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Die Gleichheit
Worte auf einem losen Tagebuchblatt, das nach Frau Mary' Tod gefunden wurde:„ Drei Tage rang das arme Kind mit dem Tode. Es litt so viel. Sein kleiner entseelter Körper ruhte in dem hinteren Stübchen, wir alle wanderten zusammen in das vordere, und wie die Nacht kam, betteten wir uns auf die Erde. Da lagen die drei lebenden Kinder mit uns, und wir weinten um den kleinen Engel, der kalt und erblichen neben uns ruhte. Der Tod des lieben Kindes fiel in die Zeit unserer bittersten Armut....( Das Geld zum Begräbnis fehlte.) Da lief ich zu einem französischen Flücht ling, der in der Nähe wohnte. Er gab mir gleich mit der freundlichsten Teilnahme zwei Pfund Sterling. Mit ihnen wurde der kleine Sarg bezahlt, in dem mein armes Kind nun im Frieden schlummert. Es hatte keine Wiege, als es zur Welt kam, und auch die letzte kleine Behausung war ihm lange versagt."
Die Liebe half den Eltern, den Schmerz zu überwinden. Als Frau Marg schon schwer frant war, ertranfte ihr Gatte an Brustfellent zündung. Sie mußten in getrennten Zimmern liegen. Als Mary wohl genug war, um die Kranke aufzusuchen, waren sie wieder jung zusammen.„ Sie ein liebendes Mädchen und er ein liebender Jüngling, die zusammen ins Leben eintreten, und nicht ein von Krank heit zerrütteter alter Mann und eine sterbende alte Frau, die fürs Leben voneinander Abschied nehmen." Monatelang erduldete Frau Mary alle entsetzlichen Dualen, welche die Krebskrankheit mit sich bringt. Und doch hat ihr guter Humor, ihr unerschöpflicher Wig fie feinen Augenblid verlassen. Sie erfundigte sich ungeduldig wie ein Kind nach dem Ergebnis der damaligen Wahlen in Deutschland ( 1881), und wie jubelte sie über die Siege! Bis zu ihrem Tode war sie heiter und suchte unsere Furcht um sie durch Scherze zu zerstreuen. Ja sie, die so furchtbar litt, fie scherzte, fie lachte, sie lachte uns alle und den Arzt aus, weil wir so ernsthaft waren. Bis fast zu dem letzten Augenblick hatte sie ihr volles Bewußtsein, und als sie nicht mehr sprechen konnte ihre legten Worte waren an„ Kart" gerichtet, drückte sie uns die Hände und versuchte zu lächeln." So berichtet ihre Tochter Eleanor.
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„ Der Mohr( Mary) ist auch gestorben," sagte Engels, als er das Trauerhaus betrat. Nach fünf Vierteljahren folgte er ihr, die ihm Geliebte, Gattin, Freundin und Mitarbeiterin in des Wortes schönster Bedeutung war, mit der die Sonne aus seinem Leben ging. Anna Blos .
und die Bauern der weltvergessenen Dörfer. Soldaten, die ihre Hochbepackten Tornister in den Gepäckneten verstauen und die mit unfreiwilliger Selbstverständlichkeit dem einst so lockenden Rufe folgen: Berlin - Bromberg - Thorn- AlexandrowoWarschau
So erfüllte der Krieg diesen Massen ohne Besitz und Namen die Sehnsucht nach der weiten Welt.
Vorhin, als der Urlauberzug nach Frankreich abgerufen wurde, stieg auch ein Kamerad ein, mit dem ich ein wenig sprach. Ein Uhrmachergeselle aus Landsberg an der Warthe , ein blutjunger Bursche, der, wäre nicht Krieg, jetzt um diese Abendstunde vielleicht als„ armer Reisender" die dreißig Pfennig Schlafgeld für die Herberge vor den Türen zu Köln am Rhein zusammenbettelte. Und der vielleicht am Rande deutscher Straßen von den fernen Ländern feiner Knabenbücher träumen würde. Nun reist er nach Frankreich , nach Flandern - vielleicht, um dort zu sterben.
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Berlin liegt längst fern, fern- hinter den Scheiben freist dunkel die Nacht. Die Kameraden sind verstummt, sie schlafen. Einer hat die Gazekappe über die Deckenlampe gezogen. In diesem blauen Dämmerlicht rücken gleichsam alle Dinge enger aneinander. Die Gedanken versinken in der Erinnerung an die Tage daheim die gestern noch erlebte Wirklichkeit verdämmert hinter sanften Floren in weichen, schimmernden Farben wie Bilder auf der Mattglasscheibe einer Kamera.
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Und dann drücke auch ich mich in die Ecke, wickle mich dichter in den Mantel und will schlafen. Da fühlt die Hand in der Manteltasche ein weiches, wolliges Etwas, ein Unbe kanntes, was nicht in die Tasche gehört und doch dem Gefühl der Finger irgendwie vertraut ist. Ich ziehe das Ding hervor―
Nr. 15
Frauen, unterstützt die Jugendbewegung!
Tausende junger Menschenkinder sind in diesen Tagen wieder ins Leben hinausgetreten. Sie treten damit in eine neue Welt ein, die rauh und hart ist und recht wenig den gehegten Erwartungen und Wünschen der Kinder entspricht. Mit Ungeduld haben sie dem Augenblick der Schulentlassung entgegengesehen, der ihnen das gelobte Land ihrer Träume und Sehn sucht erschließt. Wenn nun statt des erträumten Paradieses sich der harte Zwang des Erwerbslebens und damit die bittere Wirklichkeit vor ihnen auftut, so wird der Zwiespalt von Traumt und Wirklichkeit in der noch kindlichen Seele bald herbe Enttäuschung und innere Nöte bewirken.
In dieser Zeit der quälenden Unruhe, der Zweifel und Fragen bedarf das junge Menschenkind der wohlmeinenden Führung und Beratung. Hier erwüchse den Eltern und Erziehern, besonders den Müttern eine schwere und verantwort liche Aufgabe: den neuen Lebensweg des Werdenden sorgsamt und doch unauffällig zu leiten. Denn der Jugendliche ist in dieser Zeit schwer zugänglich; er spricht nicht gern von dem, was ihn drückt. Nur wer sich mit liebevollem Verständnis seiner annimmt, dem wird er Vertrauen schenken.
Von großer Wichtigkeit für die schulentlassene Jugend ist aber auch, daß sie den Umgang und die Anregung in ihren Mußestunden findet, die sie braucht, um sich in der neuen Welt zurechtzufinden und zugleich frischen, alle Hemmungen überwindenden Lebensmut zu schöpfen. Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet, gewinnt unsere freie Jugendbewegung eine hervorragende erzieherische Bedeutung für die heranwachsende Generation. Um so mehr, als hier an Stelle der bisherigen losen neue, feste Organisationsformen im Entstehen begriffen sind und zugleich ein stärkeres, durch die trüben Erfahrungen des Krieges geläutertes Verantwortlichfeitsgefühl sich durchzusetzen beginnt. In unseren Jugendheimen mit ihrem frischen pulsierenden Leben, in unseren bildenden und unterhaltenden Veranstaltungen, auf fröhlichen Wanderungen und erhebenden Festen findet der Jugendliche, was er braucht: Rat und Beistand in allen Lebensnöten,
es ist ein Theddybär. Der kleine, gelbbraune, spaßige Theddybär meines Jungen. Und sofort entsinne ich mich: ich ging mit Frau und Kindern heim.
Der Junge schmiegte sich müde dichter an die Schulter seiner Mutter und vertraute mir seinen tiefgeliebten Theddybär an, den die kleine schläfrige Hand nicht länger halten mochte. Ich schob das Spielzeug in die Tasche, vergaß es dort und habe es nun unerwartet in der Hand.
In steifgliedriger Drolligkeit fikt der Theddy auf meinem Knie und blinkert mich aus seinen schwarzen Perlenaugen vertraulich an. Ich sehe meinen Jungen vor mir, erlebe alle die funterbunten, von herzlichen Gelächter der Kinder erfüllten Späße noch einmal, die wir zusammen trieben- die Mattglasbilder bekommen auf einmal leuchtende Farben und sprühendes Leben so eindringlich redet der stumme, von fleinen Händen abgegriffene Theddybär in der schlafblauen Dämmerung des Abteils, in dem ich durch die weite, russische Nacht fahre.
Ramtamtam
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ramtamtam- ramtamtamı klopft der Zug. Und die Erinnerung spinnt. Ein bunter Kreisel surrt vor mir, und alle Farben mischen sich auf seiner Scheibe. Und manchmal, wenn er langsam taumelnd schnurrt, löst sich die Fris feiner Farben zu schärfer hingedachten Bildern auf:
Zoologischer Garten. Herbstmüde Wehmut rauscht schon in den Bäumen, und die Kastanie fällt in welkes Laub.
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Aber es ist nicht nur der Herbst, der die Gehege entvölkert hat der Krieg riß Lücken, und viele Gatter und Käfige sind leer. Auch die Seehunde sind fort, die ich am meisten liebte, wenn sie leidenschaftlich dem weithingeschwungenen Fisch nach sekten : lebende Bronze in wildgepeitschtem Wasser. Sie sind fort am Kriege gestorben....
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