Nr. 12

A. g. XIII

28. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen

Mit der Beilage: Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgelb 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mark.

Von Frieden zu Frieden.

Stuttgart

15. März 1918

Die große Liquidation des Krieges hat begonnen. Wir schrieben vor einiger Zeit, daß der Lauf des Krieges dem Laufe einer Kugel gleiche, die in langer aufsteigender Linie allmählich ihren höchsten Punkt erreiche. Sei sie hier ange­fommen, so könne sie sich nach neueren ballistischen Unter­suchungen wohl einen furzen Zeitraum hindurch wagerecht in der Schwebe halten, sinte dann aber, von der Schwerkraft der Erde angezogen, zu Boden, unaufhaltsam, in immer schnellerem Lauf und in wesentlich verkürzterer Linie als bein Aufstieg. Wir sprachen damals die Vermutung aus, daß der höchste Punkt des Strieges erreicht sei, und daß er fortab gleich falls in schnellerem Ablauf seinem Ende zueilen werde.

Unsere Vermutung scheint sich zu bestätigen. Die militärischen Ereignisse standen schon seit Wochen und Monaten nicht mehr im Vordergrund des öffentlichen Interesses, um so mehr aber die Friedensbemühungen. Allerdings droht im Westen eine Offensive von fürchterlicher Ausdehnung und Gewalt, die Hunderttausende von Menschenleben auf beiden Seiten fosten würde. Der deutsche Reichskanzler Graf Hertling hat in seiner Reichstagsrede vom 25. Februar mit fast beschwörenden Worten die verantwortlichen Staatsmänner der Entente auf diese Ge­fahr aufmerksam gemacht und ihnen erneut, um das große Blutvergießen zu verhindern, die Bereitschaft zu Friedens­verhandlungen nahegelegt. Wir wollen hoffen, daß auch die Westmächte vor der großen, geradezu fürchterlichen Verant­wortung und Blutschuld zurückschrecken, die diese Offensive auf ihre Häupter laden würde. Militärisch braucht Deutschland diese Offensive wohl kaum zu fürchten, so daß für die West­mächte die militärische und politische Situation nach dem Ab­schluß des entseglichen Blutbades nicht günstiger, eher sogar ungünstiger sein würde als jetzt. Das Ende des Krieges würde dadurch leider wohl hinausgeschoben, aber kommen würde es doch. Die Menschheit ist des Krieges so fatt, so überdrüssig, sie verabscheut ihn in allen Ländern und in allen Schichten der einzelnen Völker so von Herzensgrund, daß seine Stunde in absehbarer Zeit geschlagen hat, sei es mit oder ohne Offen­sive im Westen. Nur, daß nach einer Offensive die gegenseitige Verbitterung der Völker noch größer und die schier unheil­baren Schäden der Kultur und Gesittung noch größer und grauenhafter sein würden, als sie es jetzt schon sind.

Inzwischen schreitet die Liquidation des Krieges im Dsten rasch vorwärts. Der erste Friedensvertrag in diesem greuel vollsten aller Kriege, der Friedensvertrag zwischen der jungen ukrainischen Volksrepublik einerseits und dem Vierbund ander­seits hat die Zustimmung des Deutschen Reichstags gefunden. Es haben nur die Polen und die unabhängigen Sozialdemo­fraten dagegen gestimmt. Die ersteren, weil sie durch eine Be­stimmung des Friedensvertrags die Rechte des neuzuschaffen den polnischen Staatswesens benachteiligt glaubten, die unab­Hängigen Sozialdemokraten, weil ja, warum eigentlich? ja, warum eigentlich? 63 ist ein demokratischer Frieden, wie ihn auch die Unab­hängigen bisher stets verlangt hatten, ein Frieden der Ver­

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Zuschriften sind zu richten

an die Redaktion der Gleichheit, Berlin SW 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morigplag 14838. Expedition: Stuttgart , Furtbachstraße 12.

ständigung, ohne Entschädigungen und gewaltsame Gebiets­erwerbungen, obendrein ein Frieden, den auf der Gegenseite eine fast rein sozialistische Regierung unterzeichnet hat. Er ist vor allen Dingen aber der erste Friedensvertrag in diesem Kriege überhaupt, der Bresche schlägt in den eisernen Ring des Krieges, der der Menschheit und Menschlichkeit endlich wieder ein Tor öffnet, das die Herzen der Menschheit wieder mit Hoffnung und Zuversicht erfüllt. Gegen einen solchen Frieden zu stimmen, heißt den parteipolitischen Doktrinarismus auf die Spitze treiben. Wir sind überzeugt, daß die große, große Mehrzahl der Arbeiter, vor allen Dingen aber fast restlos alle Arbeiterfrauen die Abstimmung der sozial­demokratischen Reichstagsfraktion billigen werden, die im Gegensatz zu den Unabhängigen dem ersten Friedensvertrag zugestimmt hat.

Der zweite Friedensvertrag, vielleicht auch schon der dritte, wird unterzeichnet sein, wenn diese Zeilen vor die Augen unserer Leserinnen kommen. Die Ereignisse schreiten so schnell, daß ihnen eine vierzehntäglich erscheinende Zeitschrift wie die Gleichheit", deren Redaktionsschluß zudem lange vor dem Erscheinungstag liegt, nicht folgen kann. Wir mußten das bei unserem vorigen Leitartikel in besonders unangenehmer Weise erfahren insofern, als die Fußnote, in der wir die zwischen Niederschrift und Korrektur des Artikels eingetretene politische Änderung mit Rußland noch eiligst zur Kenntnis brachten, bis zum Erscheinen der Nummer auch schon wieder durch neuere Ereignisse überholt war.

Mit Rußland wird der Friede in diesen Tagen( Anfang März) unterzeichnet werden. Es ist kein Vertrag, dem man, wie dem mit der Ukraine , gern und bereitwillig zustimmen fann. Daß er fein reiner Frieden der Verständigung geworden ist, daran tragen freilich die russischen bolschewistischen Macht­haber die Hauptschuld. Nunmehr ist er ein Frieden, zu dem die deutsche Macht das besiegte Rußland zwingt. Es sind Bestimmungen darin enthalten, besonders in ihrer schroffen Formulierung, gegen die sich ein Sozialdemokrat auflehnt. Es muß ferner genau untersucht werden, ob diese und andere Bestimmungen einem zukünftigen freundnachbarlichen Verhält­nis mit Rußland die Wege verbauen. Ferner müssen Garan­tien dafür geschaffen werden, daß die von Rußland losgelösten Randvölker, Kurland , Litauen , Estland und Livland , nicht in verschleierter Form von Deutschland annektiert werden, sondern sich nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker frei entfalten können. Wie die sozialdemokratische Fraktion sich zu dem russischen Friedensvertrag stellt, steht zu dieser Zeit noch nicht fest.

Ebenso liegt es mit dem Frieden mit Rumänien . Auch dieser Staat hat erst durch Druckmittel zum Frieden gezwungen werden müssen. Es steht einem Frieden der Verständigung ferner die Erinnerung an die heimtückische Nolle im Wege, die die rumänischen Machthaber bis zum Eintritt Rumäniens in den Krieg den Mittelmächten gegenüber gespielt haben. Schließlich kommen noch Wünsche unserer bulgarischen Ver­bündeten auf die Dobrudscha als altes bulgarisches Land in