Nr. 17

Die Gleichheit

In der regen Diskussion wurde betont, daß die Heranbildung bon tüchtigen Gemeindehelferinnen aus der Arbeiterschaft notwendig sei, daß es aber der hohen Kosten wegen nicht möglich sein würde, drei bis viermonatige Kurse zu veranstalten. Vielleicht wäre es den Gewerkschaften möglich, mit bereits bestehenden sozialen Frauen­schulen in Verbindung zu treten, um diese zu veranlassen, Abend­turse zu veranstalten. Es käme darauf an, Frauen aus der Arbeiter­schaft auch in die befoldeten Stellen zu bringen. Nach dem Kriege werde der Andrang zu diesem neuen Berufsfelde noch zunehmen, und es bestehe die Gefahr, daß theoretisch gutgeschulte Damen, denen jedoch das praktische Verständnis für die sozialen Bedürfnisse der Arbeiterschaft fehlt, in solche Stellungen kommen. Die private Fürsorge sei als Pionierarbeit zu bewerten, da sie viele Gebiete so borbereite, daß sie von den Gemeinden übernommen werden könnten. Es wurde beschlossen, die Arbeiten der Kinderschutzkommission wieder aufzunehmen.

Mißbrauch des amerikanischen   Frauenwahlrechts. Aus Hol land wird der Internationalen Korrespondenz" geschrieben:

Das Bundesparlament der Vereinigten Staaten Amerikas   hat beschlossen, die Bundesverfassung zugunsten des Frauenwahlrechts zu ändern. Danach sind alle Bundesstaaten verpflichtet, durch ihre eigenen Verfassungen das den Männern zustehende Wahlrecht auf die großjährigen weiblichen Staatsangehörigen auszudehnen.

Die sporttreibenden Damen, die in Amerika   sich zur Abwechslung auf die Propaganda des Frauenwahlrechts warfen, bedienten fich babei einer Argumentation, die eine Schande für die ganze Be­wegung, oder richtiger: für die amerikanische   Frauenwelt bedeutet. Sie ließen sich nämlich herbei, als Gegenleistung für die Verleihung bes Frauenwahlrechts eifrigste Striegsheße zu betreiben. Sie gelobten, ihre Söhne gerne für den Krieg herzugeben, wenn das Frauenwahl­recht eingeführt würde.

Die, Proletarische Vrouw', das Organ der holländischen Sozial. demokratinnen, erwähnt ein Telegramm aus Amerika  , worin be richtet wird, daß man in Amerika   nach der Verleihung des Frauen­wahlrechts für alle Bundesstaaten nicht länger mehr eine Beein fluffung der Offentlichkeit durch die Frauen zugunsten des Friedens au, befürchten(!) brauche. Mit großer Genugtuung wird in dem Telegramm weiter gemeldet, daß der Frauenwahlrechtsverein für Neuhort beschlossen habe, sich auch energisch für die Zeichnung der Kriegsanleihen ins Zeug zu legen.

Wie sich die Zeiten ändern! Auf dem internationalen Frauen­tongreß zugunsten des Friedens, der im Frühjahr 1915 im Haag

Johanna Kinkel  , obgleich hier noch der Unterschied der Konfession bazu tam. Mit schwärmerischer Begeisterung schloß sich Stinkel der Demokratie an, angeregt von seiner Frau, die ihn zum Radika­lismus seiner politischen Anschauungen gebracht haben soll. Auch Kinkel wurde zu Zuchthaus   verurteilt. Nach seiner Befreiung, an der sie tätigen Anteil nahm, folgte Johanna dem Gatten nach Eng land und nahm mutig mit ihm den Kampf um das Dasein auf. Sie ist das glänzendste Beispiel, wie eine Frau eine hingebende Gattin, eine treue Mutter, eine gewissenhafte Hausfrau sein kann und dabei doch mithelfen fann beim Erwerb, ihren Beruf als Leh­rerin erfüllend, ohne daß eine der vielen Pflichten leidet. Auch dem Glück dieser Ehe machte der Tod ein allzufrühes Ende. Geliebte, Gattin und Freundin", nannte Gustav Struve  , auch ein Kämpfer der Deutschen   Revolution, seine Lebensgefährtin, die schon als junges Mädchen sich für die Freiheitsgedanken ihrer Zeit begeisterte. Das gleiche Streben verband sie mit ihrem Gatten, den sie bei den Kämpfen der badischen Revolutionsarmee überall begleitete. Beide wurden gefangen genommen und in getrennte Gefängnisse gebracht. Es gelang ihnen zu entfliehen und in bitterer Not nach Amerika  auszuwandern. Hier war Amalie ihrem Gatten eine treue Mitarbei terin bei seinen schriftstellerischen Arbeiten, und in einer Zeit, in der wohl manche Frau über Sorgen und Entbehrungen geklagt hätte, schrieb fie in ihr Tagebuch: Wir sind glücklich und zufrieden." Auch ihrem Glück machte der Tod ein jähes Ende. Auch Amalie Struve  war eine jener Frauen, die kühn und unentwegt für die Freiheit eintraten und in ihrem Streben mit ihren Gatten eins waren. Ahn­lich war das Schicksal von Mathilde Anneke  . Aus einer überzeugten Statholifin war sie zu einer entschiedenen Freidenkerin geworden. Bei dem preußischen Artillerieoffizier Anneke fand sie Verständnis für ihre Freiheitsbegeisterung, und gemeinsam mit ihm schloß sie sich der Schar derer an, die für die Freiheit kämpften. Sie grün­dete mit ihm die Neue Kölnische Zeitung. Im Jahre 1848 begleitete Mathilde ihren Gatten nach der Pfalz  , wo dieser die Revolutions­artillerie organisierte. Sie war eine geübte Reiterin und diente ihm als Ordonnanzoffizier. Auch das Ehepaar Anneke mußte nach dem Scheitern der deutschen Revolution nach Amerika   flüchten und

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stattfand, waren es die amerikanischen   Damen, die die erste Geige spielten und pathetisch erklärten, daß der Krieg in dem Augenblick aufhören würde, wo die Frauen politisch gleichberechtigt wären. Auch sonst zeichneten die amerikanischen   Damen auf dem Kongreß sich durch allerlei gute Ratschläge, wie man wenigstens die weitere Aus­dehnung des Krieges verhüten könne, aus.

Wir wollen keineswegs sagen, daß diese Damen mit den eben erwähnten Kriegsfurien, die für ihr Wahlrecht ihre Söhne dem Kriegsgott opfern, in jedem Falle identisch sind; hoffen vielmehr, daß sie den Mut haben werden, von ihnen durch eine öffentliche Erklärung weit abzurücken. Aber kennzeichnend ist es doch, daß im absolut friedensfreundlichen Amerika', das weit entfernt vom europäischen   Kriegsschauplatz- sich leichtfertigerweise in den Krieg einmischte, in dem Europa   sich verblutet, sich Frauen und Mütter finden, die das ganze Frauengeschlecht und die Sache des Frauen­wahlrechts so frebelhaft schänden."

Wir haben den Ausführungen unseres Korrespondenten hinzuzu­fügen, daß die amerikanischen   Delegierten zum Haager Friedens­Frauenkongreß, den wir zunächst aufrichtig begrüßt hatten, sich und ihre angebliche Friedensliebe in unseren Augen längst schwer kom­promittiert haben. Auch Gewerkschaftsführerinnen sind davon nicht ausgeschlossen. Die Leichtfertigkeit", wie es unser Korrespondent nennt, oder die im wahrsten Sinn des Wortes bodenlose Oberfläch= lichkeit der amerikanischen   Kultur, die selbst aus Arbeitertagungen eine wahre Drgie von Modetorheiten und billigen Schlagworten macht, ist die einzige Erklärung dafür.

Für das Frauenwahlrecht!

Mit der Forderung des Frauenwahlrechts beschäftigte sich eine gut besuchte Versammlung in Berlin  , die für den 29. April gemein­sam von bürgerlichen und sozialdemokratischen Frauen nach dem Lehrervereinshause einberufen worden war.

Die erste Rednerin, Genoffin Marie Juchacz  , führte aus, daß im Reiche und in Preußen die Verfassungsfragen akut geworden seien, weil die Regierung sich gedrängt fühle, die Staatsbürgerrechte der Männer zu erweitern. Dagegen sei dies in bezug auf die Frauen durchaus nicht der Fall. Obwohl in der Wahlrechtsvorlage zum Preußischen Abgeordnetenhaus   immer von dem allgemeinen" Wahl­recht gesprochen werde, so sei doch die eine Hälfte des Volkes, die Frauen, in der Vorlage überhaupt nicht erwähnt. Schon vor dem

einen schweren Kampf ums Dasein fämpfen, wo sie trotz Armut, trotz Not stets die höchsten Ideale, geistiges Streben, ethischen inneren Halt durch das Leben behielten. Nach Annekes Tod war Mathilde eine der eifrigsten Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht.

Um nun noch einige glückliche Ehen anzuführen, in denen gleiches geistiges Streben die Grundlage schönster Harmonie bildete, so wäre vor allem die des Philosophen Schelling und seiner Karoline zu nennen. Nach zwei unglücklichen Ehen fand die geiftvolle bedeutende Frau in Schelling eine Ergänzung ihres eigenen Ichs und nennt ihn in einem ihrer schönen berühmten Briefe: Mein Herz, meine Seele, mein Geist, ja auch mein Wille." Und nach ihrem Tode schrieb Schelling: Wäre sie mir nicht gewesen, was sie war, ich müßte als Mensch sie beweinen, trauern, daß dies Meisterstück der Geister nicht mehr ist, dieses seltene Weib von männlicher Seelen­größe, von dem stärksten Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzen vereint. D, etwas der Art kommt nie wieder!"

Der Kampf für die Ideale edler Geistesfreiheit und wahrer Herzensbildung hatte auch die Jüdin Rahel Levin   und den Aristo­fraten Varnhagen von Ense   zusammengeführt und bildete die Grund­lage einer unsäglich glücklichen Ehe, in der Rahel die völlige Frei­heit der Persönlichkeit für die Frau forderte:" Denn die Freiheit ist das, was wir notwendig brauchen, um das zu sein, was wir eigentlich sein sollten.... Der erste Mangel an Freiheit besteht darin, daß wir nicht sagen dürfen, was wir wünschen und was uns fehlt." Die Geistesgemeinschaft als Grundlage einer glücklichen The finden wir auch bei Wilhelm und Karoline von Humboldt  . Die Reihe der hier angeführten Beispiele ließe sich wohl noch unendlich vermehren. Ich möchte zum Schluß noch die Ehe von Karl Marr und Jenny von Westphalen   anführen, über die ich in der Mary- Nummer der Gleichheit" näheres mitgeteilt habe. Ge­rade diese Ehe beweist auch am besten, daß man sich von der Auf­fassung freimachen muß, daß die Politik den Charakter verdirbt. Sie kann große Geister zusammenführen trotz verschiedener Rasse, Konfession, Herkunft, wenn sie die ideale Seite der Politik be­greifen und ihr leben.

Anna Blo.