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Die Gleichheit

Stellvertretung des beurlaubten Pfarrers auch bei der Sonntagspredigt übernommen. Der Rechtsschutzverband für Der Rechtsschutzverband für Frauen( Vorsitzende Frau Margarete Bennewiz) hat an die zustän digen Ministerien sämtlicher deutschen Bundesstaaten die Bitte ge­richtet, es möge den hierzu akademisch vorgebildeten Frauen ge­stattet werden, die beiden juristischen Staatsprüfungen ab­zulegen und den dazwischen liegenden juristischen Vorbereitungsdienst zu leisten. Der Daily News" zufolge war einer der britischen Vertreter auf der Kriegsgefangenenkonferenz im Haag eine Dame. Es sei das erstemal, sagt das Blatt, daß eine Dame an diplomatischen Verhandlungen teilnehme.- Auf Veranlassung einiger liberaler Mitglieder der schwedischen Zweiten Kammer hielt die Juristin Eva Andén vor der Zweiten Kammer einen Vortrag über den zurzeit vorliegenden Gesegentwurf zum besseren Schuß der unehelichen Kinder. Wie berichtet wird, waren die Abgeordneten fast vollzählig zu diesem Vortrag erschienen. Frau Andén   vertrat in ihrem Referat die von den Frauenorganisationen aufgestellten Forderungen. Der Vossischen Zeitung" zufolge hat sich in der Türkei   eine Frauenaktiengesellschaft gegründet. Mit einem Aktienkapital von 30 000 Ltqs wurde in Konstantinopel   die Damen­warenhaus- Aktiengesellschaft begründet; nach den Sagungen dürfen nur Frauen im Aufsichtsrat und im Betrieb tätig sein. Diese Grün­dung ist ein Beweis für das Erwachen der Frauenwelt in der Türkei  .

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Habt Achtung vor euch selber, ihr Frauen!

Betrachtungen bei einem Straßenbahn- Zusammenstoß.

Ich saß lesend im vorderen Wagen der elektrischen Straßen­bahn, als mich der Aufschrei der Mitfahrenden aufblicken ließ und ich zu meinem Schrecken sah, wie der Wagen gegen ein die Straße kreuzendes Fuhrwerk angefahren war und dieses eine Weile vor sich her schob, da es der Führerin auf der abschüssigen Bahn nicht gleich gelang, den Wagen zum Stehen zu bringen. Während ich Klopfenden Herzens angestrengt aus dem Fenster sah, um zu er­spähen, ob Menschenleben bei diesem Unglücksfall in Gefahr ge= kommen waren, hatten sich die Mitfahrenden bereits soweit ge= faßt, daß sie sich den erlittenen Schreck vom Herzen reden konnten. So flang es denn aufgeregt durcheinander: Es ist doch eigen­tümlich, die Straßenbahnführerinnen haben doch unausgesetzt zu­sammenstöße." Ach ja, die Führerinnen sind eben nicht so zuber­lässig wie die Führer."" O nein, wie sieht man sie manchmal mit

lassenschaft für die Frauen der arbeitenden Klassen ist das große Werk über die Frauenfrage. Diese Hinterlassenschaft ist so wert­voll, daß schon um ihretwillen der Name Lily Brauns in der Ge­schichte der Arbeiterinnenbewegung an erster Stelle genannt werden muß. Waffen wollte sie schmieden in diesem Werk für die Unter­drückten. Klingen und Pfeile wollte sie ihnen geben zum Kampf um die Befreiung des weiblichen Geschlechts. Leider ist das Buch bei den Arbeiterinnen verhältnismäßig wenig bekannt. Abgesehen da von, daß man es in Kreisen, die der Verfasserin übel gesinnt waren, zu unterdrücken versuchte, ist der Preis so hoch, daß das Werk der Allgemeinheit schwer zugänglich ist. Es ist schon im Jahr 1901 er­schienen und hat keine Neuauflage erlebt. Seit dem verhältnismäßig furzen Zeitraum ist die Entwicklung der Frauenfrage in ein anderes Stadium getreten. Namentlich der Krieg hat hier große Umwand­lungen hervorgerufen. Eine sachgemäße Umarbeitung respektive Er­gänzung des Werkes wäre dringend notwendig. Dann aber müßte aber auch eine billige Volfsausgabe hergestellt werden, die es allen auf dem Gebiet der Arbeiterinnenfrage tätigen Frauen möglich macht, das Buch als Grundlage für Agitation, Belehrung, Diskussionsabende zu benüßen und daraus zu lernen.

Der Wert des Buches liegt vor allem darin, daß wir überhaupt feines haben, das die Frauenfrage bei außerordentlich fleißigem Quellenstudium vom Standpunkt der Frau aus so gründlich und umfassend behandelt. Aus dem Doppelerlebnis der Liebe und der Mutterschaft heraus ist das Buch geschrieben. Bei aller Wissen­schaftlichkeit appelliert Lily Braun   in jedem Satz in warmem Ge­fühl an die Mütterlichkeit, erfüllt von der Hoffnung, daß dies Emp­finden alle Mütter über die Wiege des eigenen Kindes hinaus zu weltumspannender Kraft einigen und antreiben sollte. Gerade in diesen Tagen, in denen der Gedanke, die Arbeiterinnen zu einigen und stark zu machen, neu auflebt, ist ein Hinweis auf Lily Brauns " Frauenfrage" deshalb am Plaz.

Wir finden darin zunächst eine historische Übersicht über die Ent­wicklungsgeschichte des Weibes, die zugleich eine Leidensgeschichte ist. Die Unfreiheit des Weibes von den ältesten Zeiten an ist be= gründet durch das Naturgesetz der Mutterschaft, die die Mutter an

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ihren Wagen dahinrasen, es ist geradezu unberantwortlich." Oft möchte man glauben, sie schlafen: wie kann es nur angehen, daß die Führerin den Wagen nicht gesehen hat."

So schwirrte das Gerede durcheinander. Jeder bemühte sich, noch einen Kommentar hinzuzufügen, um zu beweisen, daß die Führe= rinnen an allen Unglücksfällen schuld seien.

Den Haupttrumpf aber glaubte eine der Mitfahrenden auszu­spielen, indem sie nicht einmal, sondern, damit es auch ja gehört wurde, ein paarmal mit erhobener Stimme sagte: Und dann braucht nur ein Soldat vorn auf der Bahn zu stehen, so geht das Erzählen an, und die Führerin interessiert sich weit mehr für die­sen als für ihre Arbeit!" Ein Grund, den anzuführen in diesem Falle um so törichter war, als weit und breit kein Soldat zu sehen war, geschweige denn einer auf dem Vorderperron gestanden hätte! Und nun wird man natürlich glauben, daß es Männer waren, die so abfällig die Arbeit der Frau als Straßenbahnangestellte beurteilten. Ach nein die Schamröte steigt mir bei der Erinnerung wie­derum ins Gesicht, es war nicht ein Mann darunter, sondern es waren sämtlich liebe Mitschwestern, die es nicht empfanden, wie sie sich mit jedem Wort, das sie sprachen, selbst ins Gesicht schlugen! Schlimm genug, daß wir Frauen nur zu oft unsere ganze Energie und Kraft aufwenden müssen, um uns gegenüber der Verständnislosigkeit des Mannes durchzusehen; von unseren eigenen Geschlechtsgenossinnen sollten wir doch unter allen Um­ständen verlangen können, daß sie erst nachdenken, bevor sie die eigenen Schwestern verurteilen.

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Ob diese Frauen und sie stehen ja leider nicht vereinzelt da noch nie darüber nachgedacht haben, was es bedeutet, täglich bis zu zehn Stunden still auf einem Fleck zu stehen, in jedem Augenblick die volle Geistesgegenwart zu behaupten, ganz zu schweigen davon, daß die schwere Handhabung der Bremse einen ziemlich großen Aufwand von Körperkraft bedingt. Gerade wir Frauen, die wir nur zu gut wissen, wie sehr wir unter allen Schwächen unseres Körpers zu leiden haben, wie aber auch jeder seelische Eindruck auf unsere Nerven wirkt, wir sollten Bewunde­rung empfinden, wenn wir die Straßenbahnführerinnen so sicher und ruhig an ihrem Plaze sehen. Diese Frauen sind größtenteils Kriegerfrauen und nur zu oft Witwen. Wer aber sieht ihnen die Sorgen und Nöte an, die sie innerlich bewegen mögen, wenn sie, die Augen fest auf die vor ihnen liegende Bahn gerichtet, ihre ganze Aufmerksamkeit darauf lenfen, die Sicherheit des fahrenden Pu­blikums wahrzunehmen!

das Kind fesselt. Auch das Mutterrecht, das bei zahlreichen Völkern nachgewiesen werden kann, bedeutet durchaus keine Oberherrschaft der Frau. Sie galt lediglich als Stammhalterin, solange der Ge­schlechtsverkehr noch nicht durch die Einehe geregelt war.

Durch die Mutterschaft entstand die erste Arbeitsteilung. Die Frau wurde durch die Kinder an die Scholle gefesselt, baute ihnen die schützende Hütte, fertigte ihnen wärmende Kleidungsstücke, sorgte für ihre Nahrung. Der Mann zog zu Kampf und Jagd aus, aber rohe physische Bedürfnisse führten ihn immer wieder in den Schutz der Hütte, und die uralten Triebfräfte der Natur, Hunger und Liebe, führten schließlich zur Gründung der Familie. Der Mann sicherte sich die geschickte Arbeiterin, und sein Wunsch, rechtmäßige Erben seines Besitzes zu haben, gab der Frau ihren Wert als Mutter legi­timer Kinder. Auch dieser Wert beruht also auf ökonomischen Rück­sichten. Darauf beruht aber auch die Unfreiheit der Frau. Religion und Gesetz sanktionierten die Einehe und damit die Unfreiheit der legitimen Frau. Der Lohn ihrer Tugend war dauernde Gefangen­schaft. Die Strafe des Lasters, der Prostitution war Freiheit.

Alle Vorurteile und Anschauungen in bezug auf die Stellung der Frau sind zurückzuführen auf die wirtschaftlichen Ursachen, die zur Ehe geführt haben. Die Unfreiheit der legitimen Frau war die gleiche bei den Völlern des Orients, bei den kulturell hochstehen­den Griechen und Römern, wie zur Zeit des Christentums, durch das weder die rechtliche, noch die wirtschaftliche, noch die sittliche Lage des weiblichen Geschlechts gehoben wurde. Schon im Alter­tum wurde die Arbeitskraft der Frau, natürlich insbesondere die der minderbemittelten Frau, nach Kräften ausgenügt. Aber auch in der Feudalzeit hatte sie nur die Wahl, Arbeits- oder Lustsklavin zu sein. Schon damals war aber die Arbeit der Frau nicht ledig­lich auf das Haus beschränkt. Schon damals konnte die minder­bemittelte Frau nicht ausschließlich die Tätigkeit als Hausfrau und Mutter ausüben. Sie war gezwungen, den eigenen Haushalt, die Kinder zu vernachlässigen, um als Hörige in den Werkstätten der Burgen, Höfe und Klöster zu spinnen, zu weben, zu nähen und zu sticken, oder um die Haus- und Feldarbeit für den Lehnsherrn zu verrichten.