden Konferenz die Verpflichtung, feinen Sonderfrieden einzugehen, nicht besprochen werden soll; aber die Gefahr, daß Rußland   dennoch schließlich zu einem Sonderfrieden schreiten könnte, wenn die Westmächte bei ihrem Eroberungs- und Zerschmetterungsprogramm beharren, bleibt als Drudmittel Rußlands   gegen seine Verbündeten bestehen.

Vorläufig hat aber der Krieg durch die Hineinziehung Griechen­ lands  , dessen neutralen König die Westmächte abgesägt haben, eine neue Erweiterung erfahren, und in Spanien   arbeitet man mit Hoch­druck gleichfalls auf eine Beteiligung am Kriege zugunsten Eng­lands und Frankreichs   hin.

Bei uns im Lande wanken zwar keine Throne, wohl aber wanten deren angeblich zuverlässigste Stüßen. Der konservative Politiker Dr. Thimme wirft seinem Parteifreunde, dem fonservativen Führer Dr. v. Heydebrand, vor, seine Politik lasse dieser Partei nur noch die Wahl: Bruch mit der Krone oder Unterwerfung der Krone unter Heydebrands Willen! Die Junker Ostelbiens haben der Mon­archie gegenüber stets auf dem Standpunkt gestanden: Und der König absolut, wenn er unsern Willen tut!