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Die Gleichheit

erwerbsarbeit zu denken. Worauf sie zurückzuführen ist, kann hier jetzt nicht untersucht werden. Es dürfte auch schwierig sein, sich gegenwärtig erschöpfend darüber zu äußern. Die allgemeinen Kriegsnöte und verhältnisse, der Mangel an genügend Funktionären, die Tatsache, daß die Frauen an und für sich sehr schwer zu organisieren und in der Organi sation zu halten sind, mögen hierbei eine Rolle spielen. Ein­zelne Gewerkschaften werden auch besonders vor dem Kriege gerade dieser Frage nicht jene Bedeutung beige

legt haben, die ihr zufommt.

Die besonders starke Zunahme der Frauenerwerbsarbeit während des Krieges hat natürlich auch zum Teil besondere Kriegs ursachen. Fallen diese wieder weg, so wird auch ein Teil der gegenwärtig arbeitenden Frauen sich aus dem Erwerbsleben wieder zurückziehen. Aber die allgemeine Zunahme der Frauenarbeit bleibt trotzdem bestehen. Sie wird wahrscheinlich nach dem Kriege in noch weit stärkerem Maße zu beobachten sein als vorden, da mehr und mehr nicht nur die jungen Mädchen infolge der geringeren Hei­ratsmöglichkeiten, sondern auch die Frauen in den minder­bemittelten Familien infolge der gesteigerten Unterhalts­fosten mehr als je auf Erwerbstätigkeit angewiesen sind.

Daraus ergibt sich für die Zukunft die zwingende Not. wendigkeit für die Arbeiterorganisationen, auf die Or­ganisierung der Arbeiterinnen das größte Gewicht zu legen. Hand in Hand damit muß eine planmäßige Aufklärungs- und Erziehungsarbeit des weiblichen Proletariats gehen, die sich ganz besonders den jüngeren Schichten widmen muß.

Nach dieser Richtung betätigt sich gegenwärtig vor allem die freie Jugendbewegung, die ungefähr zu einem Drittel weibliche Anhänger zählt. Während des Krieges hat - wie aus vorliegenden Berichten hervorgeht- das Inter­esse der jungen Mädchen für die Veranstaltungen der Jugendbewegung erheblich zugenommen. Was den jungen Mädchen hier geboten wird, ist nicht nur für sie und ihre geistige Entwicklung allein von Bedeutung, sondern es kemmt der gesamten Arbeiterbewegung zugute und muß

Solche Festungen wird die Zukunft nicht mehr kennen. Sie sind wertlos geworden wie einst die Raubritterburgen, als das Pulver die Kugeln von unten her in sie hineinschickte. Und wie eine alte Ritterburg auf ragender Zinne den Wanderer lockt und ihm, wenn er zu ihr kommt, von längstvergangenen Zeiten und ihren Krie­gen erzählt, so wird der Trümmerhaufen Givet   für die späteren Geschlechter ein Stück lebendiger Geschichte sein.

Dann möge der salle de lecture   bleiben, wie er ist: ein niedri­ges, verräuchertes Zimmer. An den Wänden noch die Spuren der Regale, auf denen die Bücher standen, die den Soldaten in ein­samen Stunden die Zeit verkürzten. In der Ecke noch der Kamin mit erloschenem Feuer. Als wären die französischen   Soldaten erst gestern abend aufgescheucht worden und hätten vergessen, frisch nachzulegen. Und dort, unter Schutt und Schmutz ein blauer Ärmel mit roten Aufschlägen! Givet   ist schon zu Anfang des Krie­ges gefallen, als die Franzosen   noch ihre bunten Uniformen tru­gen. Wie hat der Soldat seinen Ärmel verloren? Ist er ihm im fürchterlichen Handgemenge ausgerissen worden? Oder hat er den Arm mitsamt dem Ärmel verloren und ist er selber einer von den vielen, die unter den Steintrümmern ruhen? Und deren Gebeine erst nach Jahren oder nie wieder aufgefunden werden?

Der vogtländische Landsturmmann, der den Wanderer auf den Ruinen begleitet, erzählt am hellen Tage halb flüsternd von dem Grausigen, das unter den Steinmassen verborgen sein mag. Wie wird ihm erst nachts auf einsamem Patrouillengang zumute sein, wenn der Sturm zerrissene Nebelfezen heulend durch die bleichen Ruinen jagt! Auch die Steintrümmer mit den drei Betten mögen so bleiben, wie sie sind. Sie erzählen eine traurige Geschichte. Ein Korporal wohnte dort. Mit Weib und Kindern. Zwei kleine Betten aus Me­talldraht liegen umgestürzt in der einen Ecke, ein blau ladiertes und ein braun lackiertes. In dem blauen schlief die kleine Gabriele, in dem braunen der kleine Pierre. Was wußten sie von Krieg und

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ihr in Zukunft noch weit mehr nußbar gemacht werden. Dazu gehört freilich, daß die erwachsenen Frauen und die Arbeitereltern sich nach Kräften der Jugend­bewegung annehmen und diese unterstügen, indem sie die jungen Mädchen auf deren Veranstaltungen und Einrich­tungen aufmerksam machen.

So wird gegenwärtig eine eifrige Agitation unter den jungen Mädchen betrieben. Die Nr. 11 der Arbeiter­Jugend", unseres vortrefflichen Jugendorgans, das auch die Interessen der weiblichen Arbeiterjugend nachdrücklich ver­tritt, ist zu diesem Zwecke als besondere Mädchennummer" erschienen. Möge auch von unseren Genossinnen und den Leserinnen der Gleichheit" nach Kräften dazu beigetragen werden, daß die Arbeiter- Jugend" unter den jugendlichen Arbeiterinnen zahlreiche neue Leserinnen findet. Damit leisten wir wertvolle Arbeit nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft, für die Heranziehung über­zeugter Mitkämpferinnen in der modernen Arbeiterbewe­Richard Weimann. gung!

Vom Fortgang des Frauenrechts

Die Petitionskommission des Reichstags beschäftigte sich in ihrem 51, und 60. Bericht mit Petitionen, die das Frauenwahl­recht zum Gegenstand haben. Im Auftrag der Mitgliedervereine des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes beantragen Anita Augs­ purg   und Lida Gustava Heymann  : nach Beendigung des Krieges den Frauen das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht zum Reichstag zu verleihen. In der Begründung wird ausgeführt, daß die Zeit nach diesem welt­erschütternden Kriege jeden Staat mehr denn je vor die unabänder= liche Notwendigkeit stellt, alle zur Verfügung stehenden Kräfte zum Vorteil des Staates auszunußen, der Gesamtheit dienstbar zu machen. Zur besten Entwicklung aller Fähigkeiten sei in erster Linie die politische Befreiung aller mündigen Staatsangehörigen notwendig. Aus der Geschichte sei die Lehre zu ziehen, daß jedes­mal, wenn politische Rechte auf einen größeren Teil Rechtloser übertragen wurden, das politische Leben einen mächtigen Auf­schwung genommen habe. Dem politischen Aufschwung sei nach wenigen Jahrzehnten ein erstaunlicher kultureller Fortschritt ge­

Mord und Totschlag! Sie schliefen wie immer. Aber nebenan in dem breiten Bett wälzte sich unruhig die Mutter. Und als das große Krachen begann und der Korporal in schrecklicher Aufregung hereinstürzte, da ergriffen sie beide ihre schlaftrunkenen, weinen­den Kinder und folgten dem flüchtenden Haufen durch die unter­irdischen Gänge und Kanäle. Bis an den rettenden Eisenbahnzug. Klein- Gabriele und Klein- Pierre, wo seid ihr geblieben? Lebt ihr noch irgendwo? Eure Betten, in denen ihr eure ersten Kinder­träume spannet, liegen wüst, mit zerrissenen Matraßen in dem Trümmerfeld Givets!

Gut, daß es unseren Kindern nicht so ergangen ist," sagt auf­Ernst Alms Ioh. atmend der erzgebirgische Landsturmmann.

Rosenzeit.

Wenn die wilden Rosen blühn

An des Feldes Rand, Frischgemähtes Wiesengrün Duftet durch das Land, Wenn in stillen Waldesgründen Sich die roten Beeren ründen Und die Sommerzeit verkünden, Wenn der Himmel braut so weit, O du schöne Rosenzeit!

Hell und warm ist nun die Nacht, Länger wird der Tag, Daß er all der Schönheit Pracht In sich fassen mag.

Frühling ist noch nicht gegangen, Sommer hat schon angefangen, Beide hold vereinigt prangen, Herbst und Winter sind noch weit, O du schöne Rosenzeit!