Nr. 15

A.g. XIII

28. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen

Mit der Beilage: Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mark.

Stuttgart  26. April 1918

Zuschriften sind zu richten

an die Redaktion der Gleichheit, Berlin   SW 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Moripplag 14838. Expedition: Stuttgart  , Furtbachstraße 12.

Karl Mary+

Im 5. Mai dieses Jahres sind hundert verflossen,

Ate to emit air made in Frier als Gohn eines jubiſchen

Advokatanwalts und späteren Justizrats geboren wurde. Die Familie trat einige Jahre später zum Christentum über. Die äußeren Schicksale des Mannes sind bald erzählt. Er studierte in Bonn   und Berlin   Rechtswissenschaft, Philosophie und Ge­schichte, und zwar mit einer Intensität, daß er häufig drei bis vier Tage lang Tag und Nacht durcharbeitet und nicht ins Bett kommt. Sein Versuch, sich nach seiner Doktorpromo­tion in Bonn   als Privatdozent niederzulassen, scheitert an der unter dem preußischen Kultusminister Eichhorn stark einsetzen den Reaktion, der der Freund von Mary, Bruno Bauer  , als Dozent der Theologie in Bonn   zum Opfer fiel. Im Herbst 1842 sehen wir ihn als Mitarbeiter, dann als Redakteur der von der jungen, aufstrebenden Bourgeoisie des Rheinlandes gegründeten Rheinischen Zeitung  " in Köln  . Aber schon im Frühjahr 1843 tritt er der Zensurverhältnisse wegen aus der Redaktion. Damit war für ihn die Zeit vorbei, wo er in der Heimat wirken konnte. Er geht nach Paris  , wird aber dort auf Betreiben der preußischen Regierung ebenfalls bald aus gewiesen. Sein neuer Wohnort ist Brüssel. Der Ausbruch der Revolution bringt ihn noch einmal nach Deutschland   zurück. Vom Herbst 1848 bis Frühjahr 1849 ist er der Chef der Neuen Rheinischen Zeitung  " in Köln  . Die hereinbrechende Reaktion zwingt ihn von neuem zur Flucht. Er wendet sich nach London  , das zu seinem dauernden Aufenthalt wurde. Im Jahre 1883 ist er in London   gestorben.

Außerlich also nur in den Jugendjahren bewegt, gleitet dieses Leben dahin. Und doch verbirgt sich hinter diesen Lebens­daten das revolutionärste Kämpferdasein. Die Vereinigung von wissenschaftlicher Gründlichkeit und Kühle und von revolutio­närem Temperament und Aktionsbedürfnis ist für Mary kenn­zeichnend. Ihm eigentlich ist es zu danken, wenn wir die Ge­sellschaftswissenschaft, das heißt die Wissenschaft vom Menschen zu den Wissenschaften im engeren Sinne rechnen können. Die Naturwissenschaften hatten im siebzehnten und besonders im achtzehnten Jahrhundert einen starken Aufschwung genommen. Ein überirdisches Eingreifen göttlicher Mächte, die nach ihrem Gefallen den Lauf des natürlichen Geschehens etwa unter­brechen könnten, erkannte man nicht mehr an. Allenthalben hatte man eine unentrinnbare Gesezmäßigkeit der Natur er­kannt. Aber dieselbe Gesetzmäßigkeit auch für die von den Menschen gemachte Geschichte und für ihre gesellschaftlichen Verhältnisse nachzuweisen, war unmöglich geblieben. Soweit der Mensch in Frage kam, galt die Theorie vom freien Willen, der jeder gesetzmäßigen Notwendigkeit spottete.

es die Leistung Karl Marx  ,

nachgewieſen zu haben, bag ende er sing wont start a larg

hältnisse und Beziehungen Gesetze gelten, daß die in der Ge­schichte wirkenden Ideen und Jdeale nicht von irgendwoher stammen, sondern im engsten Zusammenhang stehen mit den wirtschaftlichen Verhältnissen, deren Gesetzmäßigkeit nachge­wiesen werden kann. Als treibenden Faktor der Geschichte er­kannte er den Kampf der gesellschaftlichen Klassen um ihre materiellen und moralischen Interessen. Damit hatte Marr eine große wissenschaftliche Leistung vollbracht. Er hatte das soziale Reich der Menschen unter die gleiche Gesetzmäßigkeit gebracht, wie das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert für das Naturreich nachgewiesen hatte. Auch hier war nunmehr das Wunder" ausgeschaltet, und wissenschaftliches Erkennen war möglich geworden. Und Mary ging gleich einen Schritt weiter und entdeckte in seinen ökonomischen Schriften die wirt­schaftlichen Bewegungsgesetze der heutigen bürgerlichen Ge­sellschaft. In seinem Riesenwerk Das Kapital  " hat er diese Untersuchungen niedergelegt. Noch heute ist diese Arbeit das grundlegende Werk zur Erkenntnis der kapitalistischen   Pro­duktionsweise, und die schier zahllosen Versuche, es zu wider­Tegen, sind immer wieder gescheitert. Dabei ist es freilich selbst­verständlich, daß auch Mary die geschichtliche und wirtschaft­liche Entwicklung, wie wir sie jetzt vor uns sehen, nicht in allen Einzelheiten voraussehen konnte. Vieles ist in dieser Entwicklung anders gekommen, wie er es sich gedacht hatte. Das hat aber nichts mit der Tatsache zu tun, daß die grund­legende Erkenntnis vom Wesen der kapitalistischen   Gesellschaft und ihren wirtschaftlichen Bewegungsgesehen von Marr zum ersten Male niedergeschrieben ist. Sie wird ihre Geltung be­halten, solange diese Gesellschaftsordnung besteht.

Mary und sein großer Freund Friedrich Engels   haben sich nicht begnügt, die Ergebnisse ihrer Studien in dicken, schwer­verständlichen Büchern einer weltfremden Gelehrtenkaste zuzu­flüstern. Sie waren zugleich Politiker und Revolutionäre und benutzten jede Gelegenheit, die Arbeiterklasse zu organisieren, aufzuklären und für ihre große Aufgabe zu schulen. Der Lohn von bürgerlicher Seite blieb nicht aus. Mary wurde von einer Wolfe der giftigsten politischen und persönlichen Verleumdungen umhüllt, kaum ein bürgerliches Blatt in Deutschland   wagte es, von ihm auch nur Erklärungen, geschweige denn Artikel. oder Korrespondenzen zu bringen. Die Not und die Sorge ist jahrzehntelang niemals von seiner Tür gewichen. Als sein Freund Engels, der immer wieder aushalf, endlich in der Lage war, ihm eine Rente für einige Jahre auszusetzen, da war die Gesundheit von Marr schon lange aufs schwerste an­