156Die GleichheitNr. 20Amen sagen, wenn ihm alle Volksrechte genügend geknebelt erscheinen, und dann gehen beide Häuser bis Ende September in dieFerien. Wenn sich dann im Oktober noch immer keine Mehrheit fürdie Regierungsvorlage findet, will die Regierung den Landtag auflösen. Also zunächst warten wir hübsch bis Oktober, und dann wartenwir vielleicht wieder.Am Freitag, den IS. Juni begannen die Schuldebatten imAbgeordnetenhaus vor fast leeren Bänken. Diese uns Müttern sowichtigen Fragen der Volksbildung interessieren die«Vertreter desVolkes", Junker und Großindustrielle nicht. Wir Mütter könnendaraus erneut erkennen, wie stark wir an einer anderen Zusammensetzung des Preußischen Landtags interessiert sind.In Rußland ist die Gegenrevolution am Werke. Zunächst ist sie in Westsibirien, anscheinend mit starker UnterstützungEnglands und Frankreichs, siegreich gewesen. Die Feindschaft derEntente gegen den ehemaligen Verbündeten tritt nach den Freundschaftswerbungen der letzten Wochen nun ziemlich unverhülltzutage.Bei den westlichen E n t e n t e v ö l k e r n ist ein starkes Frie-densbedürfnis vorhanden. Die Regierungen, die sich durchdie militärischen Erfolge Deutschlands bedrängt fühlen, versuchendie Friedensstimmungen abzulenken, indem sie ihre Völker zuüberzeugen versuchen, daß jetzt ein Friedensangebot der Mittelmächte kommen müßte. Erfolge dies, so solle es nicht ohne Prüfung zurückgewiesen werden; erfolge es nicht, so gehe eben derKrieg durch Schuld der Mittelmächte weiter. Damit wollen siesich vor dem eigenen Friedensangebot drücken. Da aber bisher Angebote für Friedensverhandlungen nur von den Mittelmächtenausgegangen sind, so ist immerhin damit zu rechnen, daß einsolches Angebot unter den gegenwärtigen militärischen Verhältnissen von dieser Seit« nicht erfolgt. Wir wollen nur wünschen,daß es dennoch geschehen möchte, denn die Macht, welche denMut zum Frieden hat, ist vor der Weltgeschichte die eigentlichstegreiche.Zwischen sozialdemokratischen Vertretern derEntente und neutralen Sozialisten wird eine Konserenz stattfinden, ebenso zwischen letzteren und Sozialisten derMittelmächte. Wie verlautet, wird diese Konferenz über die internationale Lage im allgemeinen und über die Durchführung einerselbständigen Politik in den verschiedenen Ländern beraten. Deutscherseits nimmt Genosse Scheidemann an der Zusammenkunft teil.Klara Bohm-Schuch.immer gibt es etwas Neues. Jetzt lacht es schon, nun hat esein Röckchen und auch schon Striimpfe gn, richtet sich auf undkann bald sitzen. Ja ja. es macht schon etwas, Reinlichkeit,frische Luft und Mutterbrust.Ehe man sich's versieht, ist ein Jahr dahin. Nun trippeltklein Marthel schon an der Mutter Hand dem Vater entgegen. Es wird auch höchste Zeit, denn bald wird sich einZweites einstellen und der Mutter Pflege bedürfen.Erst hat es ihnen beiden gegraust vor der schrecklichen Stunde,die sich wiederholen wird, aber schließlich— man ist ebenverheiratet. Und ein Kind ist kein Kind, ein Pärchen muß esschon sein. Ja, dieses Mal wird es schon ein Junge sein, ganzgewiß.Es ist aber keiner. An einem rauhen Herbstmorgen schließtKarl Färber das zweite Töchterchen in seine Arme. Und wuchtiger fällt fortan der schwere Hammer; jetzt gilt es Brot zuschaffen für viere.„Nun haben wir jeder unseren Schlafkollegen, Karl, nunwäre es schon genug," hatte Martha einst scherzend gesagt.Aber es bleibt nicht bei den Zweien. Noch ehe ein volles Jahrvergangen, ist das Dritte schon da. Und dieses Mal liegt Marthalänger, als man gedacht; recht schmäl und bleich ist sie geworden. Die alte Lustigkeit will nicht mehr recht aufkommen.Ja. ivenn die Sorgen, die ewigen Sorgen nicht wären. Jetztmuß notgedrungen ein drittes Bett geschafft werden, und dafür ist nicht mal Platz in der kleinen Schlafstube. Die Familiewächst, die Räume wachsen nicht. Nun, bis zu einem Jahr kanndas Kleinste wohl im Wagen schlafen, bis dahin komnit WohlRat und Hilfe.Ein unruhiger Geist ist es. dies Kleinste, namentlich desNachts. Mehr als einmal muß Martha des Nachts auf, dasKind zu tränken, der Winter steht vor der Tür, die NächteDie Bevölkerungspolitik— eine soziale undpolitische Reformpolitik.Die Münchener bevölkerungspolittsche Tagung.Am 27. und 28. Mai vereinigte sich im großen Hörsaal der Universität München eine buntgemischte, köpfereiche Gruppe von Zuhörern und ZuHörerinnen, die ein volles Dutzend bevölkerungspolitischer Vorträge über sich ergehen lassen wollten. Frauen aus demVolke waren so gut wie gar nicht vertreten, dagegen hatten sich inreicher Zahl Delegierte von Frauenvereinen, von Körperschaften derKriegshilfe, Pflegerinnen, Lehrerinnen und Studentinnen eingefunden. Auch an„Damen" fehlte es wahrlich nicht!Zu den Versammelten sprachen Männer von wissenschaftlichemRuf, Männer, die sich leider vielfach nicht darüber in» klaren waren,ob sie als objektiv forschende Soziologen und Sozialhygieniker oderals politische Parteimänner das Wort ergreifen sollten. Soschillerten die Referate der Professoren Zahn und von Gruber inden genügsam bekannten Farben der Deutschen Vaterlandspartei.Präsident Professor Zahn begeisterte sich für einen Siegfrieden, der„womöglich mit direkter oder indirekter Kriegsentschädigung" den wesentlichen Grundstock für eine Familienpolitik derZukunft schaffen sollte. Dieser Herr ritt auch eine flotte Attackegegen die Freizügigkeit, indem er eine Beschränkung der Aus-wanderungSfreiheit durch eine tiefgreifende AuSwanderungö-gesetzgebung empfahl. Der vielgenannte Hygieniker von Gruber, einfanatischer Alldeutscher, sprang in seinem Referat mit beiden Füßenin die Tagespolitik hinein und rührte emsig die Trommel für seinemachtpolitischen Ideen. Dabei brach in seinem Referat merkwürdigerweise eine radikale sozialpolitische Tendenz durch, die sich am klarstenin seinen Leitsätzen über„die Beweggründe der Geburtenverhütungund über den wirtschaftlichen Ausgleich zugunsten linderreicher Familien" aussprach. Professor v. Gruber betrachtet die ungenügendeFruchtbarkeit der heutigen Ehen als eine Folge„bewußter, willkürlicher Einschränkung", und diese„als eine Äußerung deswachsenden Bestrebens, die gesamte Lebensführung verstandesmäßigzu regeln". Der„Fortpflanzungswille" wird nach Gruber vor allem„durch wirtschaftliche Überlegungen" gehemmt. Der kühleVerstand hat eben über gewisse animalische Instinkte gesiegt undwird durch wirtschaftliche Erwägungen geleitet. Wer heute den Fort-pflanzungswillen fördem will, der muß zu einer grundstürzendenReform der wirtschaftlichen Verhältnisse entschlossen sein.sind schon empfindlich kalt. Sie wird den Husten und Schnupfengar nicht mehr los.„Wenn es nur erst Sommer wäre und wir hinaus könntenins Freie, dann schläft es Wohl besser," ist Vaters einzigerWunsch. Und der Sommer ist da, aber die Zeit zum Spazierengehen fehlt. So drei kleine Dreckfinken machen Arbeit.Das Waschen will nimmer enden. Wenn der Tag zur Neigegeht, ist Martha müde zum Umsiuken. Die trauten Abendstunden, sie sind dahin. Nur einen Wunsch hat die Vielgcplagte:schlafen! Einmal wieder ordentlich ausschlafen.»">»Gottlob, nun ist das Jüngste zwei Jahr, ist aus dem Gröbsten heraus, Marthel geht schon zur Schule, klein Grete! gehteinholen, das Schlvesterchen an-der Hand.— Wie ist dochdie Zeit entflohen! Man atmet ordentlich auf.Frau Martha spart im Haushalt wie keine, um die dreiMädchen ordentlich im Zeug zu halten. Schon hat sie sich einpaar Spargroschen zurückgelegt, um endlich einmal an sichselbst zu denken, ihre Garderobe etwas instand zu setzen, allesist arg abgeschlissen in den letzten fünf Jahren.Da meldet sich unverhofft das Vierte an. Wie ein Dieb inder Nacht ist das gekommen und hat der mutigen Frau alleEnergie genommen. Stundenlang kann sie sitzen und grübelnund rechnen: wie niache ich es, wie richte ich es am bestenein? Es nützt alles nichts! Karls Wochenlohn reicht nicht mehraus, sie muß mitverdieuen, solange es noch geht!Herr du! Was soll da alles beschafft werden! Die Babywäsche muß notwendig erneuert, das Leinenzeug um manchesStück ergänzt werden, und das Bett— vor allen Dingen dasBett, das immer wieder zurückgesetzt wurde—, jetzt muß essein und sollten sie allesamt hungern und darben. Von frühbis spät rasselt nun die Nähmaschine, immer bleicher und