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Die Gleichheit

Millionen blühender Menschen; sie sind tot, dem Volksganzen verloren für immer. Und aber Millionen ungeborener Leben kommen durch das Sterben der männlichen Jugend nicht zur Entwicklung. Große Massen der zurückkehrenden Männer wer den infolge körperlichen Siechtums oder erworbener Geschlechts­erkrankungen nicht imstande sein, gesunde, lebensfähige Kinder ins Leben zu rufen. Dazu kommt noch, daß viele Frauen infolge der körperlichen Überanstrengungen und Entbehrungen nicht mehr zur Mutterschaft fähig sind. Ein gesunder Bevölke­rungszuwachs ist aber für jedes Volk eine Lebensnotwendig­keit; nach diesem furchtbaren Blutvergießen mehr denn je. Um diesen Gefahren, welche der Krieg für den Bevölkerungs­zuwachs mit sich bringt, zu begegnen, trat bei uns der Reichs­tagsausschuß für Bevölkerungspolitik ins Leben. Ein zweiter Teil: Bericht über die Arbeiten dieses Ausschusses aus der Feder des Genossen Dr. Duard liegt jetzt für die Zeit vom 23. März bis 15. Mai 1917 vor. Es ist gute Arbeit ge­leistet worden. Es sind der Reichsleitung Maßnahmen vor­geschlagen worden, welche einen erheblichen Fortschritt im Verhältnis zu dem, was bisher war, bedeuten. Und trotzdem wird in der arbeitenden Mutter das Gefühl aufsteigen: wie bitterwenig ist doch das alles im Verhältnis zu dem, was ich und meine Kinder tragen müssen.

Es ist nicht möglich gewesen, im Ausschuß die Forderung der Achtstundenschicht für alle Betriebe durchzusetzen; und doch wäre es für die Erhaltung der Frauenkraft, wäre es beson­ders für arbeitende Mütter und ihre Kinder so notwendig gewesen. Denn selbst bei einer Arbeitsschicht von acht Stun­den hat eine Frau, welche Mutter ist, in der Regel einen Arbeitstag von 14 bis 16 Stunden, häufig aber einen län­geren. Rann eine solche Frau noch Erzieherin ihrer Kinder fein? Darf man von ihr verlangen, daß sie weiteren Kindern das Leben gibt? Für die übrigen Betriebe soll eine Arbeits­schicht von 10 Stunden die Regel sein; Ausnahmen dürfen hier wie dort stattfinden. Und mindestens jeder zweite Sonn­tag foll völlige Ruhe bringen. Das ist auch ein Fortschritt gegenüber dem jezigen Zustand, wo viele Mädchen und Frauen überhaupt keinen Sonntag mehr kennen. Aber es ist nicht das, was Frauen und Jugendlichen in der Gewerbeordnung zugestanden war. Es ist wenig für Menschen, die tagaus und tagein vom Morgen bis zum Abend fürs Brot schaffen müssen; es ist viel zu wenig für eine Mutter und ihre Kinder.

Vor allem aber geschieht in der Praxis gar zu wenig für die geeignete Unterbringung der Kinder, während die Mutter an der Arbeitsstätte schafft. Es ist nicht so, daß ein großer Widerstand der Mütter gegen die Einrichtungen der Kinder­Krippen und Horte zu überwinden wäre, sondern die Heime sind nicht vorhanden, welche den Müttern die Kinder, und damit ihre schwerste Sorge, abnehmen würden. Dies ist auch der Grund, weshalb viele Mütter Nachtarbeit übernehmen. Sie wollen am Tage bei ihren Kindern sein, damit sie nicht ,, auch noch die Mutter entbehren müssen, wenn sie schon den Vater nicht haben". Wie oft ist mir diese Antwort geworden, und ich verstehe sie vollkommen. Die traurige Konsequenz ist aber die, daß diese bedauernswerten Frauen und guten Müt fer zugrunde gehen. Denn viel Arbeit, wenig Essen und fast feinen Schlaf halten auch starke Menschen nicht aus.

Dazu kommt die seit 1902 fortgesetzt gestiegene Verteuerung der Lebenshaltung, welche während des Krieges eine Höhe erreicht hat, die es auch der bestbezahlten Mutter unmöglich macht, ihre Kinder so zu ernähren, wie es für eine gesunde Entwicklung notwendig wäre. In diesen wirtschaftlichen Miß­ständen liegt auch der Grund dafür, daß nach Professor Dr. Silbergleit- in den Jahren 1901 bis 1911 fich nicht so die ersten und zweiten Kinder, wie die dritten, vierten, fünf­ten usw. gemindert haben.

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In der richtigen Erkenntnis der wirtschaftlichen Nöte der Frauen, beantragt der Ausschuß die Aufnahme anständiger Lohnklauseln" und besonders für die Heimarbeit Lohnschutz. Die Betriebsunfälle haben sich während des Krieges in­folge fehlender Schutzvorrichtungen, mangelnder Gewerbeauf

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Türmerlied.

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er weiß, wie lang ich wache! Die Nacht will nicht vergehn. Die Welt ist Gottes Sache Ich möchte Frührot sehn. Vom Wachen sind die Wimpern schwer, Ich glaube fast, es geht nicht mehr- Soll ich das Morgengrauen Benaraten Nicht schauen?

Viel edle Kämpfer liegen Rings auf dem Felde tot Die Finsternisse siegen Noch übers Morgenrot.

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Die Helden gaben Gut und Blut Dahin der alten Schattenbrut, Es schwell'n die schwarzen Heere Wie Meere  .

Die Müdheit will ich bannen Und halten gute Wacht, Ich will die Lider spannen Mit meiner letzten Macht. Die höchste Luke sei mein Hort,- Ich glaub', ich seh's wahrhaftig dort, Ich seh's durch graue Ritzen Jetzt blizen.

Nun will hinaus ich treten

Zum äußersten Altan  ,

Nr. 4

Durch Nacht und Tod trompeten; Der Tag, der Tag bricht an! Beim Luzifer  , dem Fürst des Lichts, ' s ist nicht für nichts und wieder nichts... Triumph will ich den Helden Vermelden.

Karl Hendell.

sicht und berufsgenossenschaftlicher Unfallaufsicht gesteigert. Der Ausschuß ist sich einig, daß Abhilfe dringend not tut. Ge­nosse Dr. Quarck fordert Vermehrung der weiblichen Gewerbe­aufsichtsbeamten und stellt fest, daß seit 1897, also in zwan­zig Jahren, ihre Zahl in ganz Deutschland   auf 48 gestiegen sei. Und damit vergleiche man das Anwachsen der Frauen­erwerbsarbeit; allein während des Krieges ist die Zahl der erwerbstätigen Frauen um etwa zwei Millionen gestiegen. Für die unehelichen Mütter und Kinder ist der Ausschuß besonders eingetreten. Es war ein trauriger Zustand, daß bisher ungefähr zwei Drittel aller unehelich Geborenen zu­grunde gehen konnten infolge mangelnder Pflege und Erzie hung; daß die Mutterschaft geächtet wird, nur weil ihr nicht der gefeßlich geschlossene Ehevertrag vorangeht. Dies war und ist noch heute für viele Mädchen der Grund, ihre erste Mut­terschaft zu verleugnen, fie auf heimlichen Wegen aus der Welt zu schaffen und damit oft den Keim zu jeder Frucht­barkeit in sich zu töten. Wieviel ungeborenes Leben wieviel Menschenglück ist um dieser barbarischen Moral willen ver­

nichtet worden!

Nun soll der wirtschaftliche und moralische Leidensweg der unehelichen Mutter gemildert werden, indem der Vater mehr zu seinen Pflichten herangezogen und die Annahme an Kindes Statt sowie die Führung des Vaternamens erleichtert wird.

Das norwegische Gesetz über Kinder, deren Eltern die Ehe miteinander nicht eingehen, ist den nun auch bei uns beschrit tenen Weg konsequent zu Ende gegangen. Es gibt dem un­chelichen Kind das Recht auf den Familiennamen des Vaters und macht es erbberechtigt. Und dies ist die einzige Möglich­keit, um den Makel der unehelichen Geburt zu löschen und die Vernichtung keimenden Lebens zu verhindern

In der Kriegsunterstügung sollen die unehelichen Mütter und Kinder den ehelichen gleichgestellt werden. Ebenso not­wendig ist diese Gleichstellung in der Hinterbliebenenfürsorge.