Nr. 10

Die Gleichheit

flattern, und so bleibt nichts für die Kinder. Des Volfes Reich­tum" fann nicht an die Luft, es fehlt am Nötigsten, an den Kleidchen und Kittelchen, derweil werden Milliarden um Milliarden aufgebracht für die Zerstörung!

Deutschlands Opfertage haben gezeigt, was wir freilich längst wissen: daß die heilige Einheit Mutter und Kind für weite Streise fremde, fernliegende Begriffe find. Auf den Opfersinn seiner Bürger darf sich der Staat nicht verlassen, eher geben die Armsten selber einmal ihre Scherflein zum guten Wert. Den Frauen ist wieder ein­mal klar die Probe aufs Erempel gegeben worden, daß sie sich nicht auf private Wohltätigkeit stüzen dürfen. Sie müssen fordern, was ihr gutes Recht ist: Anteilnahme der Allgemeinheit an ge= sunden, leistungsfähigen Menschen auf dem Wege sozialer Gesetzgebung.

Die Fabrikpflegerin.*

Zur Frage der Fabrifpflegerinnen, die zur Beseitigung der Ar­beitshemmnisse der Arbeiterinnen von den Frauenreferaten der Kriegs­amtsstellen eingestellt werden, ist in Nr. 2 und 5 der Gleichheit" schon Stellung genommen worden. Genossin Hanna hat in Nr. 2 die Frage kritisch beleuchtet und darauf hingewiesen, zu welcher Ge­fahr die Einrichtung der Fabrikpflegerinnen bei den gegenwärtig bestehenden Verhältnissen für die Gewerkschaften werden kann. Trotz aller Stritik sprach aber aus den Ausführungen soviel praktische Sachkenntnis, daß es einigermaßen überraschen muß, wenn die Re­daktion der Gleichheit" die Auffassung vertritt, Schwester Ruehland trete der Frage erst vom Standpunkt der unmittelbaren Praxis näher. Wohl spricht aus Schwester Ruehlands Darlegungen das Bestreben einer warmherzigen Frau, die versuchen möchte, die Nöte der arbeitenden Frauen und Mütter zu lindern. Aber die Praxis gestaltet sich doch wesentlich anders.

Will man praktisch an die Frage herantreten, so hat man doch wohl zunächst ins Auge zu fassen, welchen Nutzen können die Ar­beiterinnen davon haben und kann es Aufgabe der Gewerkschaften sein, im Interesse der Arbeiterinnen diese Einrichtung zu fördern? Diese Frage bedarf erst einer recht eingehenden Prüfung. Zunächst trifft es durchaus nicht zu, daß sich die Unternehmer der Erkenntnis

Zu dieser wichtigen Frage sind uns noch einige Artikel zugegangen, die wir in ihren wesentlichen Teilen in einer der nächsten Nummern zu veröffentlichen beabsichtigen.

Feuilleton

Red.

Schilt auf dein Vaterland, du edler Denker, nicht! Ist's nicht nach deinem Sinn ein Ländchen auf der Erde, So mach' es dir zur Pflicht,

Zu sorgen, daß es eins nach deinem Sinne werde!

Fröschle.

Gleim.

[ Nachbruck verboten.]

Aufzeichnungen eines Vaters. Bon Karl Bröger .

Fröschle, sein Name und sein Tagewerk. Eigentlich heißt er Christian Friedrich und ist gar kein Frosch, son dern ein schlankes, rankes Kerlchen von heute beiläufig fünf Jahren. Zu dem Namen Fröschle" ist er gleich nach der Geburt gekom­men, auf jene niederträchtige Weise, die einem Menschen Spignamen verschafft. Als Fröschle nämlich einige Tage da war und sein Vater ihn zum erstenmal richtig betrachten konnte, stand der Vater ver­legen und nachdenklich vor dem rosigen Bündel, strich behutsam durch das schüttere Haar des Neugeborenen und wußte, während er sich hilflos den Nacken fraulte, nichts Besseres zu sagen als du Fröschle!" Damit war das Kind getauft, und nur, weil Fröschle doch kein Name für einen anständigen Menschen ist, gab man dem Kleinen später noch die beiden Vornamen Christian Friedrich. Fragt man heute den Vater, wie er zu seinem sonderbaren Ausruf und Ver­gleich gekommen ist, so weiß er das selbst nicht. Der Name war aber einmal da und wurde auch gleich in seiner richtigen Bedeutung von allen verstanden, die um die Geheimsprache der Liebe wissen. Von jener Zeit, die den Namen Fröschle geprägt hat, will ich nun erzählen. Es ist ein ganz wundervoller Zustand, der eigentlich für jeden Menschen aufgezeichnet werden müßte dieses Keinien und Sprossen eines neuen Lebens. Wenn einmal die Zeit kommt, wo dieser Zustand nichts mehr sein wird als eine schöne Erinnerung­und Fröschle ist heute schon ein ganz ansehnlicher Frosch-, so kann

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der Notwendigkeit, Fabrikpflegerinnen einzustellen, nicht mehr ver­schließen können". Im Gegenteil! Die Unternehmer werden immer nur dem Zwange der Gesetzgebung folgend solche Einrichtungen treffen, zumal sie ja die Fabrikpflegerin selbst bezahlen müssen. Und bis jetzt sind erst die staatlichen Munitions- und Rüstungsbetriebe gehalten, Fabrikpflegerinnen einzustellen. Die materielle Abhängig­feit vom Unternehmer macht die Stellung der Fabrikpflegerin zu einer sehr schwierigen. Sie soll Arbeiterinneninteressen wahrnehmen und wird doch nicht oder nur sehr schwer daran vorbeikommen, Unternehmerinteressen zu vertreten. Zu ihrem Aufgabenkreis gehört, daß sie neben der Beratung in Rechtssachen, Kontrolle der Woh­mungen usw. ihre fürsorgerische Tätigkeit auch darauf zu richten hat, die bestehenden Wohlfahrtseinrichtungen den Arbeiterinnen zu erschließen.

Geht man die gemachten Vorschläge der Reihe nach durch, so wird ihre Unausführbarkeit jedem Kundigen sofort klar. Reine ver­Heiratete Arbeiterin sollte im Betrieb aufgenommen werden, wenn sie nicht den glaubhaften Nachweis erbringt, daß ihre Kinder wohl geborgen sind." Wird es in der Praxis auch nur einen Unternehmer geben, der diese Frage stellt oder nachprüft? Oder auch nur einen, der eine Arbeiterin erst dann einstellen wird, wenn die von ihm bezahlte Fabrikpflegerin die Kinder dieser Arbeiterin sachgemäß untergebracht hat? Dazu ist denn doch das Angebot weiblicher Ar­beitskräfte zu groß und das Vorhandensein zweckentsprechender Ein­richtungen zur Unterbringung von Kindern erwerbstätiger Frauen noch völlig unzulänglich.

Auch mit der Reglung der Arbeitszeit beschäftigt sich Schwester Ruehland, doch läßt die Behandlung dieser Frage klar und deutlich ihre völlige Fremdheit in gewerkschaftlichen Dingen erkennen. Daß während des Krieges Frauen und Mädchen auch nachts arbeiten dürfen, scheint in Vergessenheit gebracht zu haben, daß Nachtarbeit weiblicher Arbeiter dank den unausgesetzten Bemühungen der Ge­werkschaften vor dem Kriege gesetzlich verboten war und auch in Zukunft verboten bleiben muß, wenn nicht Raubbau mit der Bolts­kraft getrieben werden soll. Die Nachtarbeit will aber Schwester Ruehland auch für die Arbeiterinnen beibehalten wissen, da sie bei der dreiteiligen Arbeitsschicht Nachtarbeit für Arbeiterinnen vor­sieht. Als Beispiel wird die Nachtarbeit der Krankenpflegerinnen herangezogen, wobei aber zu beachten ist, daß es sich beim Nacht­dienst der Krankenpflegerinnen um Wartung und Pflege Kranker, also um die Erhaltung von Menschenkraft handelt. Bei der Nacht­arbeit der Industriearbeiterinnen handelt es sich aber um die Steige­

sich der Held mit wehmütigem Vergnügen in eine Zeit zurückver­setzen, die nie wiederkehren wird.

Als Fröschle noch ein Vierzehntagsmenschlein war, sah er von der großen, schönen Welt nur ein winziges Eckchen. In einem Wasch­korb, der auf zivei Stühlen stand, spielte sich der größte Teil seines Tagewerks ab. Sehr ernsthaft verfolgt Fröschle in seinem Waschkorb die Welt und ihr Treiben. Viertelstunden starrt er auf das Tapeten­muster, und die Stirnfalten sprechen von angestrengtem Nachdenken über Sinn und Zweck des Gesehenen. Die kleinen Fäuste, blaẞ­blauen Radieschen ähnlich, hat Fröschle gegen die Wangen gestemmnt. Behagen atmet jede Miene. Fröschle ist zufrieden und bescheinigt der Schöpfung durch sein Aussehen, daß er sie soweit ganz ge= lungen findet.

Aber bald vollzieht sich eine Wandlung dieser freundlichen Welt­anschauung. Zunächst recht der kleine Mann die Fäuste energisch gegen die Decke, fährt einigemal aus und runzelt mißbilligend die Stirn. Halb schließen sich die Augen. Dann prustet er heftig durch die Nase, und wunderbare Töne entquellen den verzogenen Lippen, ungeduldig, halb und halb wieder wehmütig. Einen Augenblick horcht Fröschle selbst überrascht auf die sonderbaren Geräusche, die er da erzeugt, dann ein Ruck! und noch einer. Aus dem nun weitgeöff­neten Mund dringt gellendes Geschrei, mit bewundernswerter Lungen­kraft angesetzt und nur durch die notwendigen Atempausen kurz unter­brochen. Jede Fiber des kleinen Körpers arbeitet und unterstützt die prachtvoll zornige Außerung eines Lebens von vierzehn Tagen.

Die Mutter ist eben mit der Zurichtung des Bades beschäftigt. Sie nimmt den kleinen Trompeter auf und redet ihm zu in der lieben, unvernünftigen Weise des Mutterherzens. Doch Fröschle ist nicht zu überzeugen, und daß nun die Mutter den legten Grund ins Treffen führt, den Mütter immer haben, und das zappelnde Bündel abküßt, entrüstet ihn so, daß er ganz blau im Gesicht wird. Erst als die Mutter ihn hochnimmt, verebben die hochgehenden Wogen des Grimms; einige herzhafte Schluckser noch, und Fröschle ist wieder beruhigt. Die Augen werden hell und munter. Sie spenden nach einem Gewitter, bei dem es keinen Tropfen geregnet hat, aufs neue Sonnenschein.