Nr. 20

Die Gleichheit

Die Menschen tragen alle des Lebens schweres Gewicht.

O meine Mutter, warum hast du mir das Leben geschenkt? Ich trag' es nicht.

Ich kann nicht mehr sehn in eines Menschen Gesicht,- nicht mehr die Welt, die sich in den funkelnden Straßen drängt. Die Häuser wissen von Sünde und Schuld,- sie tragen alle wie die Menschen des Lebens schweres Gewicht.

Was weckst du den Efel in mir, Leben, voll Kampf und Mord? Mit Fluten von Leid?

Auf deinen Wogen rollt Haß und Neid.

Eins übertürmt, überschreit das andre. Sünde treibt Sünde fort. Mit neuer Schuld überdecken wir unsere Schuldigkeit. O Reinheit, wie bist du erstickt und verdorrt!

Und alle haben wir einst uns dem Hohen und Reinen geweiht! O Reinheit, zu dir ruf ich inmitten von Mord und Krieg empor, mit blutigen Händen will ich zu dir beten: Reinheit! Reinheit! Laß dich in mir nicht zertreten.

O

Politische Umschau

Heinrich Lersch .

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Am 4. Juni ist der Deutsche Reichstag nach den Pfingstferien wieder zusammengetreten. Die ersten Tage waren ausgefüllt mit den interessanten Debatten über den Belagerungszustand und die Zensur. Genosse Bauer brachte Dinge zur Sprache, die eines freien und selbständigen Volkes unwürdig sind. Die sozialdemo­fratischen Parteien und ihre Bresse werden in jeder möglichen Weise verfolgt, während sich die Vaterlandspartei und die alldeutsche Hez­presse liebevollster Duldung, ja sogar Förderung erfreuen. So läßt zum Beispiel das Generalkommando des 14. Armeekorps Versamm­lungen nicht zu, in denen als Hetzer bekannte Personen" sprechen sollen, wenn dies auch Landtags- oder Reichstagsabgeordnete sind. Am Hilfsdienstgesetz darf abwehrende Kritik nicht geübt werden; natürlich ist diese Verfügung nur geeignet, das Vertrauen der Ar­

Feuilleton

Was sind mir Berge, Täler, Ströme, Lieder, Was ist der Himmel, Mädchen, ohne dich? Allein zu sein o Traumbild eitler Stunden!

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Denn nur zu zweien wird das Glück gefunden. Prus.

Das Fünfte.

[ Nachdruck verboten.]

Von Anna Mosegaard . Dumpf, dröhnend verkündet die Turmuhr die dritte Morgen­stunde. Der neue Tag dämmert herauf. Drei Uhr! Ein paar Stunden noch, und die Glocke ruft wieder zur Arbeit. Es lohnt sich schon, noch ein wenig zu schlafen, denkt Karl Färber, ein rüftiger blondbärtiger Mann in den dreißiger Jahren.

Schlafen! Ha! Schlafen! Wie kann er schlafen mit dem über­wältigenden Glücksgefühl im Herzen! Fast ist es ihm, als hätte es nimmer Platz in seiner Brust. Hinausrufen möchte er es in den jungen taufrischen Maientag, aller Welt verkünden, daß er Vater geworden ist! Vater eines allerliebsten Mädchens! Dies Glück! Dies große Glück! Hatte er auch sicher gehofft, das Erste müßte halt ein Sohn sein, so ist es ihm jetzt schon ganz recht so. Die Hauptsache ist, daß seine Frau es über­standen hat. Noch gar nicht fassen kann er es, daß das rosige fleine Ding nun sein eigen sein soll.

Auf Fußspißen schleicht er ins Nebenzimmer, wo das liebe Geschöpfchen friedlich schlummernd neben der Mutter ruht. Immer wieder möchte er es ansehen, das hilflose kleine Men­schenkind. Ganz leise, um seine Martha, sein liebes Weib, nicht zu wecken, tritt er ans Lager. Da schlägt sie die Augen auf und sieht ihn lächelnd an. Sie lacht wirklich! Kann wieder lachen nach Stunden der namenlosen Qual und Bein.

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beiter zu einer gerechten Handhabung des Hilfsdienstgesezes zu er schüttern und es noch unpopulärer zu machen. Das Generalfom mando des 6. Armeekorps verfügt, daß über Politik in den Ver­sammlungen nicht gesprochen werden darf; hierzu gehöre auch die Friedens- und Frauenfrage. Also die beiden Fragen, welche uns Frauen am wichtigsten sind: Wann kommt der Friede und wie wird er sein? und: Wann bekommen wir unsere Rechte als Staatsbürge­rinnen? dürfen in Schlesien überhaupt nicht erörtert werden! Um so mehr werden die Frauen darüber nachdenken; solche Erlasse sind insofern wenigstens ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Bei der Novelle zum Schutzhaftgeset machte Genosse Wendel Ausführungen, die eindringlich warnten, daß Deutschland sich durch rigoroses Vorgehen der Militärbehörden in Elsaß- Lothringen die Sympathien der eigenen Staatsbürger verscherze. Die Bemer tung des Generals Wrisberg, daß unter den Worten innerhalb Deutschlands " nicht Elsaß- Lothringen verstanden werde, und des Generals Köppen, daß die Briefzensur dem ungeschriebenen Recht der Staatsnotwehr entspräche, zeigten, daß es zwischen militärischem und staatsbürgerlichem Rechtsempfinden kaum noch Brücken gibt. Am 8. Juni wurde das Reichstagspräsidium neu zusammen­gesezt. Da das Zentrum, dank der Zersplitterung der Sozialdemo tratie, die stärkste Partei des Hauses ist, stellte sie in dem Abgeord neten Fehrenbach den Präsidenten. Zum Vizepräsidenten wurde neben den beiden bisherigen Abgeordneten der Genosse Scheidemann gewählt. Wie der Unabhängige Zeitungsdienst" mitteilt, haben die Unabhängigen Sozialdemokraten nicht für Scheidemann gestimmt, weil er ihnen zu monarchisch und zu regierungsfreundlich ist. Die Kreuzzeitung " erzählt, daß auch die Konservativen gegen Scheide­mann stimmten, und zwar, weil er ihnen zu unmonarchisch und zu regierungsfeindlich sei. Die Extreme berühren sich; es ist nicht das erstemal, daß die Unabhängigen sich in solcher Seelengemeinschaft mit den Konservativen befinden.

Bemerkenswert ist ein Vorgang aus dem Reichstagsausschuß für. das Branntweinmonopol. Der Vertreter der sozialdemokratischen Partei beantragte, die Branntweinherstellung aus Getreide zu unter­sagen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Im Preußischen Landtag ist in vierter Lesung ein Wahl­rechtskompromiß der Rechtsparteien angenommen worden. Bu­sazstimmen für Heimtrieger sind darin reichlich enthalten; eine Bu sagstimme für Kriegsteilnehmer wurde abgelehnt. Am 4. Juli sol die fünfte Lesung stattfinden. Dann wird das Herrenhaus Ja und

Ja, kann denn das nur möglich sein!

Ist denn das alles kein Traum!

" Wie fühlst du dich, meine arme Martha?" fragt er besorgt. Es ist ja vorüber, Karl. Willst du dich nicht ein wenig niederlegen? Wirst recht müde sein."

"

Immer die besorgte, liebende Gattin.

Karl Färber aber denkt nicht an Schlaf heute; behutsam, als berühre sie etwas ungemein Zartes, Zerbrechliches, fährt die schwielige, harte Arbeitshand über das Köpfchen des Neu­geborenen. Wie weich, wie seidenweich das Haar! Dann strei­chelt er die winzigen Fingerchen, wie unendlich fein diese kleinen Glieder! Immer könnte er hier sizen und das Wunder betrachten. Aber die Stunden fliehen.

Nun muß er sich ja selbst das Frühstück herrichten. Er tut es gern. Nur etwas ungeschickt stellt er sich an; aber es geht schon. Endlich ist er fertig. Die Kaffeeflasche unterm Arm ruft er nochmal zur Tür herein:

Nun schlaf nur, Martha, der Nachbarin sage ich Bescheid, daß sie einmal nachschaut."

Dann steigt er vorsichtig die knarrende Treppe hinab, tritt hinaus in den lachenden Frühlingstag. Heute sieht er die häß­lichen rauchenden Schlote nicht, nicht die hastende Schar der Arbeitsbienen; er denkt nur an eins: sein Weib! Sein Kind!

Und wie die Arbeit heute von den Händen geht! So leicht, so froh ist es ihm. Wenn dann und wann eine bleierne Müdig­feit ihn daran erinnert, daß er seit vierundzwanzig Stunden keinen Schlaf gekriegt, dann pfeift er sich ein lustiges Lied, die Mahnerin zu verscheuchen. Und wie goldig sind die Tage, die nun kommen!

Seine Martha ist bald wieder auf und besorgt den kleinen Haushalt. Ihre blassen Wangen röten sich allmählich wieder, das Kindlein wächst und gedeiht, daß es eine Lust ist. Und