Nr. 15
Die Gleichheit
vier Jahre jüngeren Studenten in der Atmosphäre einer bureaufratischen Kleinstadt bot. Aber nicht darum sorgte die Braut, sondern um die schwere Verpflichtung, womit sie, die Altere und Reifere, ein hoffnungsvolles Leben belastet hatte, das eben in die ersten Halme schoß.„ Sie hat auch etwas Genialisches," schreibt der begeisterte Schwiegervater seinem Sohn.„ Du kannst sicher sein, daß ein Fürst nicht imstande wäre, fie Dir abwendig zu machen. Sie hängt Dir mit Leib und Seele an, und Du darfst es nicht vergessen, in ihrem Alter bringt sie Dir ein Opfer, wie gewöhnliche Mädchen es gewiß nicht fähig wären."
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In seiner Liebe zu seiner Braut war Marx, wie er später seinen Stindern erzählte, ein wahrer rasender Roland". Sieben Jahre mußte Marg um seine Jenny dienen, und sie dünkten ihm, als wären es einzelne Tage, so lieb hatte er fie". Am 19. Juni 1843 wurde die Ehe geschlossen, von der Stephan Born schrieb:„ Ich habe felten eine so glückliche Ehe gekannt, in der Freud ' und Leid, das legtere in reichlichstem Maße, geteilt und aller Schmerz in dem Bewußtsein vollster gegenseitiger Angehörigkeit überwunden wurde." Wie Jenny Marg auf andere wirkte, entnehmen wir Borns Worten: „ Ich habe selten eine in ihrer äußeren Erscheinung wie in ihrem Herzen und Geiste so harmonisch gestaltete Frau gekannt, die bei der ersten Begegnung so für sich eingenommen hätte wie Frau Mary." W. Liebknecht schreibt von ihrer Würde, ihrer Höhe, die zwar nicht die Vertraulichkeit, aber jede Ungehörigkeit fern hielt und wie mit Zaubergewalt auf die zum Teil ein bißchen verwilderten Flüchtlinge wirkte. Ihm war sie bald Jphigenie, die den Barbaren fänftigt und bildet, bald Eleonore, die dem mit sich Zerfallenen, an sich Zweifelnden Ruhe gibt. Sie war ihm das Jdeal eines Weibes, das ihn davor bewahrte, daß er in London nicht geistig und körperlich zugrunde ging und ihm, went er in dem brandenden Dzean des Flüchtlings elends zu verfinken glaubte, wie Leukothea dem schiffbrüchigen Ddys seus erschien und wieder Mut zum Schwimmen gab. Als sie im Alter von 61 Jahren Wilhelm Blos in Mainz besuchte, schildert dieser fie in seinen„ Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten" wie folgt:„ Ein scharfgeschnittenes, geiftvolles und anziehendes Antlig, eine stolze Haltung und ein außerordentlich liebenswürdiges Wesen. Die Unterhaltung war so anregend, daß wir bis gegen 3 Uhr morgens zusammenblieben."
Feuilleton
Die soziale Revolution des neunzehnten Jahrhunderts kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft.
Karl Marg( Der achtzehnte Brumaire).
Zwischen Heimat und Feld.
Von Edgar Sahnewald.
( Nachdruck
verbaten.)
amtamtam ramtamtam ramtamtam. Der Zug
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Die Heimat freilich hatte keinen Raum für das seltene Paar. Mit 500 Taler Redaktionsgehalt siedelten sich die Neuvermählten zunächst in Paris an. Bald schon erfolgte die Ausweisung und die Überfiedlung nach Brüssel .„ Frau Marr lebte ganz in den Ideen ihres Mannes," schreibt St. Born, fie ging dabei ganz in der Sorge für die Ihrigen auf und war doch so himmelweit von der strumpfstrickenden, den Kochlöffel rührenden deutschen Hausfrau entfernt." Der Aufstand von 1848 in Brüssel brachte der jungen Frau schwere Stunden. Ihr Mann wurde ins Gefängnis gebracht. Sie blieb allein mit ihren kleinen Kindern. Als sie auf die Straße eilte, um zu erfahren, wohin man ihren Mann gebracht hatte, wurde sie festgenommen und mit Prostituierten in einen Raum gesperrt. So groß war ihr Entseßen und ihr Schmerz, daß selbst diese verrohten Wesen verstummten und Mitleid mit ihr hatten.
Nach kurzem Aufenthalt in Köln , wo Marr die„ Neue Rheinische Zeitung " herausgab, ging die Wanderschaft der Familie über Baris nach London , dem Eril, das sie dauernd nicht mehr verließ. Wohl manche Frau wäre zusammengebrochen bei den vielen schweren Schicksalsschlägen, die sie hier betrafen. Jenny Marg blieb immer stark und stolz, und ihre echt rheinische Fröhlichkeit erfüllte das Heim, in dem es zeitweise färglicher zuging wie im ärmsten ProletarierHeim, mit Sonnenschein. Die Not war oft so groß, daß das schöne wertvolle Silberzeug, die Erbschaft der schottischen Verwandtschaft, zum Teil 300 bis 400 Jahre alt, mit der Krone der Argyles und dem Familienmotto" Wahrheit ist mein Wahlspruch", zum Pfandleiher getragen werden mußte.
Was aber bedeutete dieser Verlust gegen den Tod der Kinder, die Opfer des Flüchtlingslebens wurden! Liebknecht beschreibt uns den namenlosen Jammer der Eltern, die mit so unendlicher Bärtlichkeit an den Kindern hingen. Ruhige Pflege und ein Aufenthalt auf dem Lande oder an der See hätte ihr Leben vielleicht erhalten. „ Allein in dem Flüchtlingsleben, in der Heze von Ort zu Ort und im Londoner Elend war es trotz zärtlichster Elternliebe und Muttersorge doch nicht möglich, die zarten Pflänzlein für den Kampf ums Dasein genügend zu kräftigen." Alle ihre in London geborenen Kinder hatte Frau Mary verloren bis auf das jüngste Töchterchen, das bis zum fünften Jahre ausschließlich und bis zum zehnten Jahre vorwiegend mit Milch ernährt wurde. Herzzerreißend lauten die
Berlin . Noch einmal brandet großstädtisches Leben um mich her. Es ist längst nicht mehr das rauschende, brausende Berlin des Friedens. Aber es ist noch immer die Großstadt, die Weltstadt, das pulsende Herz Deutschlands , und ich durchschreite seine Straßen von einem Bahnhof zum anderen- auf dem Wege zwischen Heimat und Feld. Ich grüße den Hall meiner Schritte auf der reinlichen Härte des Granits, ich grüße das herbstlich bunte Laub der Bäume in den Anlagen, golden durchschimmert vom Lichte der Bogenlampen, und ich grüße wieder und wieder diese ganz neue, flare Schönheit der Untergrundbahn, deren Wagen einer mich zum Bahnhof bringt
Rjuimmt in die jintende Racht. Zu beiden Seiten seiner dieſer Wagen: ein Glasgehäuſe, gefüllt mit Zicht, jebe Linie
fliegenden Flanken schreckt der Lichtschein der Fensterreihen über Häuser und Gärten, schlafende Wälder und abendstille Straßen. Hinter mir versinkt das buntere Leben der Urlaubstage wie das Abendrot eines schönen Tages.
In den Gängen des Schnellzugs laufen noch immer Soldaten hin und her, schwer bepackt, Pläße suchend. In dieser Unruhe, vom Zuge raftlos in die Nacht entführt, liegt noch ein Nachklang der heftigen Plöglichkeit des Abschieds- selbstverständlich und unerbittlich ist diese Stunde, in der sich die Kluft zwischen Heimat und Feld unüberbrückbar auftut, diese Stunde, deren Forderung zu erfüllen man jedesmal von neuem lernen muß wie oft schon! wie oft noch?
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Ramtamtam ramtamtam ramtamtam donnert der Zug. Legte Grüße wehen mit und verwehen wie die welfen Blätter, die in der brausenden Fahrt aufwirbeln und verstört und leise am Bahndamm niedersinken.
Rastlos spulen die donnernden Räder te Schienenkilometer auf. Eiserne Brücken schreien auf. Der Zug stößt sie hinter sich in die Nacht. Stationen, mit einigen Lichtern flüch tig hingewischt immer weiter, immer weiter.
an ihm vom Bewußtsein ihres Zweckes durchdrungen, knapp eingefügt in die Wände des Schachtes, den er aufjauchzend durchschießt.
Und dann schreitet der graubärtige Beamte, den der Krieg daheim ließ, auf dem Bahnsteig hin und kündet den Zug an: Berlin- Bromberg- Thorn- Alexandrowo- Warschau- Brest
Litowst- Baranowitschi.
So ruft die singende Stimme dieses Graubartes alltäglich die Namen fremder Städte auf, und die Höhe der Glashalle gibt sie mit tönendem Klang zurück- Namen fremder Städte und fremder Länder mit ihrer Lockung. Österreich und Frank reich , Ungarn und Belgien , Rußland und Bulgarien , Rumä nien , Serbien und das Land der Türken all diese Länder, denen einst die unerfüllbare Reisefehnsucht träumend entgegenzog. Und nun sind sie das Reiseziel heute die unermeßlichen Räume Rußlands - morgen vielleicht die sonnenheißen Berge Mazedoniens . Und die Fahrgäste dieser Züge sind nicht mehr die Weltreifenden, auf deren Rohrplattenkoffer die Namenszettel der ersten Hotels von Bukarest und Brüssel klebten - Soldaten füllen alle diese Züge, die Arbeiter der Vorstädte
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