Nr. 4

Die Gleichheit

Der Ausschuß für Bevölkerungspolitik hat mit seiner Arbeit den richtigen Weg beschritten. Aber unendlich viel muß noch an sozialen Maßnahmen getroffen werden, um die Mutter­schaft für die arbeitende Frau zu einer Quelle des Glückes zu machen. Die Schmerzen der Geburt müssen erleichtert und die Möglichkeit muß geschaffen werden, die verlorenen Kräfte schneller wieder zu sammeln. Der Ausbau des Strippen- und Hortwesens muß schneller und gründlicher erfolgen, ohne Rück­sicht auf die Kosten. Die jugendliche Arbeiterin, die Mutter der Zukunft, bedarf erhöhten Schußes für Leben und Gesund­heit. Eine andere Ernährungspolitik ist gerade im Hinblick auf die Bevölkerungspolitik eine Notwendigkeit. Heute hungern die Kinder des Volkes auf Kosten reicher Prasser.

Notwendig ist aber auch, die Möglichkeit für eine erhöhte verantwortliche Mitarbeit der arbeitenden Frauen und Mütter zu schaffen überall da, wo über das Wohl und Wehe der Arbeiterschaft beraten und entschieden wird.

Die Sehnsucht nach dem Kind, nach dem Weiterleben in den Nachkommen wird immer in den Menschen wohnen, und dennoch wird es nicht leicht sein, nach den Erfahrungen dieses Krieges die sinkende Geburtenzahl wieder zu heben. Der Staat darf in seinem eigenen Interesse die Kinder nicht zu einer Last für die Eltern, sondern er muß sie zu einem Segen für die Gesamtheit werden lassen. Klara Bohm- Schuch.

Eine Erziehungsorganisation.

Von Emmy Freundlich in Wien  .

2. Der Weg.

( Schluß.)

Wie kann nun das Ziel praktisches Leben gewinnen? Die Kinderfreunde in Österreich   sind ein Elternverein. Nicht Wohl­täter sollen Mitglieder werden, um die Kinder der anderen zu be­treuen, sondern die Eltern der Kinder selbst, die betreut werden sollen, müssen sich zusammenschließen, damit das, was der einzelne nicht zu leisten vermag, die Gemeinschaft leistet. Die Eltern selbst sollen die Träger der Gedanken, der Form und der Durchführung werden. Dazu müssen sie erzogen werden, wie wir die Arbeiter zur gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen und zur politischen Arbeit er­

Feuilleton

O lieb, solang du lieben kannst! Olieb, solang du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst.

Besuch.

Freiligrath.

Es klopft. Dem Redakteur kommt in der heutigen Zeit mit ihrer Arbeitsüberbürdung Besuch ungelegener denn je. Aber er muß auch heute mehr als je die Pflicht anerkennen, seine Tür dem Mühseligen und Beladenen zu öffnen. Also: Herein!"

Die Tür geht auf. Ein plumper, abgeschabter Handkorb schiebt sich durch die Öffnung. Dann wird auch seine Besizerin, eine dun­kelgekleidete junge Frau sichtbar. Ich deute auf den vor meinem Tisch stehenden leeren Stuhl.

Wie viele solche Gestalten, solche Gesichter habe ich in den letzten Jahren gesehen!

In das schwarzglänzende Haar meiner Besucherin hat Frau Sorge unvermittelt leuchtend weiße Fäden gewoben. Das magere Gesicht hat von der ständigen Sorge um den vor dem Feinde stehenden Mann scharfe Linien erhalten. Um den Mund und um die Augen ziehen sich tiefe Falten und Fältchen. In den Augen hat die Er­wartung kommenden Unheils ein waches Leuchten entzündet.

Sie hat den Korb auf den Schoß gehoben und entnimmt ihm mit ein wenig umständlichen Bewegungen einen Brief. Der Um­schlag zeigt die grünbläuliche Gendarmenfarbe mit dem blutroten Kästchen- Aufdruck, der den gerichtlichen Charakter des Schreibens kündet. Sie legt den Brief mit einer hastigen Bewegung vor mich hin, als widerstrebe es der Hand, ihn länger zu halten, als unbe­dingt nötig.

Ein Zittern von Schmerz und Erbitterung läuft über das Gesicht. Die Lippen beben:

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ziehen mußten. Dieser Elternverein soll an sich nichts anderes sein, als die erweiterte Familie, die alle Glieder vereinigt, damit jeder sein Bestes geben kann.

Die Erziehungsmethode, die wir verwenden, ist die alte bewährte proletarische Erziehungsmethode, die Organisation".

Die Kinder werden vereinigt. Sei es zur Wanderung mit Rucksac und Nagelschuh, sei es zu Spielnachmittagen oder Stadtgängen oder zu Tagesheimstätten und Horten. Immer sind alle die gleich­berechtigten Glieder einer Gemeinschaft. Alle haben die­selben Rechte, alle dieselben Pflichten. Gemeinsam muß aufgeräumt und getragen werden, jeder hat seine ihm zugemessene Aufgabe zu erfüllen, jeder hat das Recht auf alles, was die Gemeinschaft an Spielsachen, Wandergeräten usw. besitzt. Die Führer sind nichts anderes als die größeren Kameraden, die mitraten und taten und deren Autorität allein auf der geistigen überlegenheit und der größeren Tatkraft beruht. Die Disziplin ist lediglich eine Frage der Organisation. Wenn fünfzig Kinder in Reihen aufgestellt warten, bis sie den Löffel holen, um essen zu können, so stellen sich die nächsten fünfzig ohne ein Wort der Anleitung neben die anderen, und es er­scheint ihnen als das Natürliche, dem sich niemand entziehen kann. Um aber die Disziplin immer fester in den Kindern zu ver antern, gleichsam um ihren Willen zur Disziplin zu stählen, teilen wir die Kinder in Gruppen und Rotten zu je zehn Stück. Jede Gruppe wählt ihren Vertrauensmann, der nur verantwortlich ist für die Drdnung der Gruppe, die Erfüllung ihrer Bedürfnisse, und der gleich dem Werkstättenvertrauensmann der freiwillige und doch von der Gesamtheit bestellte Leiter ist. Strafen können nur von den Kindern gegeben werden, die diese in einer gemeinsamen Sizung bestimmen. Dieses amerikanische System ist bisher nur ein Versuch bürgerlicher Horte gewesen auch einzelne Fröbelsche Erziehungs­anstalten haben diese Versuche unternommen, sie sind aber immer der bürgerlichen Erziehung wesens fremd gewesen. Erst in der Er­ziehungsorganisation des Proletariats finden sie die volle geistige Berechtigung; denn sie sind hier das notwendige Substrat der get­stigen Fundamente.

Sie sind aber auch der hohe Sinn, der allein im kindlichen Spiel zu liegen vermag, der hohe Sinn, der für die Zukunft die Wege baut. Anscheinend sind wir dasselbe wie eine bürgerliche Erziehungs­organisation, tatsächlich sind wir etwas Neues, eine in sich geistig und praktisch geschlossene Erziehungsgemeinschaft der Arbeiterschaft. Aber auch unsere geistige Methode wird sich mehr und mehr von der der bürgerlichen Erziehung scheiden. Eine Erziehung, die keine

Gestern hann äch Termin gehatt...", preßt sie hervor. Und dann erzählt sie:

,, Dat war esu kalt diesen Winter. Ming Kolle wore all. Ech hann dree Kleene Kinger to Hus..." Schwerfällig wie Raben im Winde erkämpfen sich die abgehackten Säße mein Dhr.

Hart ist der Ton, hart klingt die Mundart, die meine Besucherin redet, das härteste ist der Inhalt. Die Frau sitt mit ihren drei Kindern in dem kleinen Häuschen, das sie sich mit ihrem Mann, der seit Kriegsbeginn in den Argonnen   liegt, in besseren Zeiten er­schuftet und erhungert hat. Die grimme Bestie Frost springt das Häuslein von allen Seiten an. Der schmale Kohlenvorrat wird klein und kleiner. Mehrmals hat die Frau mit dem leeren Kohlensack auf dem Schlitten die Runde durch den Ort gemacht, ohne bei irgend­einem Händler etwas zu bekommen.

Schweren Herzens reißt sie den Holzzaun des fleinen Gärtchens nieder. Doch was ist das bißchen Holz bei der Stälte! Und die Kinder frieren...

Wieder macht sich die Mutter mit dem Schlitten auf. Der leere Kohlensack liegt noch darauf festgeschnürt von so mancher ergebnis­loser Fahrt. Wieder geht's von einem Kohlenhändler zum andern. Nichts. Achselzucken. Wohl auch ein bedauerndes Wort. Eine Ver­tröstung auf die nächste Woche.

Stumpf und dumpf zieht sie heim. Der Schnee dringt durch die undichten Schuhe. Sie friert, daß ihr die Tränen in die Augen steigen. Oder ist's der Schmerz um die Kinder, der ihr die Tränen entpreßt? Die Kinder frieren. Als sie sie verließ, hockten sie zu­sammen in der Ecke. Sie haben ihr versprechen müssen, ins Bett zu friechen, wenn's zu schlimm würde. Das Kleinste hat jetzt schon geschwollene Hände und Füße.

Ihr Weg führt an der Bahnstation vorbei. Auf einem Geleiſe, ein Stück vor der Station, steht ein Zug. Ein Zug mit Kohlen! Mitten in dem kalten, blendenden Weiß dieses erbarhnungslosen Winters eine Lange Wagenreihe, aus deren quadratischen Wagenkästen sich Haufen von Kohlen erheben, die eine lange schwarze Hügelkette bilden.

Himmel, welche Möglichkeiten! Die Kinder brauchen nicht mehr zu frieren! Eine warme Stube. Nur ein paar davon! Nur ein wenig