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Die Gleichheit

es fehlte an Kräften. Der Krieg änderte die wirtschaftliche Lage der Frauen vollkommen; unsere rührigsten Genossinnen wurden derart mit Arbeit überlastet, daß die Kleinagitation, wie sie früher von uns geübt wurde, zur Unmöglichkeit wurde. Gerade beim fritischen Rückwärtsschauen haben wir die Pflicht der Ehrlichkeit gegen uns selber. Die Flucht der vielen Frauen aus der Organisation ist ein Beweis, daß sie in ihrer Weltanschauung noch nicht vollkommen fest waren. Das ist begreiflich; war doch die Zeit der Werbe- und Aufklärungs­arbeit viel zu kurz, um unter den 174000 die sozialdemo­kratischen Ideen derart zu befestigen, daß sie auch in dieser alle Begriffe verwirrenden Weltkatastrophe standhielten. Diese bösen Erfahrungen der Kriegszeit müssen uns heute schon für unser ferneres Handeln Wegweiser sein.

Bleibt als eine weitere Ursache der Rückwärtsbewegung noch die Spaltung der Partei übrig. Die Zahlen der organi­sierten Frauen hüben und drüben dürften nicht im entfern­testen hinreichen, um die Zahl von 1914 zu ergeben. Wohl hat uns die Spaltung auch Verluste in der Frauenbewegung gebracht; das Endresultat ist auch hier, daß viele abseits stehen und abwarten, welcher Seite die Geschichte recht gibt.

Eine Erscheinung gibt noch Anlaß zu ernster Würdigung und zum Nachdenken: die praktische Tätigkeit unserer Genos­sinnen in der Kriegswohlfahrtspflege und in kommunalen Ämtern. Diese Tätigkeit wäre in dem Umfang nicht denkbar, wenn wir auf vereinsgefeßlichem Gebiet die Ausnahmebestim­mungen für Frauen behalten hätten. Wir wollen nicht etwa einer Einschränkung dieser Arbeit das Wort reden; der Ein­fluß, den wir bei dieser Tätigkeit ausüben können, ist von großer Bedeutung. Aber eins steht fest: das Tätigkeitsgebiet unferer Genofsinnen hat sich während des Strieges stark er­weitert, während die Kräfte geringer geworden sind. Das er­gibt ein starkes Minus zuungunsten unserer Agitations- und Schulungsarbeit. Diese Erscheinung kann in diesem Rahmen nicht ausführlich gewertet werden, sollte aber jede Genossin zum Nachdenken anregen.

Zum Schluß unserer Betrachtungen können wir wohl sagen: Die größere Bewegungsfreiheit, die wir Frauen durch das Gesetz im öffentlichen Leben erlangt haben, müssen wir noch viel mehr als bisher ausnüßen, besonders zur Erringung des Wahlrechts für die Frauen. Noch viel mehr als bisher muß es uns ein bewußt und planmäßig angewendetes Hilfsmittel zum kulturellen Aufstieg unserer Klasse werden, es muß uns weiter dienen, den Massen der uns noch fernstehenden Frauen die sozialistische Weltanschauung zu bringen.

Genossen.

Vielleicht sind unsre törichten Gedanken fich irgendwo im All begegnet,

Tang ehe wir in unserm Blut ertranken.... Da warst auch du wohl, Bruder oder Vater,

und warst Genosse eines gleichen Ziels, und gleiches Wissen war doch dir und mir Berater. Wenn du am Schraubstock standst und ich am Pfluge und sannen beide an der Zeiten Glück,

so füßten unsre Träume sich im Fluge.... Und ob auch unsre Sprache fremden Klanges, uns band die Not, und unser freudig Hoffen war gleichen Glaubens, Liebens, gleichen Sanges; wir waren arm und Schicksalsunbekannte und hatten unsere Zukunft kinderlieb.... Nie, daß uns Hemmnis dauernd übermannte. Und als Gewalt uns auseinanderriß, bekämpften wir einander- Losverbannte!

Nun sind wir tot doch unsere Gedanken sind irgendwo im All vermählt und neugeboren eh' unsre Körper in die Erde sanken.

Julius Zerfaß  .

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Politische Umschau

Nr. 23

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Am 15. Juli meldete der deutsche Heeresbericht deutsche Vor­stöße östlich und westlich von Reims  . Die Gegner hatten an­scheinend den Stoß erwartet, denn sie fingen ihn, im Gegensatz zu den beiden Frühjahrsoffensiven, auf und wehrten ihn ab. Am 18. Juli ergriffen die Entente heere zwischen Aisne   und Marne   über­raschend und erfolgreich die Offensive. Seitdem stehen die beider­seitigen Truppen dort in hartem Kampfe. Zäh wird von den Deut­ schen   das Gelände verteidigt; mit schonungslosem Einsatz von Men­schen und Material versucht der Gegner vorwärts zu kommen. Eine Entscheidung ist auch jetzt nicht zu erwarten, sondern jeder neue Zu­ſammenprall der Kräfte, der jedesmal blutiger wird, beweist nur, daß das Ende nur durch gegenseitige Verständigung herbeizuführen ist. Die Kriegstreiber hüben und drüben denken allerdings anders; sie leiden nicht unter dem Krieg.

Unsere Alldeutschen sind jetzt befriedigt, weil der Staatssekretär Herr von Kühlmann durch Herrn von Hinge ersetzt worden ist, wodurch sie glauben, ihren Kurs in der auswärtigen Politik ge= steuert zu sehen. Herr von Hinge hat sich in der ersten Rede, welche die Öffentlichkeit von ihm erfuhr, scharf gegen England gewendet. Die Entente setzt alles daran, um den Kampf an der Ostfront, also Rußlands   gegen Deutschland   wieder aufleben zu lassen und so die Westfront für sich zu entlasten. Die bolschewistische Regierung wehrt sich energisch gegen diesen neuen Krieg, doch haben die Er­eignisse der letzten Wochen gezeigt, daß die Gegenströmung sehr start ist. Die Ermordung des deutschen   Gesandten in Moskau  , Gra fen Mirbach, dessen Nachfolger im Amte Dr. Helfferich geworden ist, war das erste Zeichen für das starke Aufflammen der Gegenrevoli:- tion der linken Sozialrevolutionäre. Am 13. Juli brachte Gorkis  Nowaja Shifu" eine Erklärung des amerikanischen   Gesandten, int welcher das russische   Bolt zum Kampfe gegen Deutschland   aufge­boten wird. Dasselbe Blait brachte auch die angeblichen( durchaus vernünftigen) Friedensbedingungen Deutschlands  , von denen man aber nichts weiter gehört hat. In Moskau   selbst wurde die Gegen­revolution bald unterdrückt; auch in einigen anderen Städten blie­ben die Bolschewifi siegreich. Dagegen behauptete sich in Sibirien  die von den Ententemächten geleitete Gegenrevolution der Tschecho= slowalen, und jetzt hat auch Japan  , nach einer Verständigung mit Nordamerika  , mit der Intervention begonnen.

Auch am Eismeer, im Murmangebiet, ist die Gegenrevolution der Entente siegreich. Wie für die Volfsernährung Sibirien   als Korn­tammer Zentralrußlands wichtig ist, so ist es die Murmanküste des Seefischreichtums wegen. Außerdem hat die Murmanküste dadurch eine hohe politische und wirtschaftliche Bedeutung, daß die dortigen ( erst in großer Entwicklung befindlichen) Häfen so gut wie eisfrei sind und die Schiffahrt das ganze Jahr hindurch gestatten. Die Lage ist also für Zentralrußland und damit für die jezige Regierung sehr ernst.

In der Ukraine   wurden Minister der früheren Rada, die der sozialrevolutionären Partei angehören, von einem deutschen   Felt­gericht zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Vor nicht langer Zeit hatte diese Regierung mit Deutschland   den Frieden geschlossen und, da sie mit den Bolschewisten nicht fertig wurde, deutsches Mi­litär zu Hilfe gerufen. Dadurch haben diese Minister die völker­rechtliche Möglichkeit zu ihrer jezigen Verurteilung selbst schaffen helfen. Ein allgemeiner Eisenbahnerstreit in der Ifraine fonnie durch Gewaltmaßnahmen der Eisenbahnverwaltung und der dent­schen Behörden nicht unterdrückt werden.

Trotz des vermehrten Wirrwarrs und trotz des verstärkten Kriegs­geschreis ist aber die Stimme der Vernunft, die den Frieden als die einzige Rettung Europas   betrachtet, nicht ganz unterge­gangen. Der unermüdliche Vorfämpfer für die Verständigung der internationalen Arbeiterschaft, der holländische Genosse Troelstra hat, da ihm durch die Paßverweigerung der englischen   Regierung die Möglichkeit einer mündlichen Aussprache genommen war, einen offenen Brief an den Genossen Henderson in England gerichtet. Ihm erscheint die Entscheidung auf dem Schlachtfeld ebenso eine Unmög­lichkeit wie ein Unglück, weil der endgültige Sieg der einen Partei einen Frieden der Gewalt( als den er auch den Frieden von Brest­Litowsk betrachtet) mit sich brächte und damit immer wieder der Militarismus gestärkt, der Keim zu neuen Kriegen gelegt würde. Er hält eine internationale Sozialistenkonferenz für den einzigen Weg, eine Verständigung anzubahnen, und fordert die Entente­Sozialisten auf, ihre Regierungen zu bestimmen, daß sie die Päffe zu einer solchen Konferenz erteilen. Das proletarische Ziel müsse die Gründung eines Völkerbundes sein. Vemerkenswert ist auch ein Artikel der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung", in dem sich Oskar Müller mit der Frage des Völkerbundes beschäftigt und sagt, das